Das Gastland der diesjährigen Buchmesse löste mit der Auswahl für die offizielle Delegation einen heftigen Streit aus. In Frankfurt hat sich die Streitlust unter den italienischen Intellektuellen zur gediegenen Langeweile verflüchtigt.
Zensur!, zeterten einige italienische Schriftsteller im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse. Regierungskritische Autoren wie Roberto Saviano oder Antonio Scurati seien bewusst von der offiziellen Delegation ausgeschlossen worden, die das diesjährige Gastland an der Buchmesse vertrete, so lautete der Vorwurf. Auf Geheiss der Regierung habe man politisch unliebsame Stimmen von der kulturellen und politischen Selbstdarstellung Italiens auf einer prominenten Bühne fernhalten wollen.
Ein kleinlicher, nachtragender Staat ist keine schöne Sache. Er beweist Unreife; und eine Delegation aufgrund der richtigen Gesinnung zusammenzusetzen, zeugt von Unsicherheit. Für die verschmähten Schriftsteller hätte es ein Triumph sein können: So gefährlich sind wir! Aber nein, sie schreien Zeter und Mordio und geben damit ihrerseits ein Zeugnis erstaunlicher Mimosenhaftigkeit.
So flogen die Fetzen, noch ehe das Fest in Frankfurt begann. Und man freute sich auf eine Fortsetzung, wenn die Auserwählten und die Verschmähten sowie die solidarisch aus der Delegation zurückgetretenen Autoren in Frankfurt aufeinandertreffen würden. Denn am Ende kamen sie dann doch alle an die Buchmesse: Roberto Saviano wie Antonio Scurati oder Francesca Melandri, die ein Protestschreiben mitunterzeichnet und auf eine Teilnahme in der offiziellen Delegation verzichtet hatte.
Revolte der Abtrünnigen
Aber sei es, dass der Streit bloss ein theatralisches Intermezzo gewesen ist, sei es, dass die Autoren im Augenblick der Ankunft in Frankfurt der Polemiken müde geworden waren: Allenthalben wurden weisse Fahnen gehisst, es herrschte gähnend müde Einmütigkeit, gefeiert aber wurde hüben wie drüben.
Im italienischen Gastlandpavillon hatte man einen klassischen Tempel (mit griechischer Anmutung) errichtet; in den Ausstellungen darum herum zelebrierte man das untergegangene Italien: Pompeji und Machiavellis «Principe». In diesem gediegen toten Ambiente diskutierten ein paar alte Herren, die alle einen Vorzug hatten, der zugleich ihr grösster Nachteil war: Sie dozierten eloquent, bis man ihnen das Wort abschnitt, was sich kaum einer getraute, denn, siehe oben: Zensur!
Draussen, auf den inoffiziellen Bühnen, liessen sich die Verschmähten feiern. Vielmehr, sie inszenierten sich operettenhaft als die «Abtrünnigen auf der Buchmesse», wie der Schriftsteller Paolo Giordano sich und seine Mitstreiter nannte. Jedenfalls kann man nicht behaupten, dass diese Abtrünnigen auch die Zukurzgekommenen gewesen wären. Sie hatten mitunter mehr Zulauf. Umgekehrt blieb aber auch ein Antonio Scurati, der gerade den letzten Teil seiner Mussolini-Tetralogie veröffentlicht hat, den alten Herren im offiziellen Italien-Pavillon in Langeweile nichts schuldig.
Geschlagene zehn Minuten lang erklärte Scurati einem mit grossen Augen zuhörenden Publikum, wie Mussolini die Italiener für sich gewonnen hatte: indem er ihnen gesagt habe, das komplexe moderne Leben sei gar nicht so komplex, sondern sehr einfach. Man müsse bloss den ausländischen Feind bekämpfen. Scurati lieferte damit seinerseits beste Anschauung für Komplexitätsreduktion.
Der Elefant im Raum
Von so viel Leidenschaftslosigkeit konnte man sich bei Chiara Valerio und Antonio Franchini erholen. Die beiden Autoren, die zugleich auch Verlagslektoren sind, lieferten sich eine grandiose und durchaus nicht jugendfreie Redeschlacht über die Freuden und Leiden professioneller Vielleser. Sie fluchten mit den härtesten Schimpfwörtern über schlechte Manuskripte, eitle Autoren und unlesbare Klassiker. Ein Wort gab hier das andere, so dass sich das Gespräch der beiden in einem fulminanten Crescendo zu einem ebenso geistreichen wie vergnüglichen Wettstreit der Boshaftigkeiten steigerte. Sie taten es nicht als zynische Kulturpessimisten, sondern aus einer offenkundig unauslöschbaren, wiewohl höchst komplizierten Liebe zu Büchern.
Nur den Elefanten im Raum wollte niemand im Italien-Pavillon sehen. Kunstvoll sparten alle Gespräche sorgsam die leere Mitte einer schwierigen, nun ja: komplexen Gegenwart aus und beschwiegen den Konflikt einer geteilten Delegation.
Das bescherte dem Publikum immerhin ein paar köstliche Momente unfreiwilliger Komik. Der Politologe Alessandro Campi sagte in einer Debatte zum Thema «Kultur vereinigt», er würde gerne mit Antonio Scurati diskutieren. Er hätte bloss eine Etage tiefer gehen müssen, da hätte man sich gefunden. Und der junge Journalist Francesco Borgonovo von der rechtsnationalen Mailänder Zeitung «La Verità» rief mit hohepriesterlicher Attitüde dazu auf, mehr Konflikt zu wagen. Alle nickten eifrig – und gingen befriedigt auseinander.