Bankenkrisen sind ähnlich wie Pandemien oder Naturkatastrophen. Ohne ausserordentliche Massnahmen lassen sie sich nicht lösen.
Die Schweiz führt seit 25 Jahren immer dasselbe Theaterstück auf. Ein Grossunternehmen gerät in eine schwere Krise, dann zeigen sich alle empört über die Staatsintervention, darauf beschliesst die Politik eine neue Regulierung – bis ein paar Jahre später ein anderes Grossunternehmen in eine schwere Krise gerät und vom Staat gerettet werden muss. Das Ganze erinnert an die Aufführungspraxis eines Pariser Kleintheaters an der Rive Gauche. Seit 1957 wird dort das Stück «Die kahle Sängerin» von Eugène Ionesco, dem Schöpfer des absurden Theaters, jeden Tag aufgeführt.
Wird sich dieses Ritual auch in Zukunft wiederholen? Es sieht ganz danach aus. Denn die Vorstellung, dass eine künftige Bankenkrise ohne Staatseingriff bewältigt werden kann, ist schlicht utopisch, weil der Ausbruch der Krise kaum voraussagbar ist. Der Untergang der Credit Suisse ist geradezu ein Musterbeispiel. Dass es der Bank nicht gut ging, war schon lange bekannt. Aber von der schnellen Wende zum Schlechteren im März 2023 waren fast alle überrascht. Am Schluss brauchte es den beherzten Eingriff des Staates, um die Fusion mit der UBS zu ermöglichen. Ohne Staatsintervention hätte sich der CS-Kollaps leicht zu einer internationalen Systemkrise ausweiten können.
Die Struktur ist das Problem
Der Grund für die Instabilität ist die Struktur des heutigen Bankensektors. Er bewegt enorme Volumina, hat wenig Eigenkapital und ist international so eng vernetzt, dass sich Erschütterungen an einem Ort sehr schnell auf einen anderen Ort übertragen. Das Endspiel der Credit Suisse begann, nachdem einige mittelgrosse amerikanische Banken bankrottgegangen waren und ein saudischer Aktionär jede weitere Kapitalspritze mit den Worten «absolutely not» ausgeschlossen hatte.
Hätten nicht die Aufsichtsbehörden die Pflicht, rechtzeitig einzugreifen? Das ist nicht nur eine utopische, sondern auch eine fahrlässige Forderung. Sie ist utopisch, weil es enorm schwierig ist, den richtigen Zeitpunkt für eine Intervention zu erkennen, und sie ist fahrlässig, weil damit die ganze unternehmerische Verantwortung einem staatlichen Gremium übertragen wird. Die seit Monaten anhaltende Kritik an der Finma ist deshalb völlig überzogen. Wenn wir erwarten, dass eine staatliche Behörde eine Krise verhindern muss, hat die Bank keinerlei Anreiz mehr, die Risiken streng zu kontrollieren. Geht etwas schief, kann sie nämlich immer nach Bern zeigen und sagen: Ihr seid schuld!
Das Eingeständnis, dass der Staat bei einer schweren Bankenkrise eingreifen muss, mag für viele moralisch verwerflich sein. Fehlbare Banker müssen bestraft werden. Aber nachdem sich gezeigt hat, dass es nicht anders geht, bleibt uns gar keine andere Wahl, als uns von dieser Vorstellung zu verabschieden. Zudem ist der Staatseingriff bei einer Bankenkrise gut begründbar. Wie eine Pandemie oder eine Naturkatastrophe hat sie das Potenzial, viele unschuldige Menschen zu schädigen, und erfordert deshalb ausserordentliche Massnahmen. Auch bei einem Feuer greift der Staat automatisch ein. Oder soll die Feuerwehr jede Hilfe verweigern, wenn sich herausstellt, dass die Bewohner fahrlässig gehandelt haben?
Vorbereitung ist alles
Natürlich bedeutet dieses Eingeständnis nicht, dass wir keinerlei Massnahmen mehr ergreifen sollten. Um beim Feuerbeispiel zu bleiben: Die feuerpolizeilichen Auflagen haben durchaus Wirkung gezeigt. Zudem haben die meisten Hausbesitzer die finanziellen Risiken durch den Abschluss einer Feuerversicherung reduziert. Übertragen auf die Bankenregulierung heisst dies: Die Finma sollte Bussen aussprechen und das Topmanagement bei schlechter Geschäftsführung leichter bestrafen können, die Auslandfilialen sollten eine vom Mutterhaus unabhängige Refinanzierungsfazilität aufbauen, das Eigenkapital sollte weiter erhöht werden, und die Bonussysteme müssen revidiert werden, wenn sie immer noch falsche Anreize setzen.
Aber damit ist eben nicht garantiert, dass die UBS für alle Zukunft von Krisen verschont bleiben wird. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch die letzte internationale Grossbank der Schweiz einmal erwischen wird, ist recht gross. Entscheidend ist deshalb, dass sich die staatlichen Behörden jetzt schon auf diesen GAU vorbereiten und sich überlegen, wie weit sie zu gehen bereit sind, um einen internationalen Bank-Run auf die UBS sofort stoppen zu können. Eine erprobte Massnahme ist, den Abzug von Guthaben vorübergehend einzuschränken. Das hat man zuletzt in Griechenland und Zypern mit Erfolg praktiziert. Wer nun einwendet, das sei für die Schweiz undenkbar, hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Wir brauchen eine Finanzfeuerwehr, die über genügend Mittel verfügt, um das Feuer schnell löschen zu können.
Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich