Die Grossübernahme von DB Schenker durch DSV bringt die Logistikbranche in Bewegung. Kühne + Nagel will der künftigen Nummer eins nun Kunden und Mitarbeiter abwerben. Das gelang schon einmal im Fall von Panalpina.
Verschiedene Wege führen zum Erfolg. Das Schweizer Transport- und Logistikunternehmen Kühne + Nagel, gegenwärtig die Nummer zwei der Branche, will zur Hauptsache organisch wachsen. DSV ist dagegen eine wahre Akquisitionsmaschine, gegründet, als sich in der dänischen Kleinstadt Skuldelev zehn inhabergeführte Speditionen zusammenschlossen. Irgendwann muss der Entschluss gereift sein, der grösste Anbieter im Markt für Transport- und Logistikdienstleistungen zu werden. Dieses Ziel können die Dänen nun mit dem Abschluss ihrer jüngsten und bislang grössten Transaktion erreichen.
Am 13. September hat DSV bekanntgegeben, eine Vereinbarung zur Übernahme von Schenker zum Unternehmenswert von 14,3 Mrd. € unterzeichnet zu haben. Verkäuferin ist die angeschlagene Deutsche Bahn (DB), die damit einen ihrer wenigen gut laufenden Geschäftsbereiche abgibt. Ihr Aufsichtsrat hat, wenn auch nur knapp und mit Gegenstimmen von Gewerkschaftsseite, am Mittwoch vergangener Woche genauso wie die deutsche Bundesregierung die noch benötigte Zustimmung zum umstrittenen Deal gegeben.
Dank Panalpina zum viertgrössten Logistikunternehmen
Die davor grösste Übernahme von DSV betraf ein schweizerisches Objekt: 2019 sicherten sich die Dänen nach einem längeren Tauziehen die in Basel domizilierte Panalpina zum Unternehmenswert von letztlich 5,4 Mrd. Fr. oder damals 5 Mrd. €. Damit verbunden war der Aufstieg zum weltweit viertgrössten Transport- und Logistikunternehmen.
Der Fall Panalpina wirft ein Schlaglicht darauf, wie die Dänen nach einer Transaktion vorgehen: Es war ausgemacht worden, dass der neue Konzern DSV Panalpina heissen und Basel ein wichtiger Standort bleiben würde. An einer ausserordentlichen Generalversammlung im September 2021 wurde dann beschlossen, den Namensteil Panalpina zu streichen und allein unter der Marke DSV zu firmieren. In Basel war es schon zuvor zu einem starken Stellenabbau gekommen, dieser Standort spielt heute keine Rolle mehr bei DSV. Die Kultur von Panalpina ist laut einem ehemaligen Mitarbeiter von den Dänen ausgelöscht worden.
Ein Profiteur dieser Entwicklungen war der Hauptkonkurrent Kühne + Nagel: Ihm gelang es damals, viele verärgerte Panalpina-Mitarbeitende und auch Kunden abzuwerben. Das Unternehmen aus Schindellegi hofft jetzt erneut auf einen ähnlichen Effekt.
Wird Kühne + Nagel der lachende Dritte?
Auf die Frage von The Market nach den Folgen des DSV-Schenker-Zusammenschlusses hält Kühne + Nagel schriftlich fest, man liebe den Wettbewerb: «Der bevorstehende Wandel in der Logistikbranche ist eine sehr gute Gelegenheit für uns, neue Kunden und Mitarbeitende zu gewinnen.» Man habe bereits die ersten Kunden willkommen geheissen, die nicht die Rechnung für die Konsolidierung bezahlen wollten. Es ist anzunehmen, dass Unternehmen, die Kunde sowohl von DSV als auch von Schenker sind, noch einen weiteren Spediteur suchen. Es gilt, bei der Organisation der Lieferketten ein zu grosses Klumpenrisiko zu vermeiden.
Die Helvetische Bank erinnert daran, dass bei Grossübernahmen oft die Synergie anfangs überschätzt und die harte Integrationsarbeit unterschätzt werde. Da könne es sein, dass DSV in den nächsten zwei Jahren «etwas zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein wird, was dann eine Chance für andere Logistikunternehmen wie Kühne + Nagel wäre». Verwiesen wird auf das Beispiel aus dem Bereich der Aromen- und Riechstoffhersteller, wo nach dem Zusammenschluss von DSM und Firmenich Givaudan «der lachende Dritte» gewesen sei. Zudem war die Übernahme von Schenker durch DSV nicht unumstritten. Im Bieterverfahren war zuletzt noch Finanzinvestor CVC im Rennen, der vom Schenker-Betriebsrat und von den Gewerkschaften klar bevorzugt wurde.
CEO Jens Lund hatte gegenüber dem deutschen «Handelsblatt» bereits klargemacht, dass das Unternehmen auch künftig unter dem Namen DSV firmieren werde, «wir haben gelernt, dass Doppelmarken für uns nicht funktionieren». In der Branche traut man es den Dänen aufgrund ihrer Erfahrung mit Übernahmen und ihres direkten Vorgehens zu, Schenker erfolgreich zu integrieren.
DSV wird mit Schenker zwar an die Spitze der Transport- und Logistikdienstleister rücken, mit einem selbst geschätzten globalen Marktanteil von 6 bis 7%. Doch der Markt bleibt stark fragmentiert, die zwanzig grössten Anbieter vereinen nur 30 bis 40% auf sich. Die seit Jahren andauernde Konsolidierung in der Branche wird weitergehen.
Auch Kühne + Nagel hat genügend Finanzkraft, um sich daran zu beteiligen. Man hatte sich notabene ebenfalls Gedanken über den Erwerb von Schenker gemacht, allein oder mit einem Finanzpartner. Ein Hemmnis war, dass die Unternehmenskulturen als zu verschieden beurteilt wurden: Die DB-Tochter Schenker gilt als staatsverbunden, während Kühne + Nagel viel Wert auf Flexibilität legt.
Vor allem aber sind weder Kühne + Nagel noch der mit einem Aktienanteil von 54% dominierende Aktionär Klaus-Michael Kühne für eine Vorliebe für grosse Deals bekannt. Die bisher grösste Transaktion wurde 2021 durchgeführt: Damals erwarb das Unternehmen zum Wert von 1,4 Mrd. Fr. die Mehrheit an der chinesischen Apex, dem global siebtgrössten Luftfrachtanbieter, um die Präsenz in der Wachstumsregion Asien auszubauen.
Kühne + Nagel ist anders als DSV
Anhand dieses Falls zeigt sich auch ein wesentlicher Unterschied zu DSV: Kühne + Nagel hat Apex als eigenständig agierendes Unternehmen mit eigener Marke belassen – aus Rücksicht auf die kulturellen Eigenheiten in Asien. Man glaubt, lokale Kunden besser ansprechen zu können, indem die chinesisch geführte Apex in den Vordergrund gestellt wird und Kühne + Nagel nicht direkt als europäisches Unternehmen auftritt.
Die Börse wiederum scheint Logistiker wie DSV zu bevorzugen, die aggressiv auf externes Wachstum setzen. So favorisiert JPMorgan diejenigen Wettbewerber, die sich aktiv an der Konsolidierung in der Branche beteiligen und auf die Weise versuchen, ihre Kostenstruktur zu verbessern. Eine Auswertung von Analystenempfehlungen ergibt ein klares Bild: Im Fall von DSV stufen fünfzehn Analysten die Aktien mit «Kaufen» ein, und nur jeweils einer rät, sie zu halten respektive zu verkaufen. Die Titel von Kühne + Nagel finden dagegen schon seit längerem wenig Anklang: Sechs Analysten raten zum Verkauf, neun zum Halten und nur fünf zum Kauf.
Die Kursentwicklung unterstreicht die Vorlieben: Die DSV-Aktien haben in diesem Jahr in Franken gerechnet rund 28% zugelegt, womit der neue Branchenleader einen Marktwert von über 40 Mrd. Fr. aufweist. Die Valoren des Schweizer Konkurrenten haben 22% verloren, sodass sein Marktwert auf weniger als 27 Mrd. Fr. gesunken ist.
Besonders stark litt der Aktienkurs von Kühne + Nagel nach der Präsentation des Jahresergebnisses für 2023 Anfang März: In nur drei Handelstagen brach er mehr als 17% ein. Nach einer zweijährigen, pandemiegetriebenen Sonderkonjunktur war im vergangenen Jahr Normalität eingekehrt, und der Betriebsgewinn (Ebit) sank um fast die Hälfte auf 1,9 Mrd. Fr.
Laut einem Fondsmanager, der anonym bleiben will, sind die Resultate für das Schlussquartal 2023 enttäuschend ausgefallen, und das Management hat bei der damaligen Präsentation «schlecht kommuniziert». In der Folge sei im Markt die Skepsis gewachsen, ob der Konzern seine Ziele, die er mit der vor gut anderthalb Jahren eingeführten «Roadmap 2026» verfolgt, erreichen könne.
Das Management von Kühne + Nagel habe sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Fortschritte durch sein Effizienzprogramm von sehr turbulenten Marktbedingungen überdeckt würden und von aussen nicht zu sehen seien. Mit dem im Juli präsentierten Halbjahresergebnis 2024 konnte das Unternehmen die Erwartungen dann überbieten, und die Zürcher Kantonalbank resümierte, dass die Effizienzsteigerungen Früchte tragen.
Das Signal der Frachtraten
Die Marktbedingungen bleiben turbulent. Das zeigt sich auch im Auf und Ab der Frachtraten, die in der Seefracht für einen Standardcontainer zu zahlen sind. Ihre Höhe ist vor allem für die mit Fixkosten belasteten Reedereien von zentraler Bedeutung, aber auch wichtig für die Transport- und Logistikdienstleister, die daran einen Prozentsatz verdienen. Sind die Frachtraten im Keller, verliert Kühne + Nagel im Gegensatz zu den Reedereien jedoch kein Geld.
Infolge der explosiven Lage im Nahen Osten mit den Rebellenangriffen auf Schiffe im Roten Meer stiegen die Frachtraten Anfang 2024 stark. Der World Container Index (WCI) ist jüngst von sehr hohen Levels deutlich gefallen, allein im September 29%, was auch auf Kapazitätserhöhungen durch neue Schiffe und mehr verfügbare Container zurückgeführt wird. Mit der Beilegung des Streiks der Hafenarbeiter an der US-Ostküste und im Golf von Mexiko entfällt ein weiterer Grund, der die Frachtraten hätte steigen lassen können.
Laut ZKB bleiben die Luftfrachtraten währenddessen «relativ stabil». Durch den Zusammenschluss von DSV und Schenker wird Kühne + Nagel notabene ihre Stellung als weltweite Nummer eins in der Luftfracht verlieren. In der Seefracht dagegen kann der Schweizer Transport- und Logistikdienstleister seine Position an der Spitze halten.
Ein besonderes Augenmerk wird wie immer auf der Konversionsrate liegen: Sie zeigt das Verhältnis von Ebit zu dem um die Frachtraten bereinigten Umsatz (Rohertrag) und spiegelt die eigentliche Leistung von Kühne + Nagel. Nachdem sie 2023 von Quartal zu Quartal zurückgegangen war, zog sie jüngst an und lag im ersten Halbjahr mit 18% wesentlich über dem Wert von 13%, der im Vor-Covid-Jahr 2019 erreicht wurde.
Ist der Markt zu skeptisch?
Der anonyme Fondsmanager richtet seinen Blick etwas weiter, auf die Ziele der «Roadmap 2026». Kühne + Nagel stelle bis zu diesem Jahr implizit, ohne eine konkrete Zahl zu nennen, einen Ebit von 2,5 bis 3 Mrd. Fr. in Aussicht. Der Markt erwartet dagegen nur knapp 1,9 Mrd. Fr., etwas weniger als vergangenes Jahr.
Die Frage sei nun, ob der Betriebsgewinn auf Stufe Ebit ab 2025 steigen könne: «Der Markt sagt Nein, das Management sagt Ja.» Für den Fondsmanager ist diese Ausgangslage aus Anlegersicht interessant. Erweisen sich die Markterwartungen nämlich als zu vorsichtig, sollten die Titel von Kühne + Nagel zulegen, sobald die Analysten die Gewinnschätzungen nach oben revidieren – zumal die Bewertung der Aktien heute im langfristigen Durchschnitt liege und der Konzern zuverlässig Mehrwert für die Aktionäre generiere.
The Market schliesst sich dieser Ansicht an. Die Valoren von Kühne + Nagel zählen zu den Schweizer Qualitätsaktien und sind auf dem derzeit gedrückten Kursniveau eine Kaufüberlegung wert – zumal der DSV-Schenker-Zusammenschluss eben auch Chancen eröffnen wird, organisch weiter zu wachsen.