Können mutmassliche Urheber von Fangewalt nicht identifiziert werden, bleibt die Fankurve geschlossen. Mit dieser unkonventionellen Methode reagieren die Luzerner Behörden auf Attacken von Hooligans.
Mit immer neuen Mitteln versuchen die Behörden im Kampf gegen Fangewalt den Druck auf Fankurven und Behörden zu erhöhen. Diese Woche haben die Bewilligungsbehörden des Kantons Luzern mit einem aussergewöhnlichen Entscheid für Aufsehen gesorgt.
Nachdem Fans des FC Luzern am letzten Wochenende nach dem Spiel gegen YB in Bern Angestellte der Transportpolizei und der BLS attackiert haben, stellen die Behörden kurzerhand ein Ultimatum: Meldet sich der mutmassliche Täter selber oder kann er aufgrund eines Hinweises aus dem Umfeld identifiziert werden, findet das nächste Heimspiel des FC Luzern gegen Yverdon wie geplant statt. Gelingt dies nicht, bleibt die Fankurve geschlossen.
Abgesprochen wurde das unübliche Vorgehen in der Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden, die vor einigen Jahren unter Federführung der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) gegründet wurde. Dieses Gremium hat vor rund einem Jahr das sogenannte Kaskadenmodell ins Leben gerufen, auf das sich die Luzerner Massnahme abstützt.
Ziel ist die Zuführung zur Strafverfolgung
Ganz unbekannt ist die Form von Druck, wie sie Luzern nun anwendet, im Kampf gegen Fangewalt nicht: So veröffentlichte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau im letzten Jahr verpixelte Bilder eines mutmasslichen Hooligans und drohte, die Fotos unverpixelt zu veröffentlichen, falls die Identität des Mannes nicht geklärt werde. Prompt konnte der Mann identifiziert werden – ein 23-jähriger Fan des FC Basel. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren eingeleitet.
Neu ist, dass die Konsequenzen dieses Zwangs nicht nur von den beschuldigten Personen, sondern auch von einer ganzen Fankurve getragen werden müssen. Noch ist offen, ob die Rechnung im Luzerner Fall aufgeht. Die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden beruft sich dabei auf das sogenannte Kaskadenmodell, das abgestufte Massnahmen vorsieht, um schweizweit einheitlich auf Ausschreitungen zu reagieren.
Das Vorgehen im Vorfeld des Luzerner Spiels ist aber auch aus einem weiteren Grund bemerkenswert: Das Hooligan-Konkordat, auf das sich das Kaskadenmodell abstützt, ist nämlich präventiv ausgestaltet – also auf die Verhinderung von künftiger Gewalt ausgerichtet. Sektoren können also geschlossen werden, um Ausschreitungen zu verhindern, so begründete die KKJPD das Konzept. Diese Differenzierung ist entscheidend, weil Kollektivstrafen für vergangene Ereignisse im Schweizer Recht grundsätzlich nicht vorgesehen sind.
Mit dem Luzerner Ultimatum werden jedoch präventivpolizeiliche Massnahmen mit dem Interesse an der Verfolgung bereits begangener Straftaten ganz offen vermischt. Ziel der Aktion ist es, die Strafverfolgung der Täter vom vergangenen Wochenende zu ermöglichen. Das geht aus der am Mittwoch veröffentlichten Medienmitteilung der Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden hervor.
Rekurs des FCZ noch immer hängig
Ob dieses Vorgehen vor Gericht Bestand hätte, ist offen. Generell ist unter Juristen strittig, ob das Kaskadenmodell gesetzlich genügend abgestützt ist. Der FC Zürich hat aus diesem Grund sogar einen Rekurs gegen die Schliessung der Südkurve eingereicht, die nach Ausschreitungen bei einem früheren Spiel ausgesprochen worden war. Dieses Verfahren ist noch immer hängig, wie der FCZ sowie das Statthalteramt gegenüber der NZZ bestätigen. Würde die Justiz den Rekurs gutheissen, wäre dies ein schwerer Schlag für die KKJPD – und wohl auch das Aus für den Luzerner Weg.
Doch das Gezerre um das Kaskadenmodell, das ursprünglich von den Fussballklubs mitgetragen worden war, ist nicht der einzige Streitpunkt im Kampf gegen die Gewalt bei Sportanlässen. In den letzten Tagen hat auch die Auseinandersetzung um die Einführung von personalisierten Tickets wieder an Fahrt gewonnen. Seit langem versuchen die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, dieses System in der Schweiz flächendeckend einzuführen.
Auch Sportministerin Viola Amherd propagierte es mehrfach. Wer ein Fussball- oder Eishockeyspiel der obersten Liga der Männer durchführt, müsste gemäss dem Modell die Identität aller Zuschauer vor dem Betreten des Stadions kontrollieren. Dies würde es ermöglichen, notorischen Hooligans den Zutritt zu den Arenen gezielt zu verweigern.
Endlosstreit um personalisierte Tickets
Ursprünglich sollten die personalisierten Tickets schon vor drei Jahren eingeführt werden. Damals sah es sogar so aus, als ob die Fussballklubs mitziehen könnten. Doch weil personalisierte Tickets von den Fanorganisationen konsequent abgelehnt werden, befürchten Fussballklubs als Folge davon einen Rückgang der Auslastung der Stadien. Sie meldeten stetig neue Bedenken an und zögerten den Entscheid immer weiter hinaus.
Letzte Woche machte die Swiss Football League (SFL) schliesslich definitiv klar, dass sie – zusammen mit den einzelnen Klubs – die Einführung von personalisierten Tickets ablehnt. An einer Medienkonferenz nannte der SFL-Geschäftsführer Claudius Schäfer gleich mehrere Gründe: Es fehlten dafür die gesetzlichen Grundlagen, und es bestünden datenschutzrechtliche Bedenken.
Ausserdem zeigten Erfahrungen aus dem Ausland, dass der erhoffte Erfolg ausbleibe und sich Ausschreitungen einfach verlagerten. In den europäischen Topligen von Deutschland, England oder Spanien seien deshalb bis heute keine personalisierten Tickets eingeführt worden.
Laut Football League weniger Gewalt bei Fussballspielen
Die SFL versucht, die Hooligan-Problematik aber auch grundsätzlich zu relativieren. Obwohl die Besucherzahl in der vergangenen Saison erstmals auf über drei Millionen angestiegen sei, habe der Anteil der Fussballspiele mit gewalttätigen Ereignissen seit 2021 von 27 auf 17 Prozent abgenommen: Diese positive Entwicklung berücksichtige die KKJPD nicht, bemerkte die SFL vergangene Woche.
Die SFL stützt sich dabei auf das Lagebild Sport, das vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) aufgrund der Daten von Kantonspolizeien, den SBB und Sportverbänden aufbereitet wird. Doch selbst wenn der von der SFL ins Feld geführte Rückgang zutrifft, zeigt die Liste, dass Gewalt im Zusammenhang mit Fussballspielen ein ernsthaftes Problem bleibt: In der Saison 2023/24 registrierten die Behörden in den Profiligen gemäss der Liste über hundert Spiele mit «gewalttätigen Ereignissen von besonderer Schwere».