Der Klub wurde vor elf Jahren durch vereinslos gewordene Fans gegründet. Der Stadtrivale Salamanca UDS und sein Investor sind abgehängt.
Basisdemokratie kann ihre Tücken haben. Da trifft der spanische Drittligist Unionistas de Salamanca am Donnerstag im Cup-Achtelfinal auf den Rekordtitelträger FC Barcelona und wollte den grössten Anlass der elfjährigen Klubgeschichte durch ein Sondertrikot mit dem Wappen seines Vorgängervereins UD Salamanca ehren. Das Hemd war fertig bedruckt, die Nachricht über die sozialen Netzwerke verbreitet.
Doch dann erinnerte man sich an ein Abstimmungsergebnis vom September 2017, wonach Vereinssymbole der alten UD nicht auf der Vorderseite der Trikots auftauchen dürfen. Und so musste das Leibchen eingestampft werden. Denn nichts, nicht einmal die Hommage an den geliebten früheren Verein, ist bei Unionistas heiliger als die Abstimmungen.
📝 COMUNICADO OFICIAL | Tras examinar el acta de la asamblea de 30 de septiembre de 2017, hemos comprobado que el diseño de la camiseta conmemorativa que en un principio se iba a utilizar en el partido contra el FC Barcelona no se ajusta al resultado de la votación que los socios… pic.twitter.com/cJdQyhKRBu
— Unionistas de Salamanca CF (@UnionistasCF) January 16, 2024
Die Führungskräfte haften mit ihrem Privatvermögen
Der Klub aus Spaniens ältester Universitätsstadt ist zu hundert Prozent ein Fanprojekt – und erst noch das derzeit erfolgreichste seiner Art in Europa. Lanciert wurde es im Sommer 2013 von vereinslos gewordenen Anhängern der UD. Der einstige Erstligist brach unter seiner Schuldenlast zusammen und wurde zwangsaufgelöst. Ob der traumatischen Erfahrung verfügte Unionistas, dass die Führungskräfte ehrenamtlich arbeiten müssen und für jeden Cent Verbindlichkeiten mit ihrem Privatvermögen haften.
Eine Person, eine Stimme: Nach diesem Prinzip wird über sämtliche Themen entschieden, vom Trikotdesign bis zu den Eintrittspreisen. Zu den Teilhabern zählt mit der Mitgliedsnummer 685 auch Spaniens Weltmeistertrainer Vicente del Bosque, er stammt aus Salamanca. Mittlerweile ist der Klub bei 4500 «socios» angelangt.
In das von Unionistas genutzte Stadion Reina Sofía kommen Freiwillige schon mehrere Stunden vor dem Anpfiff, um es spielgerecht herzurichten. Knapp 5000 Menschen passen hinein, gegen Barça wird die Kapazität mit Zusatztribünen auf 6000 erweitert. Zuvor spielte Unionistas in Salamancas kleiner Leichtathletikarena. Dort erzielte Javier Sotomayor 1993 den bis heute gültigen Hochsprungweltrekord von 2,45 Metern. Für den Fussball war das Stadion eher ungeeignet.
Das alte Stadion der UD kam als Spielort nicht infrage, es wurde aus der Konkursmasse von einem mexikanischen Investor erworben, der den Nachfolgeklub Salamanca UDS nach bekannter Manier in die Elite zurückführen wollte. Unionistas ging es demgegenüber weniger um Erfolg als um Heimat und Familiengefühl, um bewusst gelebte Nostalgie.
Manchmal grenzt sie schon fast an Nekrophilie. In der 23. Minute jedes Heimspiels (die UD wurde 1923 gegründet) stehen die Fans auf, halten ihre Schals hoch und singen feierlich die Hymne des untergegangenen Vereins.
Dass es auch sportlich so gut laufen würde, konnte keiner erwarten. Nach dem Einstieg in der untersten Spielklasse gelangen in den ersten vier Jahren drei Aufstiege. Das Budget liegt bei 1,8 Millionen Euro, für Spielergehälter stehen rund 500 000 Euro zur Verfügung. «Es ist der kleinste Etat der Liga, eigentlich müssten wir damit eine Klasse weiter unten spielen», sagt der Mitgründer und frühere Präsident Miguel Ángel Sandoval.
Aber Begeisterung und Solidarität scheinen sich von den Fans auf ein Team zu übertragen, das in den letzten beiden Saisons nur knapp das Aufstiegs-Play-off für die zweite Liga verpasste. Der Lokalrivale UDS, mit dem eine bittere Fehde um die historische Deutungshoheit herrscht, spielt trotz dem Investorengeld nur in der fünften Liga.
Ein Triumph des «Fútbol popular» also, wie fanbasierte, unkommerzielle Projekte in Spanien genannt werden. Dabei schien Unionistas vor knapp zwei Jahren am Ende. Der Verband verlangte ultimativ die Verlegung von Naturrasen, doch die Stadt, der das Stadion gehört, wollte nichts davon wissen. Zu 93 Prozent beschlossen die Mitglieder, den Umbau selber zu stemmen. Sie hatten eine Woche, um gut 300 000 Euro aufzutreiben. Durch Spenden und vorgezogene Beitragszahlungen kam das Geld in vier Tagen zusammen, und Spanien staunte erneut über diesen Klub.
Zuerst der kuriose Sieg gegen Villarreal, dann der FC Barcelona
Besonders im Cup erregte Unionistas Aufsehen. Vor vier Jahren tat sich Real Madrid beim 3:1-Sieg schwer, diese Saison wurden der Zweitligist Sporting Gijón und jüngst der Spitzenklub Villarreal eliminiert – vor zwei Jahren stand Villarreal im Halbfinal der Champions League. Die Umstände des Coups waren kurios. Weil das Flutlicht ausfiel, konnte der an einem Sonntag begonnene Match erst am Montag beendet werden. Unionistas setzte sich nach einem 1:1 mit 7:6 im Elfmeterschiessen durch. Danach verfolgten die Spieler im Presseraum die Übertragung der Auslosung. Als ihnen der FC Barcelona zugelost wurde, brachen alle Dämme.
Die Euphorie ist riesig, vor dem Vereinsbüro in der Altstadt standen die Menschen die ganze Nacht für die letzten Tickets an. Die Videos von einem legendären 4:3 der UD gegen Barça im Jahr 1998 werden entstaubt, die Formschwäche des Favoriten nährt Gedanken an die nächste Sensation.
Am vergangenen Sonntag unterlag Barcelona im Final des spanischen Supercups Real Madrid 1:4. «Wir glauben», verkündete ein Vereins-Tweet schon eine Stunde nach dem Abpfiff. Und die Fans liess der neue Präsident Roberto Pescador wissen: «Unionistas, geniesst diese Tage. Geniesst euren Klub – er gehört euch.»
Weitere Klubs, bei denen die Fans das Sagen haben
- AFC Wimbledon. Im Süden Londons residiert der Pionier aller fangeführten Klubs. 2002 wurde er als Reaktion auf den Umzug des FC Wimbledon in die Trabantenstadt Milton Keynes gegründet. Fünf Aufstiege später debütierte der AFC 2011 im Profifussball, zurzeit spielt er in der vierten Liga. Der Verein lässt Minderheitsinvestoren zu, muss aber zu mindestens 75 Prozent der Fanstiftung Dons Trust gehören.
- Von Exeter bis St. Mirren. Verschiedentlich haben in Grossbritannien solche Supporters-Trusts auch die Mehrheit bestehender Traditionsklubs übernommen – meist in finanziellen Krisenzeiten. Mit einer Fanmehrheit von 57,9 Prozent spielt Exeter City in England drittklassig, der St. Mirren FC (51 Prozent) gehört in Schottland der ersten Liga an.
- «Fútbol popular». In Spanien gibt es rund zwanzig Volksfussballklubs. Oft wurden sie wie Unionistas in Salamanca als Reaktion auf die Insolvenz eines Traditionsvereins gegründet, etwa der Drittligist SD Logroñés oder der Fünftligist Xerez Deportivo FC. fhp.