Mehrere tausend Demonstranten haben sich vor dem Parlament in Tbilissi versammelt. Die Regierungspartei Georgischer Traum tut die Vorwürfe gegen sie ab und erhält Unterstützung von Viktor Orban.
Georgiens Opposition und der oppositionell gestimmten Zivilgesellschaft ist es offensichtlich schwergefallen, den Ausgang der Parlamentswahlen vom Samstag zu verdauen. Zwei Tage dauerte es, bis sich am Montagabend – nach persönlicher Ankündigung durch Präsidentin Salome Surabischwili – die mit dem Wahlresultat Unzufriedenen im Zentrum der Hauptstadt Tbilissi zu einer Protestkundgebung versammelten. Der Rustaweli-Boulevard vor dem Parlament, der traditionelle Ort für den politischen Protest, füllte sich schnell und musste für den Verkehr gesperrt werden. Europäische, georgische und ukrainische Flaggen wurden geschwenkt.
Vom offiziellen Wahlsieger, der Regierungspartei Georgischer Traum, fühlen sie sich ihrer Hoffnung auf eine Demokratisierung und eine Hinwendung nach Europa beraubt. Nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch einheimische und internationale Wahlbeobachter hatten Einschüchterung, Betrug und Manipulationen im Wahlkampf und bei der Stimmabgabe moniert und festgehalten, die Wahlen hätten demokratische Praktiken kompromittiert. Viele führende Oppositionspolitiker traten auf, ebenso Surabischwilis Vorgänger im Präsidentenamt, Giorgi Margwelaschwili.
Georgischer Traum beschuldigt Opposition
«Wir haben nicht verloren, uns hat man unsere Stimmen und unsere Zukunft gestohlen», sagte Surabischwili unter Ovationen vor der Menschenmenge. Sie verspreche, mit dem Volk bis zum Ende auf dem europäischen Weg zu gehen. Der Vorgang müsse mit internationaler Hilfe untersucht werden. «Das war eine Spezialoperation. Man hat uns die Verfassung und das Parlament weggenommen.» Damit spielte sie wohl auf ihre bereits am Sonntagabend geäusserte Vermutung an, Russland habe eine entscheidende Rolle bei der Verfälschung der Wahlergebnisse gespielt. Surabischwilis Rolle ist nicht ohne Brisanz: Als Präsidentin geriert sie sich wie eine Oppositionspolitikerin, obwohl sie einst vom Georgischen Traum für das Amt aufgestellt worden war.
Der Oppositionspolitiker Giorgi Waschadse nannte die zentrale Forderung der vereinigten Opposition: eine Wiederholung der Wahlen unter internationaler Verwaltung. Das jetzige Wahlresultat sei gefälscht. Keiner der gewählten Oppositionskandidaten werde seinen Parlamentssitz wahrnehmen. Der Boykott des Parlaments wird auch kritisiert. Hans Gutbrod, langjähriger deutsch-georgischer Politikberater, schrieb, es wäre besser, jetzt den Wählern die fatalen Konsequenzen des Wahlergebnisses zu erläutern. Nicht allein die Manipulationen hätten dazu geführt. Auch die dystopische Kampagne des Georgischen Traums mit der Heraufbeschwörung eines Krieges habe bei vielen Wählern verfangen.
Selbst wenn die Proteste in den nächsten Tagen noch anschwellen, ist das Szenario einer Neuwahl, die von ausländischen Strukturen organisiert wird, nur schwer vorstellbar. Der Georgische Traum gibt sich zufrieden und selbstsicher. Einzelne Verstösse gebe es bei Wahlen in jedem Land. Am Wahlergebnis gebe es nichts zu rütteln, äusserten mehrere führende Vertreter der Regierungspartei.
Der scharfzüngige bisherige Parlamentsvorsitzende Schalwa Papuaschwili bezichtigte die Opposition und die Nichtregierungsorganisationen der bewussten Desinformation. Sie wollten die Bevölkerung gegen die Regierung aufwiegeln. Die Regierung könnte auch die Situation dazu ausnutzen, endgültig mit der Opposition abzurechnen – etwas, was Bidsina Iwanischwili, der Milliardär hinter der Machtmaschine Georgischer Traum, im Wahlkampf offen als Ziel ausgegeben hatte.
Orban gegen Belehrungen
Unterstützung erhalten Iwanischwili und Ministerpräsident Irakli Kobachidse aus dem Ausland. Am Montagabend traf der ungarische Ministerpräsident und derzeitige EU-Rats-Vorsitzende Viktor Orban in Tbilissi ein. Er war einer der Ersten gewesen, die dem Georgischen Traum zum Wahlsieg gratuliert hatten. Vor seiner Ankunft in Georgien schrieb er auf der Plattform X, Georgien sei ein konservatives, christliches und proeuropäisches Land. Anstelle sinnloser Belehrungen brauchten die Georgier die Unterstützung auf ihrem europäischen Weg. Er spielte dabei gewiss auch auf eine scharf verfasste Resolution des Europäischen Parlaments und die lauten Warnungen westlicher Politiker und Diplomaten vor einer Fortsetzung der Herrschaft des Georgischen Traums an.
Die Verbindung zwischen Orban und der georgischen Führung ist nicht neu. Führende Vertreter des Georgischen Traums suchen die Nähe Orbans. Sie traten an Veranstaltungen in Ungarn auf, und auch für viele der Wähler des Traums sind Ungarn und Orban ein Vorbild für eine konservative, antiliberale und auf die Stärkung des Nationalstaats ausgerichtete Politik, die trotzdem europäische Schlagseite hat und ein pragmatisches Verhältnis zu Russland anstrebt.
Dass sich Orban, zumal noch als EU-Rats-Vorsitzender, mit seinem Besuch direkt nach den umstrittenen Wahlen in den Gegensatz zu einer Vielzahl europäischer Regierungsvertreter stellt, die das Wahlresultat nicht anerkennen wollen und seine Reise als voreilig bezeichneten, dürfte ihm gerade recht sein. Bei der Ankunft vor seinem Hotel, das sich ebenfalls am Rustaweli-Boulevard befindet, wurde er dagegen von den Demonstranten ausgepfiffen.