Die Aktien des weltgrössten Auftragsfertigers Lonza erfordern einen besonders langen Anlagehorizont. Trotz hoher Bewertung sind sie auch auf dem fortgeschrittenen Kursniveau kaufenswert; die langfristigen Trends laufen zu ihren Gunsten.
Der bisherige Gewinner im Swiss Market Index (SMI) ist Lonza. Die Aktien des weltgrössten Auftragsfertigers für die Pharma- und die Biotech-Branche haben seit Anfang Jahr 53% zugelegt. Damit stellen sie die zweitplatzierte ABB 📈(+31%) klar in den Schatten. Unter den elf Mitgliedern in der Favoritenliste 2024 von The Market schneidet bisher nur Accelleron📈 (+76%) noch besser ab als Lonza.
Bei einer solch spektakulären Kursentwicklung innerhalb weniger Monate und dann noch bei einem grosskapitalisierten Standardwert stellt sich unweigerlich die Frage, ob damit das Potenzial bereits ausgeschöpft ist. Die nach herkömmlichen Kriterien gemessen stattliche Bewertung der Titel (KGV 2025: 33) müsste zur Vorsicht mahnen.
The Market ist indes der Meinung, dass Lonza ein qualitativ hervorragender Wachstumswert ist, der in einem langfristig ausgelegten Wertschriftenportfolio auch auf dem derzeitigen Bewertungsniveau seinen Platz verdient.
Hausaufgaben gemacht
Zuversichtlich stimmt, dass die Unternehmensführung ihre strategischen Aufgaben gemacht hat – wenn auch mit einiger Verzögerung. Es war vor allem der holprige Abgang des langjährigen starken Mannes, Albert Baehny, der in der anspruchsvollen Übergangsphase nach der Pandemie für Unruhe und Enttäuschungen unter den Investoren gesorgt hat. An der letzten Generalversammlung im Mai hat er das VR-Präsidium an den Niederländer Jean-Marc Huët, den Verwaltungsratspräsidenten von Heineken, übergeben.
Bereits im Sommer 2024 konnte mit Wolfgang Wienand ein Branchenkenner für die Position des Konzernchefs gefunden werden. Die letzten fünf Jahre führte er die Geschäftsleitung des grössten einheimischen Konkurrenten Siegfried. Gemessen an der Kursentwicklung von Siegfried 📈war sein Leistungsausweis noch besser als der seines neuen Arbeitgebers.
Auch der Verwaltungsrat erfährt eine Erneuerung. An der nächstjährigen Generalversammlung werden drei neue, unabhängige Mitglieder für die Wahl in den Verwaltungsrat vorgeschlagen. Damit wächst das Gremium von acht auf zehn Mitglieder, was eine modernere Unternehmensführung gewährleisten und die unter Baehny zu stark gewordene Machtkonzentration beenden sollte.
Die personellen Änderungen an der Führungsspitze stoppten das Siechtum, das den Börsenwert von Lonza innerhalb von zwei Jahren halbiert hatte. Seit dem Tief im Oktober 2023 hat sich der Aktienkurs um 77% erholt, notiert jedoch noch immer gut 30% unter dem vor drei Jahren markierten Allzeithoch.
Mit dem neuen Konzernchef und dem neuen Verwaltungsratspräsidenten habe die Stimmung nach dem Coronakater wieder gedreht, sagt Sibylle Bischofberger, Analystin von Vontobel: «Die Liebe für Lonza ist zurück.» 26 Analysten führen eine Kaufempfehlung, nur fünf haben die Valoren auf «Halten», und niemand rät zum Verkauf.
Risikoarmer Kapazitätsaufbau
Ein weiterer Grund, weshalb sich das Blatt erneut zugunsten von Lonza gewendet hat, ist das ambitionierte Investitionsprogramm, dem sich die Gesellschaft verschrieben hat. In absoluten Zahlen hat sie in den vergangenen fünf Jahren noch nie so viel in den Aufbau neuer Produktionskapazitäten investiert. Der Zenit wurde 2022 erreicht, als mehr als 1,8 Mrd. Fr. oder 29,4% des Umsatzes dafür aufgewendet wurden. In der ersten Hälfte dieses Jahres waren es noch 20,3% (i. V. 24,9).
Diese riesigen Investitionen müssen finanziert werden, was die Schulden in die Höhe treibt. Mitte dieses Jahres beliefen sich die Nettoschulden auf 1,6 Mrd. Fr. oder auf mehr als das Dreifache des Vorjahres. Doch das ist erst der Anfang: Die Analysten gehen davon aus, dass die Nettoschulden auf gut 3 bis über 4 Mrd. Fr. zunehmen werden.
Die Milliardeninvestitionen sind eine Wette auf die Zukunft – aber im Fall von Lonza eine sorgfältig kalkulierte. Das Unternehmen investiert erst dann in neue Anlagen, wenn ein Ankerkunde (meist ein grosser Pharmakonzern) mit an Bord ist und sich zu gewissen Abnahmevolumen verpflichtet hat. Wie viel der neuen Kapazitäten im Voraus gebucht werden muss, ist je nach Anlage und Unternehmen unterschiedlich und geheim. Analystin Bischofberger schätzt, dass es bei Lonza mindestens ein Drittel sein dürfte.
Der Bau einer neuen Fabrik und das schrittweise Herauffahren der Produktion sind ein mehrjähriger Prozess. Für die Errichtung einer grossen Biotech-Anlage werden drei bis vier Jahre veranschlagt. So lange ist es ein margenschmälerndes Verlustgeschäft. Rund sieben Jahre nach Baubeginn erreicht eine Grossanlage ihren Produktionszenit. Dann glänze sie mit einer Rendite auf dem eingesetzten Kapital (ROIC) von über 30%, rechnet Lonza vor. Bei kleineren Anlagen ist der Zyklus ein bis zwei Jahre kürzer.
Neue Anlagen sind laufend besser, aber nie vollständig ausgelastet. Laut Bischofberger liegt die maximale Auslastung bei 80 bis 90%, «damit ein Auftragsfertiger für seine Kunden immer eine Kapazitätsreserve hat, die er kurzfristig anbieten kann», sagt sie. Auch für unerwartete Unterhaltsarbeiten braucht es Reserven.
Die Kunst eines Auftragsfertiger ist es, nicht nur lukrative, sondern auch zeitlich geschickt überlappende Projekte zu verfolgen. Offensichtlich gelingt das Lonza sehr gut. Im Schnitt würden die mehr als zwanzig laufenden Grossprojekte rund das Doppelte der Kapitalkosten einspielen, heisst es.
Lonza befindet sich klar auf Wachstumskurs. Die Analysten sind sich einig, dass sowohl Umsatz wie auch operativer Gewinn auf Stufe Ebitda in den kommenden Jahren rasant wachsen werden. Am Kapitalmarkttag vom 12. Dezember wird das neue Lonza-Management näher aufzeigen, wohin die Reise geht.
Im vergangenen Herbst wurde das mittelfristige Wachstumsziel beim Umsatz in Lokalwährung bei durchschnittlich 11 bis 13% angesiedelt. Diesen März wurde es auf 12 bis 15% nach oben angepasst. Das war dem Erwerb einer bestehenden Fabrik in Kalifornien zu verdanken. Für 1,2 Mrd. $ kaufte Lonza das ehemalige Werk der Roche-Tochter Genentech in Vacaville. Die gut 750 Mitarbeitenden sind nun für Lonza tätig.
In Vacaville steht der weltgrösste Bioreaktor (330ʼ000 Liter). In den vergangenen zwanzig Jahren diente er zur Herstellung von Avastin und Herceptin, einigen der erfolgreichsten Krebsmittel von Roche, mit denen Milliarden eingenommen wurden. Seit Nachahmerprodukte auf dem Markt sind, gingen die Volumen aus Vacaville zurück.
In einem ersten Schritt wird Lonza die verbleibenden Roche-Produkte weiterhin herstellen und dann die Produktion langsam runterfahren. Gleichzeitig wird das in die Jahre gekommene Werk modernisiert und ausgebaut. Dafür wendet das Unternehmen weitere 500 Mio. Fr. auf.
Ab 2029 rentiert sich die neue Fabrik in Kalifornien
Bei den auf Säugetierzellen basierenden Biotech-Produkten verdoppelt Lonza ihre Kapazitäten auf einen Schlag. Damit stehen im Bereich Biologics dringend benötigte Produktionskapazitäten zur Verfügung. Die neuen, in den vergangenen Jahren in Visp (VS) errichteten Kapazitäten sind bereits vergeben.
Ex-Genentech-Fabrik verdoppelt Lonzas Fertigungskapazität
Dank Vacaville erschliesst sich Lonza aber nicht nur schneller neue Kapazitäten, sondern zudem in der bevorzugten Region USA. Der Handelskrieg zwischen den USA und China färbt auf den Gesundheitssektor ab. Der Zugang zu günstigen Auftragsfertigern in China ist für westliche Konzerne heikel geworden. In einigen Jahren könnte er gänzlich verbaut sein, wenn es nach dem Gusto der amerikanischen Politik geht.
Amerikanischer Protektionismus hilft Lonza
Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das amerikanische Parlament einem Gesetz zustimmt, das die chinesischen Auftragsfertiger in ihrer Tätigkeit stark einschränkt und den westlichen Anbietern – und Lonza im Besonderen – einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wird.
Mit dem Biosecure Act soll wegen Bedenken mit Blick auf die nationale Sicherheit die Zusammenarbeit amerikanischer Unternehmen mit chinesischen Auftragsfertigern untersagt werden. Konkret werden WuXi Apptec, MGI, BGI Group, Complete Genomics und WuXi Biologics genannt. Sie hätten direkten Bezug zur chinesischen Kommunistischen Partei, heisst es im Gesetzesantrag. Der Bann würde aber auch nichtamerikanische Gesellschaften tangieren. Sie müssten bis spätestens 2032 beweisen, dass sie nicht von den genannten Unternehmen hergestellte Wirkstoffe verwenden, wenn sie ihre Medikamente weiterhin an staatlich finanzierte Gesundheitsorganisationen (Medicaid, Medicare) verkaufen wollen.
Anfang September hat das US-Repräsentantenhaus das Gesetz mit 306 zu 81 Stimmen gutgeheissen und die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht. Nun muss auch noch der Senat zustimmen, bevor es dem US-Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt wird. Vor den Präsidentschaftswahlen wird das nicht mehr passieren. Befürworter hoffen darauf, dass das Gesetz Bestandteil des jährlichen Verteidigungsbudgets (National Defense Authorizations Act) sein wird und noch vor Jahresende durchkommt.
Eine achtjährige Karenzfrist erscheint lang. Doch in diesem Geschäft ist das wenig. Es basiert auf mehrjährigen Verträgen, die nicht sofort gestoppt werden können. Es wäre heute unmöglich, in der gesamten Lieferkette auf chinesische Zulieferer zu verzichten, meint Bischofberger. Der neue Chef von Lonza habe geschätzt, es würde fünfzehn bis zwanzig Jahre dauern, bis die Wertschöpfungskette gänzlich auseinandergenommen sei.
Wegen dieses langen Zeitraums sind die Auswirkungen des Biosecure Act auf die Auftragsfertiger in den Bewertungsmodellen der Analysten noch nicht enthalten. Doch das Ausmass werde wohl unterschätzt, meint Bischofberger, weil die westlichen Pharmaunternehmen bereits jetzt die geänderten Spielregeln antizipierten. «Langfristig hat das Gesetz sehr wohl einen Einfluss, kurzfristig nicht, ausser, dass es bei der Auftragsvergabe zusätzliches Interesse an westlichen Auftragsfertigern weckt», sagt sie.
Laufende Projekte werden regulär beendet, doch keine neuen Verträge mit chinesischen Anbietern abgeschlossen. Eine vom US-Beratungsunternehmen L.E.K. diesen Sommer erhobene Umfrage zeigt eindeutig, wie sich das Verhalten der Biopharmakonzerne gegenüber chinesischen Auftragsfertigern bereits verändert hat.
Helle Aussichten
Nach zwei, drei Jahren sollte Lonza das frühere Rentabilitätsniveau wieder erreichen und anschliessend den Weg zu neuen Bestmarken nehmen. Dieses und nächstes Jahr ist indes Geduld gefragt, denn die publizierten Geschäftszahlen werden eher schwach ausfallen. Das gilt wohl auch für die morgen Donnerstag für das dritte Quartal 2024 veröffentlichten Eckwerte. Derzeit läuft nur das traditionelle Geschäft mit chemisch hergestellten Medikamenten (Small Molecules) gut, das aber lediglich etwa 14% der Gesamteinnahmen bestreitet.
Aus Sicht von The Market ist es bei Lonza angebracht, eine sehr lange Anlageoptik einzunehmen. Die Qualität des Unternehmens ist gegeben, das Geschäftsmodell funktioniert.
Temporäre Kursrückschläge schaffen Gelegenheiten, um sich diesen Wachstumstitel für längere Zeit ins Depot zu legen. Die nötige Geduld sollte sich langfristig auszahlen.