Das litauische Parlament schränkt die Reisefreiheit von Staatsangestellten mit Zugang zu klassifizierten Informationen ein.
Der litauische Nachrichtendienst ist alarmiert. «Die Aktivitäten der Geheimdienste feindlicher Staaten gegenüber Litauen werden immer aggressiver und gefährlicher», heisst es auf der Website des Departements für Staatssicherheit. Die grösste Gefahr gehe von Litauens Nachbarstaaten Russland und Weissrussland aus.
Vor diesem Hintergrund ist auch der jüngste Entscheid des Parlaments zu verstehen. Eine Mehrheit hat am Donnerstag entschieden, dass Personen, die Zugang zu geheimen Informationen haben, nicht länger in «unfreundliche Länder» wie Russland, Weissrussland oder China reisen dürfen. Nach Angaben des litauischen Verteidigungsministeriums sind vom Entscheid 56 000 Personen betroffen. Eine entsprechende Regelung ist bereits für Soldaten und Staatsbeamte in Kraft.
Die Begründung: nationale Sicherheit
Der Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas begründete die Reiseeinschränkungen mit der nationalen Sicherheit. Auch der Vorsitzende der aussenpolitischen Kommission des Parlaments verwies in der Debatte darauf, dass «totalitäre Regime» Litauerinnen und Litauer für ihre Zwecke rekrutierten, um die Gesellschaft zu destabilisieren.
Tatsächlich haben Rekrutierungsversuche laut dem litauischen Nachrichtendienst zugenommen. Der Kreml hatte schon immer grosses Interesse an vertraulichen Informationen aus dem Westen. Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, sind sie weiter gestiegen. Zwischen 2014 und 2024 wurden in Litauen elf litauische Staatsbürger und drei Ausländer wegen Spionage zu Gefängnisstrafen verurteilt, neunzehn Diplomaten mussten das Land aus demselben Grund verlassen.
Mit den ausgewiesenen Diplomaten verschwand eine etablierte Form der Spionage, und seither sucht der Kreml nach neuen Wegen, um an Informationen zu gelangen. Die russischen Grenzbehörden sind Teil des Inlandsgeheimdienstes FSB. Eine bekannte Methode ist es, Reisende an der Grenze aufzuhalten, sie auszufragen und unter Druck zu setzen. Westliche Geheimdienste – allen voran die baltischen – raten unter anderem aus diesem Grund von jeglichen Reisen nach Russland ab.
Welche Länder auf der Verbotsliste landen werden, wird die litauische Regierung noch definieren. Ausnahmen sollen in speziellen Situationen möglich sein, etwa bei Todesfällen naher Angehöriger. Wer gegen das Reiseverbot verstösst, verliert den Zugang zu klassifizierten Informationen. Was alles als klassifizierte Information gilt, ist nicht öffentlich bekannt.
Die Sorgen: begründet
Dass das litauische Parlament bereit ist, die Bewegungsfreiheit von Zehntausenden Menschen einzuschränken, zeigt beispielhaft, dass die Sicherheitslage im Baltikum als sehr angespannt wahrgenommen wird. Bereits seit 2015 müssen estnische Beamte und Amtsträger ihre Reisen nach Russland ihrem Arbeitgeber melden. Die lettischen Behörden empfehlen, bei Reisen nach Russland oder Weissrussland ein Prepaid-Handy mitzunehmen und Smartphones, die sonst für die Arbeit verwendet werden, zu Hause zu lassen.
Litauen ist besonders exponiert, wenn es um Spionage geht: Die Hauptstadt Vilnius ist ein Zentrum der Exil-Oppositionellen aus Russland und Weissrussland. Namhafte Köpfe wie die weissrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja oder der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow leben und arbeiten in der Stadt.
Dies lockt auch Gegenspieler an. Ende September etwa wurde ein Litauer zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, weil er für Weissrussland spioniert hatte. Dem Mann war es gelungen, in die Kreise der weissrussischen Oppositionellen einzudringen. Er besuchte deren Veranstaltungen, um Informationen über Teilnehmer und ihre Aktivitäten, laufende Projekte und ihre Finanzierungsquellen zu sammeln und weiterzugeben.