Der amerikanische Schriftsteller Amor Towles erzählt in «Eve» eine Geschichte aus den Filmstudios der späten 1930er Jahre. Dabei vermischt er kühn Authentisches und Erfundenes zu einem eleganten kurzen Roman.
1938 war das Jahr, da selbst die erfolgsverwöhnten Filmstudios in Hollywood einer Sensation entgegenfieberten. Denn damals begannen die Dreharbeiten für die Verfilmung von Margaret Mitchells Bestseller «Gone with the Wind», die Hoffnungen auf einen grossen Kassenschlager weckten. Genau in diese aufgeheizte Phase platziert der amerikanische Schriftsteller Amor Towles seinen neuen und für seine Verhältnisse recht schmalen Roman «Eve».
Eve ist die blonde Evelyn Ross, die Towles-Leser aus seinem Debüt «Eine Frage der Höflichkeit» bereits kennen. Sie ist eine selbstbewusste Frau von Mitte zwanzig, deren Gesicht nach einem Autounfall durch eine lange Narbe gezeichnet ist. New York City hat sie nach privaten Querelen verlassen und macht sich auf eine Zugreise nach Chicago. Dabei kommt sie ins Gespräch mit dem pensionierten Polizisten Charlie Granger und beschliesst kurzerhand, ihr Reiseziel zu ändern. Nach Los Angeles soll es nun gehen, wo sie – obschon ihre finanziellen Mittel das im Grunde nicht erlauben – im noblen Beverly Hills Hotel absteigt.
Da sie alle Blicke auf sich zieht, macht sie bald neue Bekanntschaften. Zum einen trifft sie auf den abgehalfterten, dickleibigen Schauspieler Prentice Symmons, der keine Karriere mehr vor sich hat. Zum anderen begegnet sie der Schauspielerin Olivia de Havilland, die gerade für «Gone with the Wind» als Melanie Hamilton, Scarlett O’Haras Schwägerin, besetzt wurde. Sie hofft, dass sie nun endlich die Fussfesseln, die ihr die mächtigen Filmstudios angelegt haben, abstreifen kann.
Nacktfotos tauchen auf
Towles wechselt in seinem Roman von Kapitel zu Kapitel die Perspektive und wirft einen schonungslosen Blick hinter die fein hergerichteten Hollywood-Kulissen. Die Machtkämpfe zwischen den Warner- und Selznick-Imperien toben und machen selbst bekannte Schauspieler zu abhängigen Figuren, die sich den Auflagen der Filmbosse zu beugen haben.
Für Olivia de Havilland droht die Situation zudem zu eskalieren, als ein Briefumschlag im Hotel eintrifft. Darin finden sich neben einem Erpresserbrief Nacktfotos von Olivia. Sie hat nicht die geringste Ahnung, wie und wo die Bilder entstanden sind. Olivia vertraut sich ihrer neuen Freundin Eve an, die sich aufmacht, die Urheber dieser üblen Machenschaften aufzuspüren.
«Eve» ist ein elegantes (und von Susanne Höbel elegant übersetztes) Prosastück, mit dem Amor Towles seine vielfältigen Fähigkeiten auszuprobieren scheint. Der Roman erinnert – befördert nicht zuletzt durch die illustren Hotel- und Restaurantsettings – zu Beginn an die Romane von F. Scott Fitzgerald. Doch allmählich entwickelt er sich zu einem Hard-boiled-Krimi à la Raymond Chandler, wenn gleich mehrere Ermittler die Hintergründe der Erpressungen ausleuchten, Verfolgungsjagden inszeniert werden und am Ende nicht nur eine Leiche für Probleme sorgt.
Alle kochen hier ihr eigenes Süppchen und wollen höchsten Profit herausschlagen. Die Filmgesellschaften und ihre Anwaltskanzleien wollen hingegen den Enthüllungsgeschichten, von denen etliche Schauspielerinnen betroffen sind, einen Riegel vorschieben. Das verhilft der klugen Eve letztlich zu einer attraktiven Anstellung.
Kühnes Spiel mit der Wirklichkeit
Der Roman wirkt in seinen Genre- und Stilwechseln wie die Hommage an eine vergangene Ära. Und er stellt eine Experimentierbühne für seinen Autor dar, der offenkundig grosse Lust darauf hatte, seine erzählerischen Fähigkeiten auszustellen. Auf die Erwartungen der Leserinnen und Leser nimmt Towles dabei kaum Rücksicht, und so entsteht der Eindruck, als wollte sich der Autor zwischen seinen umfangreichen Romanen – zuletzt war die Roadnovel «Lincoln Highway» erschienen – eine Ruhepause gönnen und mit einer charmanten literarischen Fingerübung, die erst gar nicht nach grosser Bedeutsamkeit schielt, glänzen.
Man folgt diesem Spiel durchaus mit Vergnügen, nicht zuletzt, weil Towles mit Evelyn und Olivia zwei imponierende Frauengestalten in den Mittelpunkt rückt und kühn zwischen historisch verbürgten Figuren und seinen literarischen Erfindungen changiert. Eve findet sich in den ruppigen Gefilden von Los Angeles schnell zurecht und weiss, sogar als Schusswechsel drohen, mit ihren selbstbewussten männlichen Mit- oder Gegenspielern umzugehen.
Und Olivia begreift allmählich, dass sie im patriarchalischen Hollywood-Gefüge kühlen Kopf behalten und der Versuchung widerstehen muss, «weiterhin der Mensch zu sein, den andere in ihr sahen». Allerdings hat sie mit Warner Brothers einen Geschäftspartner, der nicht daran denkt, klein beizugeben. Dass sie in ihrem nächsten Film «The Private Lives of Elizabeth and Essex» (auf Deutsch: «Günstling einer Königin») die Hauptrolle ergattern wird, bleibt fraglich. Es gibt da schliesslich noch eine gewisse Bette Davis.
Amor Towles: Eve. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. Hanser-Verlag, München 2024. 223 S., Fr. 34.90.