Reichtum wird von Leuten wie Jeff Bezos, Donald Trump und Anant Ambani schamlos zelebriert. Das verändert die Gesellschaft.
Im Juli fand in Mumbai die opulenteste Party des Jahrzehnts statt. Anant Ambani, jüngster Spross des vermögendsten indischen Industriellen-Clans, heiratete Radhika Merchant in einer mehrtägigen Zeremonie, die an Prunk und schlechtem Geschmack nicht zu übertreffen ist. Die Gästeliste liest sich wie das Who’s who des internationalen Jetsets: Begleitet von Auftritten von Justin Bieber, Rihanna und Katy Perry plauderte Bill Gates mit Mark Zuckerberg, und Tony Blair unterhielt sich mit dem indischen Premierminister Modi. Natürlich liess sich auch Kim Kardashian diese Extravaganz nicht entgehen.
Warum lassen sich Prominente so bereitwillig für die Hochzeit eines Paars einspannen, das sie kaum kennen? Im Fall der Sängerin Rihanna, die für ihr Privatkonzert eine Gage von sechs Millionen Dollar erhalten haben soll, liegt die Antwort auf der Hand. Bei Gästen wie Hillary Clinton oder Boris Johnson kann man sich fragen, was ihre Beweggründe sind. Am Ende gibt es nur eine Erklärung: Der Glamour des Geldes, verkörpert in schillernden Gestalten wie Elon Musk oder Sam Bankman-Fried, dem Ikarus des Crypto-Booms, hat eine unwiderstehliche Anziehungskraft.
Die Monarchien von einst sind durch eine Kaste von global agierenden Familien und Superreichen abgelöst worden, die über unbegrenzte finanzielle Ressourcen verfügen und ihren Einfluss auf allen Ebenen der Gesellschaft geltend machen. Sie tun es immer selbstbewusster. Die Zeiten diskreter Lobbyarbeit und Deals im Hinterzimmer sind vorbei. Heute werden die grössten Vermögen publizitätswirksam eingesetzt: um zu verführen, zu überzeugen oder zu drohen. Vor allem wird geklotzt, wenn es darum geht, sein Ego zu verwirklichen.
Erfolg und Verantwortung
Die wahren Influencer sind nicht «social media creators», Pop-Sternchen und Hollywoodstars, sondern Milliardäre wie Jeff Bezos, die Ambanis, Trumps und Arnaults. Nicht weil sie die meisten Follower auf Tiktok haben oder besonders gut aussehen. Sondern weil sie mit ihren Firmenimperien, Organisationen und Brands die Sehnsüchte von Milliarden von Menschen bedienen und – noch viel wichtiger – diese prägen. Die Plutokratie kennt keine Landesgrenzen und transzendiert ideologische Strömungen von links bis rechts. Jeder versteht die Sprache des Geldes, und Geld versteht alle Sprachen – von Luanda über Shenzhen bis nach Caracas.
Die sichtbarste Einflusssphäre der Plutokraten ist nach wie vor die Politik. Bis vor nicht allzu langer Zeit versuchten schwerreiche Menschen, ihr auf traditionellem Weg den Stempel aufzudrücken. Sie bewarben sich um politische Ämter und stellten sich der Volkswahl. Ihr gebetsmühlenartig vorgetragenes Argument: Erfolg in der Privatwirtschaft sei die beste Voraussetzung dafür, Verantwortung im Staat zu übernehmen. Finanzielle Unabhängigkeit mache auch politisch unabhängig.
Der Milliardär Ross Perot schrammte 1992 knapp an der Sensation vorbei, als er bei der US-Präsidentschaftswahl fast 20 Prozent der Stimmen holte und damit Bill Clinton zum Sieg verhalf. Im gleichen Jahr verhinderte der damalige Nationalrat Christoph Blocher den Schweizer EWR-Beitritt, ein Grosserfolg, den er knapp zehn Jahre später mit dem Aufstieg in den Bundesrat krönte. Michael Bloomberg, der zu den zwanzig reichsten Menschen der Welt gehört, amtete zwölf Jahre lang als Bürgermeister von New York. Donald Trump ritt direkt ins Weisse Haus, zumindest zum Teil auf einer plutokratischen Welle.
Die Ästhetik des Geldes
Die Zimperlichkeit im Umgang mit demokratischen Prozessen ist weitgehend verflogen. Die Superreichen haben begriffen, dass ihr Einfluss grösser ist, wenn sie das Korsett institutioneller Zwänge gar nicht erst anlegen. Alex Soros, der Lenker der von seinem Vater George gegründeten Open Society Foundation, lässt Bittsteller in seinem New Yorker Penthouse zum Gespräch antanzen, bevor er den linksprogressiven Geldregen über sie ausschüttet. Hansjörg Wyss orchestriert die Rettung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU von seinem Anwesen in Wyoming aus. Dass sich ihm drei Schweizer Private-Equity-Milliardäre mit einer Kampagne gegen das Rahmenabkommen in den Weg stellen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Der subtilere Aspekt plutokratischer Omnipräsenz ist, dass sie die öffentliche Wahrnehmung verändert und damit ihre eigene Akzeptanz in der Gesellschaft sicherstellt. Die Konfrontation mit Produkten und Lebenswelten, die Reichtum repräsentieren – von Hermès-Taschen über «high-end-interiors» bis zu Luxusimmobilien – beeinflusst unbewusst unser Stilempfinden und damit auch die Wünsche, die wir als Konsumenten haben.
Dieses Phänomen trägt dazu bei, dass der gehobene Lifestyle eine tosende Renaissance erlebt. Serien wie «White Lotus» und «The Perfect Couple» zelebrieren die Ästhetik des Geldes und verstärken seinen Mythos. Ihm ist zu verdanken, dass selbst die verteufelte Finanzindustrie ihre Coolness wieder zurückgewonnen hat. In der HBO-Serie «Industry» fliessen Champagner und Boni wie zu den besten Zeiten des Investment Banking. Der virale Tiktok-Hit «I’m looking for a man in finance» besingt in ironisch-schmachtendem Stakkato die Attraktivität junger, hochbezahlter Finanzprofis.
Milliardäre auf dem Laufsteg
Kurzum: Die schamlose Zurschaustellung von Geld und Besitz ist nicht mehr verpönt. Im Gegenteil, sie ist das zentrale Element einer grandiosen Selbstinszenierung. An der Pariser Fashion Week liess L’Oréal sechzig Prominente aller Generationen als Models auflaufen. Der Clou: Sie verfügen über ein kollektives Vermögen von weit über einer Milliarde Dollar. Eine plakativere PR für Plutokratie kann es nicht geben.
Man könnte fragen: So what? Geld regiert die Welt und wird es auch weiterhin tun. Tatsächlich gibt es immer wieder Momente, in denen man hofft, dass wohlwollende Plutokraten der Politik guttun könnten – vor allem, wenn die Bürokratie überhandnimmt und pragmatische Entscheidungen gefragt sind. Aber diese Erwartungen werden wiederholt enttäuscht.
Die Allerwenigsten handeln wie der eben verstorbene indische Unternehmer Ratan Tata, der zu Lebzeiten 120 Milliarden seines selbst erwirtschafteten Vermögens verschenkt hat. Libertäre Tech-Tycoons wie Peter Thiel oder David Sacks geben vor, Donald Trump zu unterstützen, weil er sich für die Demontage des «Deep State» und für absolute Meinungsfreiheit einsetzt. In Wirklichkeit sind sie primär daran interessiert, ihren eigenen Status zu sichern – getrieben von der Überzeugung, dass sie anders sind als der Rest der Menschheit.
Jeden Tag eine Million Dollar
Um das zu erreichen, müssen sie sich gegen politische Übergriffe aller Art, vor allem gegen Steuererhöhungen, wehren. Genau diese Absicht steckt hinter Elon Musks Brot-und-Spiele-Mentalität. Sie besteht darin, bis zur Präsidentschaftswahl täglich eine Million Dollar an eine zufällig ausgewählte Person zu verschenken, die sein Trump-freundliches Wahlkampfkomitee unterstützt. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Musk seit Jahren einen direkten Austausch mit Wladimir Putin pflegt.
Aber was bedeutet es, wenn sich die politische Agenda an den Prioritäten von Plutokraten orientiert? Wenn erst einmal der Verdacht entstanden ist, rechtsstaatliche Regeln könnten nicht für alle gelten, verliert ein politisches System seine Legitimation. Darin liegt die grosse Gefahr plutokratischer Tendenzen. Der Sexskandal um den Rapper P. Diddy führt das vor Augen. Wie kann es sein, dass jemand über Jahrzehnte schwersten Missbrauch begeht, ohne dafür belangt zu werden?
Leistung und Chancengleichheit sind wesentliche Elemente der liberalen westlichen Gesellschaften. Mit Plutokratie vertragen sie sich nicht. Reichtum ist nicht immer gleich Können. Sozialer Status hindert Menschen nicht daran, zu lügen. Und Erfolg hat mindestens so viel mit Glück zu tun wie mit Leistung. Wenn wir das begreifen, immunisieren wir uns gegen die grössten Illusionen, die die Plutokratie ausmachen.