In Karlsruhe läuft ein juristischer Prozess wegen eines Vorfalls mit Pyromaterial. Das Gericht verhängte bereits Haftstrafen, die nicht auf Bewährung ausgesetzt sind. Auch drei Sozialarbeiter sind angeklagt. Wird hier ein Exempel statuiert?
Das Thema Pyrotechnik bewegt und polarisiert. Der Einsatz von entsprechendem Material ist verboten, aber Ultras halten Pyrotechnik für einen Teil ihrer Kultur, für quasi unverzichtbar. An jedem Wochenende brennen in den Fussballstadien Europas Leuchtfackeln und Rauchtöpfe. Stadionbesucher filmen das Spektakel und verbreiten es in den Sozialen Netzwerken. Diese Bilder erregen Aufmerksamkeit. Erwischen Sicherheitskräfte Fussballfans mit Pyromaterial, werden sie mit Stadionverboten bestraft und die Klubs mit Bussen belegt. Nun beschäftigt Pyro im Fussball auch ein deutsches Gericht.
«Schwere Körperverletzung» in elf Fällen
In Karlsruhe, in der deutschen «Stadt des Rechts», findet ein Prozess gegen Fans des Karlsruher SC statt. Es geht um eine Pyro-Aktion zum 20-jährigen Bestehen der Karlsruher Ultra-Gruppe «Rheinfire». Im November 2022 zündeten deren Anhänger bei einem Spiel in der 2. Bundesliga gegen St. Pauli Dutzende Bengalos, Rauchtöpfe und Böller. Währenddessen befanden sich 9500 Personen auf der Südtribüne, mindestens elf Unbeteiligte wurden durch die massiven Rauchgase verletzt.
Vertreter etlicher Fangruppen nahmen daraufhin an einem Treffen mit den Geschädigten teil und zahlten den Opfern eine Summe zur Wiedergutmachung. Niemand erstatte danach Anzeige. Wegen der zahlreichen Verletzten ermittelte die Karlsruher Staatsanwaltschaft dennoch. Es folgten Razzien an privaten Adressen der Ultras, und mutmasslich Beteiligte erhielten Strafbefehle. Die Angeklagten legten Einspruch ein, der Fall kam vor das Amtsgericht Karlsruhe. 25 Ultras und 3 Sozialarbeiter müssen sich gegenwärtig dort verantworten.
Unterdessen gibt es erste Urteile. Das Amtsgericht verurteilte in sechs Fällen die Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zwei Männer, 33 und 36 Jahre alt, erhielten sogar eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die nicht auf Bewährung ausgesetzt wurde. Obwohl die Staatsanwaltschaft nicht beweisen konnte, dass diese beiden Verurteilten selbst Pyrotechnik gezündet hatten, reichte dem Gericht offenbar für eine Rechtsprechung ihre Zugehörigkeit zum «harten Kern» und ihr Wissen um die Aktion. Das Gericht verurteilte die zwei Männer wegen «schwerer Körperverletzung» in elf Fällen. Beide waren vorbestraft, was die Bewährungsfrage beeinflusste.
14 Monate Gefängnis für das Zünden von Pyrotechnik: Dieses Urteil löste in der deutschen Öffentlichkeit Reaktionen aus. Der Anwalt der Angeklagten fragte laut Medienberichten im Schlussplädoyer: «Wollte die Justiz ein Exempel statuieren?» Die bisher verurteilten KSC-Fans gingen alle in Berufung. Der Pyrotechnik-Eklat wird somit auch das Karlsruher Landgericht beschäftigen.
Soll es ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter geben?
Das Amtsgericht wird sich wieder am 28. Oktober mit dem Pyrotechnik-Fall beschäftigen: Drei Sozialarbeiter des Fanprojekts Karlsruhe stehen auch vor Gericht, weil sie sich weigerten, als Zeugen auszusagen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte eine betroffene Sozialarbeiterin: Es gehe nicht darum, Straftäter zu schützen. Es werde sich aber kein Fussballfan je wieder an ihr Projekt wenden, wenn er befürchten müsse, dass sie Informationen an die Polizei weitergebe. Sozialarbeiter in Fanprojekten vermitteln oft zwischen Ultras und Polizei – und sind auf das Vertrauen der Fans angewiesen. Deshalb schweigen die drei Sozialarbeiter. Die Strafbefehle mit 120 Tagessätzen lehnten sie ab, weshalb es zum Prozess kam.
Im Gegensatz zu Juristen, Pfarrern oder Journalisten haben in Deutschland Sozialarbeiter in Fankreisen kein Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR). Sie müssen aussagen, wenn die Staatsanwaltschaft es verlangt. Die Karlsruher Sozialarbeiter fordern im Rahmen des Prozesses nun ein solches ZVR. Bei Sozialarbeitern gilt das ZVR zurzeit nur, wenn sie Drogenabhängige oder zu Schwangerschaftsabbrüchen beraten. Sozialverbände in Deutschland wollen das Recht auf weitere Sozialarbeiter ausdehnen. Dafür wäre eine Gesetzesänderung notwendig.
Die deutsche Bundesregierung sprach sich Ende des letzten Jahres gegen ein ZVR für Sozialarbeiter aus und verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Um Straftaten effektiv zu verfolgen, müsse «der Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten auf das unbedingt erforderliche Mass begrenzt werden». Ob das ZVR je angepasst wird, ist offen. Die sozialliberale Koalition in Deutschland versucht schon seit 1974, das ZVR auszuweiten.
Der DFL-Chef Hans-Joachim Watzke meinte: «Der Besuch eines Fussballspiels in Deutschland ist sicher»
Unterdessen beschäftigt sich die deutsche Politik vermehrt mit den Themen Gewalt und Pyrotechnik im Stadion. Bei einem Sicherheitsgipfel kamen Spitzenpolitiker und Fussball-Verantwortliche in der vergangenen Woche in München zusammen. Das Ergebnis: wenig Konkretes. Hans-Joachim Watzke, der Aufsichtsratschef der Deutschen Fussballliga, meinte anschliessend: «Der Besuch eines Fussballspiels in Deutschland ist sicher. Aber wenn wir es schaffen, dass er noch sicherer wird, ist das sehr gut.» Pyrotechnik lehne man weiterhin klar ab. Stadionverbote sollen künftig von einer zentralen und unabhängigen Instanz behandelt werden.
Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) kassiert pro gezündete Fackel 1000 Euro. Das ergibt im Jahr mehrere Millionen. Ein grosser Teil des Pyro-Geldes fliesst laut dem DFB in soziale Projekte. Angesichts der permanenten Pyro-Diskussionen wird dieser Geldstrom noch lange nicht versiegen.