Fast 500 Ukrainer und Russen sind in ihre Heimat zurückgekehrt, teilweise nach fast zwei Jahren Haft. Das Schicksal der Kriegsgefangenen bewegt Politik und Gesellschaft in beiden Ländern.
Moskau und Kiew haben am Mittwoch den grössten Gefangenenaustausch seit Beginn von Russlands Invasion vollzogen. Laut Angaben der beiden Regierungen kamen 230 Ukrainer und 248 Russen frei, mit wenigen Ausnahmen Militärangehörige. Während der Kreml keine Details nannte, meldete Kiew, es handle sich grösstenteils um Männer, die in Mariupol und auf der Schlangeninsel in Gefangenschaft geraten seien – teilweise vor fast zwei Jahren.
Auf den Bildern aus der Ukraine sind in die Nationalflagge gehüllte Soldaten mit freudigen Gesichtern zu sehen. Manche wirken versehrt und gehen auf ihre Kameraden gestützt. Die Kriegsgefangenschaft in Russland, wo Folter laut der Uno zum Alltag gehört, hat Spuren hinterlassen.
Die Emirate haben vermittelt
Dennoch ist der 49. Austausch seit dem Frühjahr 2022 ein Hoffnungsschimmer für jene, die weiterhin festgehalten werden: Es ist nämlich der erste seit dem 7. August, als einige Dutzend Männer freikamen. Sie waren damals die vorerst letzten der knapp 2600 Ukrainerinnen und Ukrainer, die nach Hause durften.
Für die monatelange Unterbrechung machten sich die Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich. Einfach sind die Gespräche nicht gewesen, wie sowohl Moskau als auch Kiew erklärten. «Es gab eine lange Pause beim Austausch», stellte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski klar, «aber keine Pause in den Verhandlungen.» Zum Erfolg beigetragen hätten auch vertrauensbildende Massnahmen der letzten Wochen, etwa Besuche in Gefangenenlagern und die Verteilung warmer Kleidung.
Bemerkenswert ist die zentrale Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate bei den Verhandlungen. Diese waren in der Vergangenheit kaum als Vermittler im Ukraine-Krieg aufgefallen, haben während der letzten Monate aber offenbar eine neue Bedeutung erlangt.
Der Golfstaat pflegt gute Beziehungen mit Kiew und Moskau, aber auch mit den USA: Die Emirate waren vor einem Jahr zusammen mit Saudiarabien bereits federführend beteiligt, als die von Russland gekidnappte amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner gegen den Waffenhändler Wiktor But ausgetauscht wurde.
Moskau zeigt Kalkül
Das Schicksal der Kriegsgefangenen bewegt die russische wie die ukrainische Öffentlichkeit. In Kiew und anderen Städten finden immer wieder Kundgebungen von Familienangehörigen statt, die mehr Anstrengungen der Regierung fordern, um die Festgehaltenen freizubekommen.
In Russland ist das Verhältnis zu den Gefangenen ambivalenter. Viele Propagandisten werten es als Feigheit oder Verrat, wenn sich ein Soldat in Gefangenschaft begibt, statt auf dem Schlachtfeld zu fallen. Als der Kreml zudem im September 2022 den prorussischen Oligarchen Wiktor Medwedtschuk und 55 Kriegsgefangene im Tausch gegen 215 ukrainische Kämpfer zurückholte, die grösstenteils aus dem nationalistischen Asow-Regiment stammten, sorgte dies für Unwillen.
Nun scheint ein neuer Austausch für Moskau politisch aber wieder opportun geworden zu sein. Es fällt auf, dass anders als früher der Grossteil der ukrainischen Kriegsgefangenen beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz registriert waren und deshalb Schutz genossen.
Damit wollen die Russen wohl auch der starken internationalen Kritik an der unmenschlichen Behandlung der Gefangenen begegnen, wie das Institute for the Study of War mutmasst. Zuletzt hatte auch ein Video für Empörung gesorgt, das die Exekution von drei ukrainischen Kriegsgefangenen in der Region Saporischja zeigen soll.
Experten gehen davon aus, dass sich weiterhin deutlich mehr Ukrainer in russischen Anstalten befinden als umgekehrt – auch, weil in den besetzten Gebieten die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Gefangenen verschwimmen. Kiew spricht von gesamthaft 4000 Menschen. Dennoch zeigte sich der Zuständige auf ukrainischer Seite relativ optimistisch, dass in den nächsten Wochen ein weiterer Austausch stattfinden könnte.