Der Machthaber Kim Jong Un treibt die atomare Aufrüstung trotz wirtschaftlicher Not voran. Nun will er ballistische Raketen auf U-Booten stationieren.
Das Säbelrasseln auf der koreanischen Halbinsel, insbesondere im Norden, ist zur Routine geworden. Doch was sich in den letzten Wochen ereignet hat, sprengt den Rahmen des Gewöhnlichen. Die Rhetorik Nordkoreas wird schärfer, und jetzt greift das Regime auch auf der Seite Russlands in den Krieg gegen die Ukraine ein. Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, die Funktionsweise der nordkoreanischen Streitkräfte zu begreifen, auch ihrer nuklearen Komponente.
Die meisten Grossmächte versuchen, ihre strategischen Nuklearwaffen in Form einer sogenannten Triade zu organisieren, das heisst, dass diese zu Lande, in der Luft und zur See vorhanden sind. Damit soll sichergestellt werden, dass bei Ausschaltung einer oder zweier Komponenten zumindest noch eine einsatzfähig bleibt und zum Zweitschlag fähig ist. Dies gehört zum Kern einer Abschreckungsstrategie.
Hochkomplex und kostenintensiv
Die seegestützte Komponente ist schwer zu orten und gilt daher als besonders überlebensfähig. Solche Waffensysteme sind hochkomplex und äusserst kostenintensiv und daher für kleinere und wirtschaftlich wenig prosperierende Staaten eigentlich nicht bezahlbar. Doch geht das stalinistisch geführte und oft von Hungersnöten geplagte Land unter Kim Jong Un andere Wege. Der Diktator lässt sein Volk darben, um das milliardenschwere, grössenwahnsinnige Projekt einer Nuklearmacht umzusetzen.
Die paranoide Politik Kims gründet nicht zuletzt auf Erfahrungen, die aus seiner Sicht Beleg dafür sind, dass Nordkorea in der jüngsten Geschichte immer wieder bedroht gewesen sei, insbesondere von den USA.
Nordkorea gilt als das weltweit am stärksten militarisierte Land. Die Streitkräfte sollen gemäss dem Londoner Institut für Strategische Studien (IISS) über rund 1,3 Millionen Angehörige und etwa 600 000 Reservisten verfügen. Die schätzungsweise 300 Rüstungsbetriebe zählen rund 500 000 Beschäftigte. Dieser Zweig soll zwischen 30 und 60 Prozent der gesamten Volkswirtschaft umfassen. Russland ist inzwischen einer der grössten Kunden.
Die Landstreitkräfte sind mehrheitlich mit alten sowjetischen und russischen Waffen ausgerüstet und zu einem grossen Teil entlang der innerkoreanischen Grenze stationiert. Veraltet ist auch die Luftwaffe mit etwa 110 000 Angehörigen und 900 Kampfflugzeugen. Sie fliegt einige wenige MiG-29, besteht vor allem aber aus den betagten Modellen MiG-23 und MiG-21, Su-25 bis hin zur MiG-15. Die Bomberflotte gilt mit ihren wenigen Il-28 Beagle ebenfalls als angejahrt.
Dies trifft auf die Spezialkräfte nicht zu. Diese werden als gut ausgebildet, verhältnismässig modern ausgerüstet und als besonders gefährlich beurteilt. Sie zählen rund 200 000 Angehörige, die auf allen Stufen der Landstreitkräfte vertreten sind. Mit dem 11. Korps verfügen sie zudem über einen Verband, der mit rund 7000 Angehörigen vor allem für strategische Aufgaben vorgesehen ist. Dazu zählt das Aufklären von militärischen und zivilen Zielen in Südkorea, unter anderem durch verdeckte Infiltration mit U-Booten, Landungsschiffen und Luftkissenfahrzeugen an beiden Küsten Südkoreas oder durch geheime Tunnel.
Die Marine ist mit etwa 60 000 Angehörigen die kleinste der drei traditionellen Teilstreitkräfte. Ihre primär defensiven Aufgaben beschränken sich im Wesentlichen auf das Küstenvorfeld mit über 400 Patrouillenbooten und Minenschiffen sowie – als offensive Aufgabe – den Transport der Spezialkräfte in den Süden.
Sechs unterirdische Nukleartests
Verschiedene Anzeichen in letzter Zeit deuten darauf hin, dass die Marine in Zukunft einen höheren Stellenwert einnehmen und Teil der 2012 geschaffenen strategischen Kräfte werden soll. Dafür spricht die Absicht Kims, in Zukunft einen Teil seines nuklearen Angriffs- oder Vergeltungspotenzials auf See zu stationieren.
Bislang hat sich Nordkorea in beachtlichen Schritten auf die Entwicklung von landgestützten ballistischen Lenkwaffen konzentriert. Die nuklearen Ambitionen des Landes gehen bereits auf die 1950er Jahre zurück, als entsprechende Kooperationsabkommen mit der UdSSR geschlossen wurden. 1986 nahm der erste nukleare Versuchsreaktor seinen Betrieb auf.
Signifikante Fortschritte erzielte das Land allerdings erst nach 2002, dem Jahr seines Rückzugs aus dem Nonproliferationsvertrag (NPT), welchem es 1985 beigetreten war. 2006 bis 2017 folgten sechs unterirdische Nukleartests, beim letzten soll angeblich eine Wasserstoffbombe gezündet worden sein. Dies im Hinblick auf eine geplante Verwendung dieser Waffe in Gefechtsköpfen ballistischer Interkontinentalraketen (ICBM).
Inzwischen verfügt Nordkorea über Kurz- und Mittelstreckenraketen, welche Ziele von Japan bis nach Guam, einem amerikanischen Hoheitsgebiet, erreichen können. 2017 wurde erstmals die mobile Interkontinentalrakete der Typen Hwasong-14 und -15 getestet, welche angeblich Ziele in den USA treffen könnten. Seit 2012 laufen offenbar Versuche mit weltraumgestützten Satelliten, die die ICBM-Programme unterstützen sollen, vermutlich aber auch zur Gewinnung von Zieldaten dienen.
Aufbau einer Schiffbauindustrie
Zeitgleich unternimmt Nordkorea Tests mit ballistischen Mittelstreckenraketen, die auf U-Booten stationiert werden sollen. Bisher fehlten allerdings die Träger dazu. Dies erklärt, weshalb Kim in jüngster Zeit mit demonstrativen Auftritten die erweiterte Rolle der Seestreitkräfte betont. Im September kündigte er verstärkte Investitionen zum Aufbau einer Schiffbauindustrie an. Nun liegen Erkenntnisse vor, dass Kim Ernst macht und den Umbau von vorerst zwei vor vielen Jahren von China erworbenen U-Booten sowjetischen Ursprungs der Romeo-Klasse zu ballistischen Lenkwaffen-U-Booten vorantreibt.
Von der überalterten U-Boot-Flotte Nordkoreas mit über siebzig Einheiten eignen sich nur wenige für einen solchen Umbau. Bloss dreizehn werden als hochseetauglich und einsatzfähig betrachtet. Das Leitschiff, die 1900 Tonnen schwere «Hero Kim Gun Ok», ist im September 2023 vom Stapel gelaufen. Auch hier soll Kim seine Aufwartung gemacht und damit die Bedeutung der künftigen Rolle der Marine an der nuklearen Teilhabe unterstrichen haben.
Nordkorea ist damit im Begriff, eine beschränkte zweite Komponente der Triade zu realisieren. Die dritte Komponente der Triade würde dann Realität, wenn die existierenden nuklearen Marschflugkörper aus der Luft abgefeuert werden könnten. Dies ist vorerst aber bloss eine Option.
Noch stellen U-Boot-gestützte Nuklearwaffen keine signifikante Bedrohung dar. Die umgebauten U-Boote sind leicht zu orten und basieren auf einer veralteten Technologie. Trotzdem: Die seegestützte Stationierung von Atomwaffen signalisiert einen Wechsel in der Strategie. Nordkorea wird damit einen zusätzlichen Grad an Sicherheit anstreben, Teile seiner Nuklearwaffen überlebensfähiger machen, seine bisher vernachlässigten maritimen Ambitionen unterstreichen und vor allem sein Prestige gegenüber regionalen Konkurrenten wie Südkorea und Japan stärken oder gar als weiteres Druckmittel nutzen.
Derzeit erschweren die finanziellen Möglichkeiten und scharfe Wirtschaftssanktionen den Technologieerwerb für weitergehende U-Boot-Entwicklungen. Dieser könnte durch die stets engeren Beziehungen zu Russland allenfalls leichter erkauft werden. Trotzdem können diese ballistischen Raketen-U-Boote mit begrenzten Möglichkeiten nicht ignoriert werden, zu gross ist die Unberechenbarkeit des Regimes. Und unabhängig davon, ob diese derzeitigen Träger neuer Waffen veraltet sind oder nur begrenzt einer modernen Kriegführung genügen: Sie sind existent und binden zusätzlich Kräfte des potenziellen Gegners von Kim, sei es Japan, Südkorea oder die USA.