Eine wirtschaftliche Chance erster Güte für die einen – für andere eine drohende ökologische Katastrophe: Das geplante Lithiumbergwerk in Westserbien spaltet das Land. Ein Augenschein.
An jedem Herbstabend macht Zoran Filipovic den Stall auf und führt seine Schafe nach draussen. Sie fressen ein paar Maiskolben, die sie auf dem abgeernteten Maisfeld finden, dann verstreuen sie sich auf der benachbarten Wiese. «Bei uns erzeugen wir fast alles selbst, was wir zum Leben brauchen», sagt der 55-jährige Serbe. «Wir pflanzen Mais, Soja und Weizen, halten Hammel und Schweine.»
Im Folienzelt neben dem Stall wachsen Paprika und Tomaten, hinter dem Haus im Garten gedeihen Kohl und Kohlrabi, sonst gibt es noch Brombeeren und Pflaumen, aus denen Filipovic jedes Jahr seinen Rakija-Obstbrand destilliert. «Der Herr meint es gut mit uns, die Böden sind fruchtbar, es gibt auch genug Grundwasser», sagt der Bauer, dessen Familie seit fünf Generationen im westserbischen Jadar-Tal, unweit der Grenze zu Bosnien-Herzegowina, lebt. «Wir dürfen das Land unserer Vorfahren nicht einfach hergeben, wir sind bereit zu kämpfen, damit alles beim Alten bleibt.»
Das wird nicht einfach, denn es geht um viel Geld. Unter Filipovics Feldern im Dorf Gornje Nedeljice liegt ein Schatz, nach dem die Autoindustrie in ganz Europa verlangt: Lithium. Vor zwanzig Jahren, als der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto die Vorkommen entdeckte, war das Leichtmetall nicht sonderlich begehrt. Inzwischen spielt Lithium eine fundamentale Rolle bei der grünen Transformation und der Wende zur Elektromobilität, denn es ist für die Herstellung von Batterien für Elektroautos unentbehrlich.
Bis anhin wird das Leichtmetall, das in verschiedenen chemischen Verbindungen vorkommt, vor allem in Australien, Chile und China produziert. In letzter Zeit ist aber ein Wettrennen um die Reserven in verschiedenen Ländern Afrikas und Lateinamerikas ausgebrochen, bei dem die chinesischen Bergbaukonzerne besonders erfolgreich sind. Die chinesische Regierung hoffte, auch im serbischen Jadar-Tal zum Zuge zu kommen – Peking und Belgrad pflegen enge Beziehungen.
Dagegen ging Brüssel vor: Im Juni 2024 unterzeichneten Maros Sefcovic, der Vizepräsident der EU-Kommission, und der serbische Präsident Aleksandar Vucic die «strategische Vereinbarung zu nachhaltigen Rohstoffen, Batterie-Wertschöpfungsketten und Elektrofahrzeugen». Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war zu dem Festakt nach Belgrad gereist, um deutschen Konzernen exklusiven Zugang zu den Lithiumreserven zu sichern.
Seine Nebenrolle kam bei den Serben nicht gut an. «Die Deutschen haben 1941 in Draginac, nur sechs Kilometer von unserem Dorf entfernt, fast 3000 Dorfbewohner ermordet», schimpft Filipovic, der über die Partisanen im Zweiten Weltkrieg in der Schule gelernt hat. «Und jetzt kommen ihre Enkel nach Serbien, um unsere Umwelt zu zerstören und unsere Flüsse zu verpesten, damit die Deutschen elektrische Mercedes fahren können.»
Vucics seltsame Kehrtwende
Eigentlich hätte der Lithiumabbau im Jadar-Tal schon vor drei Jahren beginnen sollen. Im Januar 2022, nach landesweiten Protesten, entzog die Regierung aber Rio Tinto die Abbaulizenz. Es standen Präsidentschaftswahlen bevor – und Vucic befürchtete, wichtige Stimmen zu verlieren. Das Projekt wurde auf Eis gelegt, aber Rio Tinto blieb im Land und wartete – bis dann im Juni 2024 die Wende kam: Das Verfassungsgericht stellte rechtliche Fehler bei dem Lizenzentzug fest und ebnete so den Weg für einen Neubeginn.
Das geschah nicht gegen den Willen des Präsidenten. Vucic hatte seine Entscheidung gegen das Jadar-Projekt zuvor mehrmals als einen grossen Fehler bezeichnet. Nun verspricht er den Serben ein Wirtschaftswunder. Er will Investoren ins Land locken, Batteriefertigungen und E-Auto-Werke ansiedeln. Tausende von hochwertigen Arbeitsplätzen könnten so entstehen, behauptet er.
Doch die Mehrheit der Serben – unter ihnen auch manche Anhänger des Präsidenten – will nichts davon wissen. Nach einer Umfrage des Think-Tanks NSPM sind 55,5 Prozent der Befragten gegen den Lithiumabbau im Jadar-Tal, 25,6 Prozent befürworten ihn, während 18,9 keine Meinung dazu haben.
Seit der Unterzeichnung der Vereinbarung mit der EU sind Zehntausende Bürgerinnen und Bürger im ganzen Land gegen den Lithiumabbau auf die Strasse gegangen, nicht nur die Bauern aus dem Jadar-Tal. Die Kampagne gegen die Lithiummine ist zu einem Blitzableiter für viele Missstände geworden, sie mobilisiert Umweltschützer und Liberale, die Vucics Autoritarismus beklagen, aber auch Ultranationalisten und Rechtsradikale, die über die Kosovo-Politik des Westens und den «Ausverkauf der heiligen serbischen Erde» verärgert sind. Bei der bisher grössten Demonstration am 9. und 10. August protestierten gegen 50 000 Menschen allein in Belgrad gegen das Lithiumprojekt.
Vucic wird zunehmend nervös und schlägt um sich. Aktivisten, die gegen das Projekt sind, beschimpft er als Staatsfeinde, Verräter und ausländische Söldner, die eine «farbige Revolution» planen, um ihn zu stürzen. Und der amerikanische Botschafter in Belgrad behauptet, der Kreml schüre den Protest gegen Rio Tinto, um einen Keil zwischen Serbien und den Westen zu treiben. Spezialkräfte der Polizei trieben mehrmals friedliche Demonstranten auseinander, und Aktivisten wurden festgenommen und zu drastischen Haft- und Ordnungsstrafen verurteilt. «Mir warfen sie vor, Polizeibeamte angegriffen zu haben, was nicht stimmt», sagt Nebojsa Petkovic, einer der Anführer der Proteste und Mitgründer des Vereins Ne damo Jadar (Wir geben Jadar nicht her) in Gornje Nedeljice.
Petkovic musste kürzlich zu einer Gerichtsanhörung im regionalen Hauptort Loznica erscheinen. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu drei Jahre Haft. Andere Aktivsten, unter ihnen Aleksandar Matkovic, erhielten anonyme Morddrohungen. «Die Regierung will uns einschüchtern und hat internationale Unterstützung, wir aber haben das Volk auf unserer Seite», sagt der Versicherungsangestellte Petkovic. «Wenn wir uns gemeinsam diesem Übel entgegenstellen, werden wir gewinnen.»
Er hat vor kurzem einen offenen Brief an das deutsche Volk geschrieben und ihn auf Youtube vorlesen lassen. Darin ruft er die Deutschen zum Widerstand gegen den «Ökozid» auf, den deutsche Politiker in Serbien planen: «Die EU und Deutschland sind Heuchler, sie unterstützen einen Diktator in Serbien, weil er ihnen Lithium versprochen hat.»
Tatsächlich hat sich die EU auf ein riskantes Spiel eingelassen. Seit Jahren beklagt Brüssel immer wieder, dass Serbien zunehmend autoritär regiert wird, es wirft Vucic vor, die Unabhängigkeit der Justiz sowie die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken. Im Land grassiert die Korruption, die letzte Parlamentswahl im Dezember 2023 wurde von Vorwürfen der Wahlmanipulation überschattet. Laut EU-Berichten sind die serbischen Institutionen auch nicht in der Lage, die Anwendung rechtsstaatlicher Standards in Umweltangelegenheiten zu gewährleisten.
Experten im Meinungsstreit über Umweltschäden
Bei Rio Tinto hat man mit einer solcher Wendung beim Lithiumprojekt nicht gerechnet. «Wir haben nicht erwartet, dass die Gegner des Projekts uns im Netz mit Falschbehauptungen überschütten würden», sagt Chad Blewitt, geschäftsführender Direktor des Jadar-Projekts. «Sie stellen Fotos von riesigen Minenkratern ins Netz, obwohl wir das Lithium unterirdisch abbauen wollen, oder von Auffangbecken für flüssigen Abfall, den es bei uns gar nicht geben wird.» Nun versucht der Konzern, den verlorenen Boden mit Aufklärungskampagnen wieder gutzumachen. Er organisiert Informationsveranstaltungen in Loznica, um die Ängste der Bevölkerung zu zerstreuen. Rund 4000 Menschen nahmen daran bereits teil.
Rio Tinto wolle «die modernste Lithiummine in Europa bauen, in der die strengsten Sicherheitsauflagen der Welt gelten sollen», beteuert Blewitt, der bereits auf fünf Kontinenten für den Bergbaukonzern gearbeitet hat. Das Jadarit-Vorkommen, in dem sich Lithium befindet, wurde ausgiebig untersucht: Seit 2004 hat Rio Tinto über 500 Testbohrungen durchgeführt und 220 Kilometer an Bohrkernen aus der Erde geholt, die nun in mehreren Lagerhallen in Loznica liegen. Rund 600 Millionen Euro hat der Konzern für die Studien ausgegeben.
«Die Fläche, die Rio Tinto für den Abbau und die Herstellung benötigt, beträgt lediglich 220 Hektaren», sagt der Bergbaumanager. Da der Jadaritflöz in einer Tiefe zwischen 350 und 650 Meter liege, so Blewitt, dürfte sich der Abbau kaum auf der Oberfläche bemerkbar machen. Ausserhalb der Kernzone könnten die Bauern ihre Felder normal bestellen, verspricht Rio Tinto. Das Wasser, das für die Lithiumgewinnung benötigt wird, soll aus 300 Metern Tiefe hochgepumpt werden, dazu wolle der Konzern auch Regenwasser in den Produktionsprozessen verwenden. Modernste Kläranlagen sollen das verbrauchte Wasser reinigen.
Mehrere serbische Wissenschafter zweifeln diese Aussagen an. Laut ihrer Studie, die Ende Juli in der Zeitschrift «Nature» veröffentlicht wurde, haben bereits die Testbohrungen zu Verschmutzung der Umwelt geführt. Die Wissenschafter wollen erheblich erhöhte Konzentrationen von Bor, Arsen und Lithium im Flusswasser unterhalb der Bohrungen gefunden haben. «Mit der Eröffnung der Mine», konstatieren die Autoren, «werden sich die Probleme durch Grubenabwasser, Lärm, Luftverschmutzung und Lichtverschmutzung vervielfachen, was das Leben zahlreicher lokaler Gemeinden gefährdet und ihre Süsswasserquellen, Ackerflächen, Viehbestände und Vermögenswerte zerstört.»
Rio Tinto geht gegen solche Publikationen vor, wirft den Autoren vor, die Öffentlichkeit mit falschen Behauptungen in die Irre zu führen, und verlangt eine Korrektur. «Wir sind immer offen für eine sachliche Diskussion», sagt Blewitt. «Bis jetzt werden falsche Szenarien gezeichnet, aber niemand hat unsere technologischen Lösungen infrage gestellt, die in unserer öffentlich vorgelegten vorläufigen Umweltverträglichkeitsstudie dargelegt sind.»
Um internationalen Rückhalt bemüht, lud Rio Tinto Mitte September Vertreter mehrerer europäischer Industrie- und Wirtschaftsverbände ins Jadar-Tal, unter ihnen der stellvertretende Direktor von Euromines (Europäischer Verband für Bergbau, Metallerze und Industriemineralien) sowie der Generalsekretär der International Lithium Association. «Dieser Besuch bot eine hervorragende Gelegenheit, unsere über die letzten zwanzig Jahre gesammelten Erkenntnisse zu präsentieren und unsere Arbeit in der Gemeinde und mit der serbischen Regierung vorzustellen», kommentiert Blewitt.
Bevor die Arbeiten an der Mine überhaupt beginnen können, muss der Konzern noch zahlreiche Lizenzen erwerben. Wenn alles gutgeht, steht in diesem Jahr die Bewilligung des Raumordnungsplans bevor. Erst danach kann Rio Tinto die Umweltverträglichkeitsprüfung beantragen. Nach einer vierjährigen Bauzeit soll das Bergwerk in Betrieb gehen. Danach wird es allerdings weitere zwei bis drei Jahre dauern, bis die volle Produktionskapazität im Jahr 2032 erreicht wird.
Das Projekt vergiftet das Dorfleben
Nicht jeder in Gornje Nedeljice will gegen die Mine kämpfen. Inzwischen haben 51 Familien ihre Häuser an den Bergbaukonzern verkauft, der einen guten Preis zahlte. Sie durften das Dachmaterial, die Türen und Fenster mitnehmen. An der Dorfstrasse stehen jetzt Ruinen, wie in einem Kriegsgebiet. Eines Tages meldeten sich die Bauern bei Rio Tinto und baten um deren Abriss. «Als wir dann anrückten, blockierten etwa zwanzig Projektgegner den Zugang mit Traktoren», sagt Blewitt. Die Bilder gingen um die Welt.
Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass ein Dialog und ein Kompromiss kaum noch möglich sind. Nachbarn, die früher gemeinsam Feste feierten, sprechen nicht mehr miteinander. Sie werfen sich gegenseitig Bestechung vor. Viele wissen nicht mehr, was sie von alldem noch halten sollen. «Natürlich birgt jeder Bergbau ein gewisses Risiko», sagt Milan Lazic, der 45 Jahre in der Schweiz gearbeitet hat und nun als Rentner im Haus direkt am Fluss Jadar lebt. Er zeigt Fotos von der Jahrhundertflut von 2014, als der Fluss die ganze Gegend überschwemmte. Auch sein Haus stand bis zum ersten Stockwerk im Wasser. «Was passiert, wenn so eine Flut noch einmal kommt?», fragt Lazic.
Das Misstrauen ist allgegenwärtig, zu oft wurden die Serben von ihren Politikern und ausländischen Konzernen belogen. Vor allem chinesische Unternehmen, die unter Vucic ins Land kamen, haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. In Bor, wo die Zijin Mining Group eine Kupfermine betreibt, liegt der Feinstaubwert fast täglich über dem Grenzwert, in Radinac hat die Luftverschmutzung durch das chinesische Hesteel-Stahlwerk katastrophal zugenommen. Während das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung steigt, unternimmt die Regierung nichts: Zijin wurde lediglich von einem Gericht zu einer Zahlung von 7500 Euro Strafe verurteilt.
Im Jadar-Tal verstehen die Leute nicht, warum sie den Preis für die grüne Transformation und die Elektromobilität der Westeuropäer zahlen sollen. «Die Deutschen blockieren den Lithiumabbau zu Hause, wollen aber Serbien in eine Mülldeponie verwandeln», schimpft der Schäfer Zoran Filipovic. «Die Serben sind viel zu arm, um sich ein Elektroauto leisten zu können. Und ausserdem: Es gibt bei uns gar keine Ladesäulen.»