Die zwei amerikanischen Präsidentschaftskandidaten könnten in Stil und Rhetorik kaum kontrastreicher sein. Doch wie unterscheiden sie sich sachpolitisch? Eine Gegenüberstellung.
Die USA befinden sich vor einer Richtungswahl. Die Demokratin Kamala Harris steht als Vizepräsidentin Joe Bidens für Kontinuität der jetzigen Regierung. Der Republikaner Donald Trump verspricht, dass er das Ruder in Washington ein zweites Mal herumreissen werde – womöglich noch rabiater als das erste Mal. Die Wahlkampfrhetorik ist vergiftet; der Zustand der amerikanischen Demokratie wird von beiden Lagern fast panisch kommentiert.
Umso wichtiger ist ein nüchterner Vergleich der sachpolitischen Positionen. Auch dieser zeigt, wie konträr die Vorstellungen von Harris und Trump sind. Einzig in der China-Politik und punktuell beim Sozialen gibt es wenige Parallelitäten.
Wirtschaft
Kamala Harris
«Ich bin eine Kapitalistin, ich bin für freie und faire Märkte.»
Die demokratische Kandidatin setzt in ihrem Wirtschaftsprogramm gezielt auf das Thema Lebenskosten, welche die amerikanischen Wähler laut Umfragen am meisten bedrängen. Sie spricht von einer «opportunity economy», die sie für alle Amerikaner schaffen will mit dem Ziel, den Mittelstand zu stärken.
- Lebenskosten: Sie will Kostenkontrollen für Lebensmittel einführen und die Medikamentenpreise senken.
- Eigenheim- und Wohnbauförderung: Erstkäufern von Eigenheimen soll eine Steuergutschrift helfen. Anreize für den Wohnungsbau sollen die Wohnungsknappheit bekämpfen.
- Förderung von KMU: Steuergutschriften für Startups sowie Starthilfen für afroamerikanische Jungunternehmer.
- Familienförderung: Das während der Covid-Pandemie ausbezahlte Kindergeld wird verlängert; neue Steuergutschriften für Familien mit einem Neugeborenen.
- Soziales: Mehr Subventionen für die Krankenversicherung, Verankerung gesetzlicher Ferien, Erhöhung des Mindestlohns. Steuerbefreiung von Trinkgeldern.
- Klimapolitik/Energie: Subventionierte Elektrifizierung der Autoindustrie; Förderung nichtfossiler Energiequellen; Netto-Null-Klimaziel bis 2050. Erdgas-Fracking soll weiterhin erlaubt sein, obwohl Harris dieses 2019 noch verbieten wollte.
- Steuererhöhungen: Harris will die Unternehmenssteuern von 21 auf 28 Prozent erhöhen und die Kapitalgewinne von Einkommen über 1 Million Dollar höher besteuern. Mit den Einnahmen will sie die geplanten Ausgaben teilweise finanzieren.
Harris’ Plan würde bis 2035 den Schuldenberg um schätzungsweise 3,5 Billionen Dollar anwachsen lassen.
Donald Trump
«Drill, baby, drill!»
Der republikanische Kandidat setzt sich in seiner «Agenda 47» und über die Plattform der Republikanischen Partei für ein starkes Wirtschaftswachstum ein. Gleichzeitig will er hohe Handelszölle für Importe errichten und Millionen von zum Teil legal eingereisten Migranten deportieren, was das Wachstum laut Ökonomen bremsen dürfte.
- Steuersenkungen: Trump will die Unternehmenssteuern von 21 auf 15 Prozent senken, aber nur für Unternehmen, die in den USA produzieren. Verlängerung der Einkommenssteuersenkung von 2017.
- Energie: Beschleunigter Abbau der Erdöl- und Gasreserven. Trump bezweckt tiefere Benzinpreise, was die Inflation dämpfen würde. Die staatliche Förderung der Produktion elektrischer Fahrzeuge hält er für eine Gefahr für die heimische Autoindustrie.
- Deregulierung: Er will die klimafreundlichen Bestimmungen der 2022 verabschiedeten Inflation Reduction Act zusammen mit den Republikanern im Kongress rückgängig machen.
- Hohe Handelszölle: Generell Zölle von 10 bis 20 Prozent auf Importen und von mindestens 60 Prozent auf Waren aus China. Er droht amerikanischen Unternehmen, wie kürzlich Deere, mit Strafen, sollten sie ihre Produktion ins Ausland verlagern.
- Deportation von Migranten: Die Wohnungsknappheit will Trump lösen, indem er Millionen von zum Teil legal eingereisten Einwanderern ausschafft.
- Tiefer Leitzins: Expansion des geldpolitischen Einflusses des Präsidenten. Während seiner Amtszeit versuchte Trump das Zentralbankensystem Federal Reserve zu zwingen, den Leitzins tief zu halten.
- Soziales: Trump verspricht, die Altersvorsorge nicht zu kürzen; die Krankenversicherungen will er reformieren, sagt aber nicht, wie. Während seiner ersten Amtszeit versuchte er, Obamacare zu beenden. Steuerbefreiung von Trinkgeldern und Altersrenten.
Trumps Plan würde bis 2035 die Staatsschulden um schätzungsweise 7,5 Billionen Dollar erhöhen.
Migration
Kamala Harris
«Wir können einen Weg schaffen, die Staatsbürgerschaft zu verdienen, und gleichzeitig unsere Grenze sichern.»
Bei der Migration vollzieht Harris einen Spagat. Einerseits vertritt sie eine humane Asylpolitik, andererseits ruft sie nach härteren Grenzkontrollen, um die Einwanderung einzudämmen. Harris lehnt sich eng an die überparteiliche Einwanderungsreform an, die aufgrund des Widerstands von Trump im Kongress gescheitert ist.
- Besserer Grenzschutz: Harris will zusätzliche Grenzpolizisten, Asylbeamte, Deportationslager, Technologie für die Suche nach Drogen sowie die Finanzierung des Rechtsbeistands für unbegleitete Minderjährige.
- Strengere Anwendung des Asylrechts: Sie will das Asylrecht straffen und dem Präsidenten die Kompetenz erteilen, Obergrenzen für Asylanträge zu bestimmen, wie sie aufgrund einer Verordnung von Präsident Biden momentan gelten.
- Legale Einwanderung: Jährlich 50 000 Anwärter auf eine Green Card und für Familiennachzug würden in den nächsten aufgenommen, 250 000 insgesamt.
- Bürgerrecht für afghanische Flüchtlinge: Permanente Aufenthaltsbewilligung für frühere ausländische Mitarbeiter der US-Truppen in Afghanistan. 10 000 Familienangehörige könnten nachgezogen werden.
Donald Trump
«Sie essen unsere Hunde, sie essen unsere Katzen.»
Trump will die Südgrenze schliessen und Millionen von Migranten ausschaffen. Viele der Vorschläge würden vor Gericht angefochten werden.
- Massenausschaffung: Mit einer riesigen Operation will Trump Millionen von zum Teil legal eingereisten Migranten ausschaffen. Dabei sollen auch die Nationalgarde und die Armee zum Einsatz kommen. Bau zusätzlicher Ausschaffungslager.
- Ende des territorialen Bürgerrechts: Wer in den USA geboren wird, erhält nicht mehr automatisch das Bürgerrecht.
- Wiederherstellung der repressiven Regeln der ersten Amtszeit: Der Mauerbau wird weitergeführt, die Asylbedingungen verschärft, Asylbewerber warten ausserhalb der Grenze auf den Entscheid («Remain in Mexico»). Wiederaufnahme des Verbots für Flüchtlinge aus muslimischen Ländern.
- Beendigung der humanitären Schutzprogramme: Aufhebung des Schutzstatus von rund einer Million Flüchtlingen aus der Ukraine, Afghanistan, Kuba, Nicaragua, Venezuela und Haiti, die in den USA leben und arbeiten.
- Gesinnungsprüfung bei Visa-Anträgen: Visa könnten aus politischen Gründen verweigert werden.
- Arbeitsbewilligung für ausländische Studenten: Wer in den USA studiert, soll nach dem Abschluss automatisch eine Green Card erhalten, ausser Personen, die den Gesinnungstest nicht bestehen.
Reproduktion und Gender
Kamala Harris
«Wir müssen eine Nation sein, die Frauen vertraut.»
Kamala Harris ist eine vehemente Verfechterin der reproduktiven Freiheiten von Frauen sowie der Rechte für Transmenschen und Nonbinäre.
- Nationales Abtreibungsgesetz: Der Kongress soll ein Gesetz verabschieden, das den Status quo ante wieder einführt. Schwangerschaftsabbrüche wären – wie im Urteil Roe v. Wade – im ganzen Land bis zur Lebensfähigkeit des Fötus (zirka 24 Wochen) legal.
- Schutz der Trans-Rechte: Harris setzt sich für den Schutz von Transgender-Personen ein, äussert sich aber derzeit nicht zum Thema. 2020 unterstützte sie den Anspruch auf Transgender-Medizin in Gefängnissen. Die Biden-Regierung dehnte den Schutz von Transgender-Studenten aus.
Donald Trump
«Wir wollen mehr Babys.»
Donald Trump agiert in der Abtreibungsfrage opportunistisch. Der einstige Abtreibungsbefürworter gewann 2016 die evangelikale Wählerschaft, indem er versprach, die verfassungsrechtliche Abtreibungsfreiheit in den USA zu beenden. Im Amt ernannte er drei konservative Richter in den Supreme Court, welche den Plan umsetzten. 2024 hat Trump den Ton wieder etwas gemässigt und trimmt die Republikaner auf einen weniger radikalen Kurs.
- Regelung in den Teilstaaten mit Fristenlösung: Trump ist gegen ein nationales Gesetz. Er befürwortet Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest und eine Fristenlösung; wie lang die Frist sein soll, lässt er offen. Die in Florida geltenden sechs Wochen kritisierte er als zu knapp, was unter den Evangelikalen einen Sturm der Entrüstung auslöste.
- Erleichterte In-vitro-Fertilisation: Trump setzt sich für den freien Zugang zu künstlicher Befruchtung ein. Er geht sogar so weit, eine staatliche Förderung zu versprechen. Nachdem ein Richter in Alabama IVF verboten hatte, positionierte sich Trump gegen Teile seiner Partei.
- Zurückbuchstabieren bei den Trans-Rechten: Verbot geschlechtsangleichender Hormontherapien für Minderjährige. Ausschluss von Transpersonen bei Sportwettbewerben. Das biologische Geschlecht soll gesetzlich verankert werden, was Geschlechtsumwandlungen erschweren könnte.
Aussenpolitik
Kamala Harris
«Ich stehe auf der Seite der Ukraine und der Nato-Bündnispartner.»
In der Aussen- und Sicherheitspolitik von Kamala Harris gibt es erhebliche Unschärfen. Man darf davon ausgehen, dass sie den Kurs von Biden und Obama fortführen würde. Die Demokraten sehen die USA führend im Konflikt zwischen Demokratie und Autoritarismus. Harris verspricht, multinationale Allianzen und Bündnispartner zu respektieren. Bei der Konfliktlösung räumt sie der Diplomatie einen grossen Stellenwert ein. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ihr wichtig.
- China: Harris sieht in China eine Bedrohung für die internationale Ordnung. Sie unterstützt regionale Allianzen gegen die hegemonialen Ansprüche Pekings im Südchinesischen Meer. Sie setzt sich für Exportkontrollen bei sicherheitsrelevanten Technologien wie Computerchips und Quantum-Computing ein. Die Biden-Regierung hat die Handelsbeziehungen und die Sicherheitszusammenarbeit mit Taiwan vertieft. Harris kritisiert die Menschenrechtsverletzungen in China.
- Ukraine/Nato: Harris hat es zum Interesse der USA erklärt, dass sich die Ukraine im Angriffskrieg von Russland erfolgreich verteidigen kann. Ein Sieg Russlands würde weitere Angriffskriege durch autoritäre Regierungschefs nach sich ziehen. Unterstützung der Ukraine, «solange wie nötig.» Bekenntnis zum «unverrückbaren Engagement für die Nato.»
- Nahost/Iran: Harris unterstützt das Recht Israels auf Selbstverteidigung und befürwortet die bisherige militärische Hilfe der USA. Sie hat sich aber auch kritisch über die Kriegsführung Israels in Gaza geäussert und anerkennt das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. Sie fordert einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza, die Freilassung der Geiseln sowie eine Zweistaatenlösung im israelisch-palästinensischen Konflikt. Mögliche Erneuerung des internationale Nuklearabkommen mit Iran, das Trump 2018 beendete.
Donald Trump
«Ich werde den Ukraine-Krieg beenden, und zwar schnell.»
Der Ex-Präsident will seine «America first»-Politik weiterführen, welche die Interessen der USA als oberstes Prinzip verfolgt. Kostspieligen Kriegen steht er skeptisch gegenüber. «Peace through strength», militärische Abschreckung, ist das wichtigste Prinzip der Sicherheitspolitik von Donald Trump. In der Diplomatie setzt er auf den persönlichen Kontakt mit autoritären Machthabern. Aus der WHO und dem Pariser Klimaabkommen würde er wieder aussteigen.
- China: Trump verfolgt primär eine aggressive Handelspolitik. Das erklärte Ziel ist eine «Entkoppelung» der Ökonomien der USA und Chinas. Erhöhung der Handelszölle auf chinesischen Importen auf mindestens 60 Prozent; Vierjahresplan zur Förderung der amerikanische Industrie; Exportkontrollen für die heimische «kritische Infrastruktur» wie die Chip- oder die Stahlproduktion. Südkorea, Taiwan und Japan will er zwingen, mehr für den Schutz durch die USA zu bezahlen.
- Ukraine/Nato: Trump verspricht, den Krieg zwischen Russland und der Ukraine noch vor der Amtsübernahme zu beenden. Wie, ist unklar. Er sieht den Krieg als eine Verschwendung von Menschenleben und Material an. Die Hilfsgelder an die Ukraine will er in Darlehen umwandeln. Während seiner Präsidentschaft bemühte sich Trump um ein gutes Verhältnis zu Putin. Er hat die Drohung erneuert, aus der Nato auszusteigen, falls die Bündnispartner ihre finanziellen Ziele nicht einhalten.
- Nahost/Iran: Trump sieht Israel und Saudiarabien als enge Alliierte in der Region. Er unterstützt die israelische Regierung im Krieg gegen die Hamas und den Hizbullah uneingeschränkt. Für eine Zweistaatenlösung setzt er sich nicht ein; jedoch brachte er die Abraham-Abkommen zum Abschluss, welche die Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten normalisierten. Diesen Effort will er zu einem Friedensplan ausdehnen. Gegenüber Iran und seinen Verbündeten vertritt er einen konfrontativen Kurs: «Maximum pressure», lautet die Devise.