«Brics plus» hat kürzlich im russischen Kasan die Jahreskonferenz abgehalten. Was ist von diesem losen Zusammenschluss von Staaten in zu halten, die als harter, anti-westlicher Kern – abwechslungsweise «Chaos-Quartett» oder «Neue Achse des Bösen» genannt – Staaten wie China, Russland, Iran und Nordkorea umfasst?
Das ursprünglich von einem Goldman Sachs Banker als Tipp für westliche Investoren geschaffenen Akronym Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) steht heute als Brics plus für eine heterogene Staatengruppe, die sich primär in der Ablehnung und der Ersetzung traditioneller westlicher Vorherrschaft einig ist. Je mehr Mitglieder aber die Gruppe umfasst, desto stärker gehen die einzelnen Meinungen und strategischen Interessen auseinander.
Die «Neue Achse des Bösen»
Es ist als Erfolg Putins und auch des Autokraten Xi Jinping zu werten, dass sich in Kasan gegen den Einschluss von Iran und Nordkorea – beides autoritär-totalitäre Staaten – unter den Brics-Mantel bei den beiden grundsätzlich demokratischen Brics-Mitgliedern Brasilien und Indien keine Opposition regte. Der historische, anti-westliche Reflex der zwei ehemaligen Kolonien – Brasilien wurde 1884 eine Republik und erst damit völlig unabhängig von Portugal, Indien musste darauf bis 1947 warten – ist bei beiden offensichtlich stärker, zudem das Verlangen, auf gleicher Augenhöhe mit ehemaligen Kolonialimperien eine führende Rolle auf der Weltbühne zu spielen.
Allerdings sind sich sowohl Brasilia und besonders Delhi bewusst, dass sie sich beide weiterhin mit einer von den USA angeführten westlichen Übermacht arrangieren müssen und damit ihrer Schaukelpolitik wirtschaftliche und für Indien sicherheitspolitische Grenzen gesetzt sind. Indien hat sich in den letzten Jahren, mit dem Einschluss in die Quad (Japan, Australien, Indien, USA), de facto in den Beginn einer asiatischen Abwehrfront gegen China eingereiht. Delhi weiss, dass seine Grenzen sowohl im Himalaya als auch im Indischen Ozean primär von Beijing bedroht werden.
Brics plus
Offiziell umfasst die Brics plus seit Anfang 2024 die neuen Mitglieder Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Dazu gehört eigentlich auch Saudi-Arabien, das sich aber noch ziert. Argentinien und Algerien wurden die Mitgliedschaft angeboten, was sie aber ausschlugen. Bemerkenswert ist der autokratische Charakter der neuen Mitglieder.
Doch eine fast schon unübersehbare Anzahl von rund fünfzig Ländern aus allen Weltgegenden interessiert sich für die Brics-Mitgliedschaft oder den Status als eingeladener Gast. Darunter so globalstrategisch wichtige Staaten wie Nigeria, Indonesien und die Türkei. In allen drei Ländern herrscht grundsätzlich Demokratie – und bis zu einem gewissen Grad Rechtsstaat. Damit überschreitet die Brics die Schwelle von reinen Autokratien, ja Diktaturen, zu einer weltweit verbreiteten Organisation von Staaten mit unterschiedlichen politischen Strukturen. Die Brics plus ist de facto die Gegenspielerin des Globalen Südens zur westlichen Vereinigung der G-7 geworden.
De-Dollarisierung und Widerstand
Als gemeinsamer Nenner der Brics plus, neben dem antikolonialen Reflex, gilt auch die De-Dollarisierung, also die Abkehr des internationalen Zahlungsverkehrs vom US-Dollar und dessen Ersetzung durch bilaterale Vereinbarungen zum Gebrauch von Landeswährungen. Das ist allerdings leichter deklariert als getan. Die für den Globalen Süden unverzichtbaren Privatinvestitionen stammen weiterhin zum grossen Teil aus dem Westen und erfolgen damit in der Regel in US-Dollar – der Anteil der Brics mit den zwei weitaus bevölkerungsreichsten Staaten China und Indien an den Weltinvestitionen liegt unter 20%.
Die Brics-Bank NDB (New Development Bank), präsidiert von der früheren brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, als erstes Gegenstück zu den Bretton Woods Institutionen, mag ein weiterer Grund für die Attraktivität der Brics plus sein. Die NDB hat ihr Hauptquartier in Schanghai, was symbolisch für die Führungsrolle von China steht, nicht nur bei der Bank, sondern auch im Brics-Verbund insgesamt.
Der chinesische Führungsanspruch ist denn auch ein Hauptgrund, warum die Brics plus auf Widerstand stossen. Speziell ausgeprägt ist das in der Grossregion Asien-Pazifik, wo sich mit Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland eine lose, aber zunehmend härtere asiatisch-pazifische Achse bildet, die nicht gewillt ist, China als regionale Vormacht zu akzeptieren. Seoul wird mit Blick auf den Nachbarn im Norden in seiner Abwehrhaltung bestärkt – wo neuerdings der Süden als Hauptfeind bezeichnet wird, und von wo Soldaten zur russischen Verstärkung in die Ukraine entsandt werden. Dies gilt in noch höherem Mass für Japan – bezeichnenderweise vom ehemaligen Verteidigungsminister Shigeru Ishiba neu als Premier geführt.
Harris oder Trump
Wie im nordatlantischen Raum eine Nato ohne die Führungsrolle der USA im Moment schwer vorstellbar ist, so stützt sich auch die erwähnte antichinesische Koalition auf die USA als Garantin einer pazifischen Pax Americana.
Wird Kamala Harris Präsidentin, wird sich in den beiden Weltregionen diesbezüglich nichts grundlegend ändern, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Bei Donald Trump hingegen gilt nach dem momentan in Vorschauen meistgebrauchten Bonmot all bets are off: Es ist kaum vorauszusehen, wie er sich als Präsident verhalten wird.
Als grosse Gefahr erscheinen von Trump eingefädelte Deals mit seinen geistesverwandten Autokraten Wladimir Putin und Xi Jinping, die unmittelbar für die Ukraine und längerfristig in Asien Schlimmes erwarten lassen würden. Seine für den Westen völlig nutzlose Verbrüderung mit dem Nordkoreaner Kim Jong Un 2018, als Trump im Weissen Haus sass, dürfte nur ein Vorgeschmack gewesen sein.
Daniel Woker
Meere und Märkte: Geopolitik 2.0 als Schlüssel zur weltpolitischen Aktualität