Würden wir überhaupt merken, wenn wir mitten im Weltuntergang stünden? Ein Gespräch mit der britischen Sci-Fi-Autorin Naomi Alderman, die gerade ein Buch über die Apokalypse geschrieben hat.
In Naomi Aldermans Büchern geht immer eine Welt unter: die Welt des orthodoxen Judentums, das Patriarchat oder gleich die ganze Erde. Das ist nicht einfach ein effekthascherischer Trick, sondern eine bewusste Anmassung: Alderman sucht Antworten auf die grossen Fragen unserer Zeit, und bei diesen steht nun einmal immer fast alles auf dem Spiel.
Schon ihr erster Roman «Disobedience» (2006) ist ein Akt der Weltzerstörung. Da verlässt eine Frau ihre orthodox-jüdische Gemeinde, um einer lesbischen Liebe zu folgen. Alderman katapultiert sich damit selbst aus der Gemeinschaft, in der sie in den 1970er und 1980er Jahren in London aufgewachsen war. Das Buch wurde ein Bestseller, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und schliesslich verfilmt. Alderman wurde berühmt.
Auch ihre zwei folgenden Bücher verstörten die jüdische Gemeinschaft. Ausgerechnet eine Frau erdreistete sich, die biblischen Geschichten umzudeuten. Jesus ist in Aldermans Geschichte zum Beispiel plötzlich ein Prophet, der es mit seinen eigenen Lehren nicht immer so genau nimmt.
Alderman schreibt Varianten unserer Welt. Verfremdet, aber nur so sehr, dass wir noch erkennen, dass alles auch anders sein könnte. Ihre Geschichten faszinieren auch deshalb, weil man ihnen die intensive Auseinandersetzung mit Geschichte und Philosophie sowie Aldermans langjährige Berufserfahrung in der Tech-Branche anmerkt. Die 49-Jährige wohnt mit ihrem Partner, einem Piloten und Softwareingenieur, in Nordlondon.
Nebenbei arbeitet Alderman auch als Spieleentwicklerin, hat Zombie-Run mitbegründet, eine Fitness-App, bei der man vor Zombies davonjoggen muss. Die App wurde 10 Millionen Mal heruntergeladen.
Weltweit bekannt wurde sie mit ihrem vierten Werk «The Power». Frauen werden darin, dank einer Mutation im Körper, das stärkere Geschlecht. Wäre die Welt dann besser oder ähnlich gewaltvoll? Alderman gewann den Women’s Prize for Fiction, die «New York Times» nannte «The Power» eines der zehn besten Bücher des Jahres. Und Barack Obama outete sich als Fan.
Seit «The Power» gilt Alderman als Sci-Fi-Autorin. Als Science-Fiction wird auch ihr neuester Roman eingeordnet. In «The Future» geht die Welt am Klimawandel zugrunde. Ein paar Tech-Milliardäre, die die Welt mit ihren Konzernen praktisch beherrschen, erkennen dies, haben sich Bunker gebaut und verfügen dank einer künstlichen Intelligenz über ein Frühwarnsystem. Das liest sich wie eine Dystopie, aber wie viel ist daran überhaupt erfunden?
Die Geschichten werden in einem Affenzahn erzählt, wie Spielfiguren in einem Videogame rennen ihre Protagonisten durch einen Wald voller unerwarteter Begegnungen und Zufälle, stets begleitet von Aldermans tiefschwarzem Humor.
Alderman zu lesen, macht Spass. Aber zuweilen bereitet es Schmerzen.
Ihre Bücher sind voller Wut.
Ich mag Wut.
Warum?
Es gibt ja eine Art von Wut, die erlaubt, die eigene Angst zu verbergen. Angst kann sich in Wut verwandeln. Trauer kann in Wut umschlagen. Aber dann gibt es die Wut, die sich daraus speist, dass man die Welt anschaut und sieht, wie unglaublich ungerecht sie ist. Das finde ich ein wunderbares Gefühl. Weil es produktiv ist. Im Grunde haben alle meine Bücher mit etwas begonnen, worüber ich wirklich wütend war. Mein erster Roman «Disobedience» entstand, weil ich mich darüber aufregte, wie die orthodox-jüdische Gemeinschaft Frauen und Homosexuelle behandelte.
War das die erste grosse Wut in Ihrem Leben?
Nein. Das war mit 17 oder 18 Jahren.
Was war geschehen?
Wir hatten eine Reihe von Familienkatastrophen. Der Bruder meines Vaters hatte sich auf sehr traurige Weise das Leben genommen. Als ich ein Kind war, wurde ich von einem Pädophilen missbraucht. Und dann bin ich auf die Universität gegangen, und es hat sich alles einfach irgendwie in mir aufgestaut. Ich war voller unkontrollierter Wut. Ich war ein Schreihals. Ich war jemand, der seine Beherrschung gegenüber seinen Freunden verlor. Es ist erstaunlich, wenn ich jetzt darüber nachdenke, dass ich überhaupt Freunde hatte.
Wie hat die Erfahrung des sexuellen Missbrauchs Ihr Leben geprägt?
Sehr stark, der Schmerz war aber nicht immer gleich. Ich glaube, die Erfahrungen, die man vor langer Zeit gemacht hat, überleben, wenn man sie nicht verarbeitet. Und zwar in Form von Scham. Und das muss man ansprechen, sonst bringt einen die Scham um.
Haben Sie den Täter jemals konfrontiert mit seinen Taten?
O Gott, nein. Er wurde 1991 verhaftet und verurteilt. Also nicht für den Missbrauch an mir, sondern weil er drei Knaben missbraucht hatte. Was ich erlebt habe, war sicherlich nicht so schlimm wie das, was sie erlebt haben. Er starb dann 1994, als ich 20 war. Er hiess Sidney Greenbaum. Er war Professor und eine Koryphäe der englischen Sprachwissenschaften. Ausserdem ein Freund meines Vaters und prominentes Mitglied der jüdischen Gemeinde. Der Missbraucher gibt dem Kind in der Regel das Gefühl, dass es sich schämen müsse und darum nicht darüber sprechen könne. Es ist nicht meine Aufgabe, sein Geheimnis zu bewahren.
Sie haben dann trotzdem darüber gesprochen.
Genau. Und das war mein Sieg. Allerdings war das Beste, was er je für mich getan hat, zu sterben. Ein paar Jahre lang habe ich in der Angst gelebt, dass ich ihm zufällig auf der Strasse begegne. Und als er dann gestorben war, Gott, das war grossartig. Es bereitet mir grosse Freude, dass er tot ist. Jetzt bin ich viel freier als vorher. Seit ich öffentlich darüber gesprochen habe, hat die «United Synagogue», die das Judentum in Grossbritannien vertritt, seinen Namen aus den Gebetsbüchern entfernt.
Sie haben sich ja später selbst aus dieser Gemeinschaft entfernt, indem Sie ein skandalträchtiges Buch über eine junge Frau schrieben, die aus dem orthodoxen Judentum in eine lesbische Liebesbeziehung flüchtete. Ihr Erstling «Disobedience» wurde später verfilmt. Wie wurde das in der jüdischen Gemeinde aufgenommen?
Die Zeitung «Jewish Chronicle» schrieb eine wirklich schreckliche Kritik. Wobei sie später auch alle anderen meiner Bücher schlecht fand. Davon abgesehen habe ich nach dem Erscheinen von «Disobedience» viele Freunde verloren, aber auch neue hinzugewonnen. Zum Glück waren meine Eltern sehr unterstützend.
Ihr Vater ist ein bekannter Historiker und selbst ein kontroverser Autor.
Er hat einst ein Buch veröffentlicht über die Geschichte der Juden in Grossbritannien. Darin beschreibt er, wie bestimmte Gruppen von wohlhabenden, aristokratischen jüdischen Menschen in diesem Land versuchten, im Zweiten Weltkrieg die Regierung dazu zu überreden, keine jüdischen Flüchtlinge in Grossbritannien aufzunehmen. So, well, das ist leider wahr, aber . . .
. . . er hat sich damit unbeliebt gemacht.
Er sagt immer: «Alles, was ich geschrieben habe, ist wahr. Aber die Leute wollen es trotzdem nicht hören.» Wissen Sie, was ich lustig finde?
Nein.
Mein Vater verteidigte sich, indem er sagte: Alles, was er geschrieben habe, sei wahr. Bei mir ist es andersherum. Ich sage zu meiner Verteidigung: Aber ich habe das doch erfunden! Und auf dem Umschlag steht ja «Roman».
Sie beschrieben einst, dass Sie im Stil der 1950er Jahre erzogen worden seien, gerade hinsichtlich der Geschlechterrollen. Inwiefern wurden Sie davon geprägt?
Es gibt viele Dinge, die man an der orthodoxen jüdischen Kultur bewundern kann. Aber ich lebte ein Leben, das ich nicht wollte. Es hat lange gedauert, bis ich das überwunden hatte und sagen konnte: Ich gehe jetzt und lebe so, wie ich leben will. Heute glaube ich, dass meine jüdische Identität mich in einen interessanten Winkel gegenüber dem Rest der Welt stellt. Für einen Künstler ist es unglaublich nützlich, nicht konform zu sein.
Ausgerechnet das orthodoxe Judentum hat Sie nonkonform gemacht?
Was ich am Judentum wirklich sehr schön finde, ist, dass es ein Versuch ist, mit zwei zu Schalen geformten Händen ein bisschen Wasser aus der Bronzezeit in die Gegenwart zu transportieren. In der Bronzezeit hatten die Menschen gerade erst begonnen, Milch von Tieren zu trinken. Und nun fragten sie sich: Was bedeutet es, wenn man tierische Milch trinkt, aber auch Milch von der Mutter? Es bedeutet eigentlich, dass das Tier zu deiner Mutter geworden ist. Und so sagt die Thora an drei verschiedenen Stellen: Kocht das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter. Das Verbot drückt das Gefühl der Menschen darüber aus, dass sie begonnen hatten, etwas sehr Seltsames zu tun. Etwas, das sehr anders ist, als – wie zuvor – das Fleisch eines bei der Jagd erlegten Tieres zu essen. Im orthodoxen Judentum isst man daher bis heute Milch und Fleisch nicht zusammen. Ich bin in einem gewissen Sinn in den 1950er Jahren aufgewachsen, aber in einer winzigen Ecke meines Gehirns wurde ich auch darin unterrichtet, wie man in der Bronzezeit aufwuchs.
Wie meinen Sie das?
Ich glaube, weil ich als orthodoxe Jüdin aufgewachsen bin und dann in Technologie-Startups gearbeitet habe, lebe ich womöglich mental in einer breiteren Zeitspanne als die meisten Menschen. Ich schaue auf die Welt und fühle mich ähnlich wie jemand aus den 1950er Jahren, der nur stille Plätze kennt und sich über unsere Gegenwart wundert: Warum wird überall die ganze Zeit Musik abgespielt?
Sie wundern sich über die Gegenwart. Kommen Sie so auf Ihre dystopischen Geschichten?
Für mich ist es psychologisch belebend, ja geradezu lebensnotwendig, die Welt zu verfremden. Das in meinen Büchern zu tun, macht mich glücklicher als fast alles andere. Ich entdecke in der Art, wie wir leben, seltsame Dinge und halte in meinen Erzählungen fest: Seht her, das ist nicht die einzige Art, wie wir leben können. Und vielleicht können wir diese Fremdartigkeit, die ich in meinen Büchern konstruiere, für ein paar Augenblicke bewohnen.
Im neuesten Roman, «The Future», gelingt Ihnen diese Verfremdung aber nicht so richtig. Sie beschreiben eine Art Zukunft, in der Tech-Milliardäre mithilfe einer selbstentwickelten künstlichen Intelligenz in der Lage sind, die Apokalypse vorherzusehen und sich als Gruppe von Eingeweihten in einen Bunker zu flüchten. Das klingt doch sehr vertraut, als ob die Zukunft laufend von der Realität eingeholt würde.
Ursprünglich begann «The Future» mit fünfzig Seiten, auf denen ich eine Pandemie beschrieb. Kurz darauf trat tatsächlich eine Pandemie ein. Also begann ich wieder von vorne, weil die Dystopie gerade von der Realität eingeholt worden war. Ich denke oft darüber nach, dass der einzige Unterschied zwischen unserer Welt und einer Science-Fiction-Dystopie darin besteht, dass wir uns Bezeichnungen einfallen lassen für Dinge, die bereits existieren. Denken Sie an Reality-Shows wie «Big Brother». Da lassen sich Leute, die ihren Job nicht mögen oder die kein Geld haben, mit anderen in einem Haus einschliessen. Der Rest von uns schaut ihnen dann im Fernsehen zu, wie sie miteinander konkurrieren. Ein uneingeweihter Zuschauer, der zufällig in das Programm zappt und mit dem Konzept nicht vertraut ist, würde denken, es handle sich um eine Sci-Fi-Dystopie.
Das Fernsehen nimmt also unsere Realität und macht daraus Dystopien.
Der Kommunikationswissenschafter Neil Postman schrieb in den 1980er Jahren darüber, wie das Fernsehen das Verhältnis der Menschen zu Informationen, zu Nachrichten, zu Fakten veränderte. Wenn Sie zum Beispiel über Terrorismus etwas erfahren, dann brauchen Sie wahrscheinlich ein paar Minuten, um das zu verarbeiten. Zeitungen, Bücher gaben Ihnen diesen Moment. Postman sah nun das Fernsehen und sagte, es lasse uns keine Zeit für diese Momente des Nachdenkens. Wenn man in den 1980er Jahren die Fernsehnachrichten sah, sagte man: «Okay, hier sind ein paar schreckliche Dinge, die in Kambodscha passieren, hier sind ein paar schreckliche Dinge an einem anderen Ort und jetzt ein Hund, der das Alphabet singen kann.» Im Grunde ist also der Inhalt der Geschichten egal, denn es geht mehr um den Akt, wie sie zusammengefügt wurden. Und dieser lässt alles trivial erscheinen. Man glaubt nicht mehr daran, dass man die Welt beeinflussen kann. Es gleitet alles irgendwie an einem vorbei.
Wir konsumieren einfach die Welt.
Wo ist der Raum, in dem ich überhaupt mit dem Leiden aus einer dieser schrecklichen Nachrichten ein paar Momente allein sein kann?
Postman hat die heutige Entwicklung mit Social Media vorweggenommen.
Ja, das stimmt. Wir leben jetzt in dieser Zukunft, die kulturpessimistische Denker wie Postman vor vierzig Jahren voraussagten – und niemand scheint davon beunruhigt zu sein. Wir vergessen sogar, dass es früher anders war. Und kommen gar nicht auf die Idee, zu fragen, was wir brauchen würden, um diese Denkpause wieder zurückzugewinnen.
Würden wir es überhaupt merken, wenn wir uns mitten in einer Apokalypse befänden?
Für manche Leute befinden wir uns gerade in einer Apokalypse. Klar, wir sind hier in Europa, es ist unwahrscheinlich, dass diese Region die Hauptlast der kommenden Klimaapokalypse tragen wird. Wenn Sie jetzt unter 30 sind, wissen Sie, dass Sie Schreckliches erleben werden: Es ist klar, dass sich das Klima ändern wird, dass es an manchen Orten unerträglich heiss werden wird, dass diese Orte unbewohnbar oder sehr schwierig bewohnbar werden, dass Ernten ausfallen. Wir wissen auch, dass noch viel mehr Menschen zu Tode kommen werden – aber eben meistens nicht in Europa, Nordamerika.
Sie beschreiben in «The Future» ein Szenario aus der Perspektive der Tech-Milliardäre, die sich vor dem Weltuntergang in ihre Bunker zu flüchten versuchen.
Ich glaube, mir ist das in den letzten zwei Wochen, seit ich in Interviews über mein Buch spreche, sehr klargeworden: Diese Milliardäre, über die ich in «The Future» schreibe, die dank ihrem Reichtum in Bunkern den Weltuntergang überleben werden – das werden wir, die Europäer, die Nordamerikaner sein.
Diese Erkenntnis, dass Sie zwar über Tech-Milliardäre geschrieben haben, aber dass diese eigentlich für uns alle stehen, die kam Ihnen erst jetzt?
Wenn man ein Buch schreibt und die Leute dann immer wieder Fragen dazu stellen, dieser Prozess ist sehr interessant. Meistens finde ich so heraus, warum ich das Buch geschrieben habe. Das meinte ich auch mit produktiver Wut.
Vielleicht liefern Leute wie Jeff Bezos oder Elon Musk uns dereinst die Technologien, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Es könnte sein, dass wir ihnen bald dankbar sein müssen. Woher kommt Ihre Wut auf sie?
Weil mir klarwurde, dass sie uns alle bestohlen haben. Sie haben sich an unseren Daten und unseren Persönlichkeitsrechten bedient. Alle von uns, die jemals etwas ins Internet gestellt haben, wurden von diesen Leuten bestohlen, die damit sehr reich wurden und jetzt so tun, als gehöre ihnen das alles. Diese Wut ist ein Treibstoff für Veränderungen.
Sie glauben, dass Ihre Wut, in Literatur verpackt, Menschen verändern kann.
Die Literatur hat jedenfalls mein Leben verändert. Ich glaube, auf individueller Ebene kann sie einiges bewirken. Die amerikanische Schriftstellerin Margaret Atwood hat mit «The Handmaid’s Tale» eine Dystopie geschrieben über ein von Männern regiertes Land, die über die Fruchtbarkeit der Frauen verfügen und sie vergewaltigen, um Nachwuchs zu bekommen.
Das hat die neue Anti-Abtreibungs-Welle in den USA jedoch nicht aufgehalten.
Nein, aber auf einer individuellen Ebene hat es den Menschen vielleicht geholfen, zu verstehen, was mit ihnen geschieht. Das finde ich hilfreich. Ich meine, ich war eine orthodoxe Jüdin, als ich das Buch las. Und ich habe es in meinem Kopf mit der Religion meiner Familie verknüpft. Und dann gab es eine kleine Explosion in meinem Kopf.
Welches Buch hat Ihnen geholfen, Ihre Wut zu überwinden?
Was mir geholfen hat, über die Wut hinwegzukommen, war Psychotherapie. Aber das, was mir das Gefühl gab, weniger allein zu sein, war vielleicht «Per Anhalter durch die Galaxis» von Douglas Adams. Das Buch war witzig. Aber es war auch unglaublich zynisch, was die Welt angeht. Es beginnt ja damit, dass die Welt zerstört wird. Douglas Adams ist irgendwo in meinem Unterbewusstsein die ganze Zeit. Er ist mit 49 Jahren gestorben. Ich bin jetzt 49 . . . Ich habe einen Termin mit meinem Arzt vereinbart, nur um alles überprüfen zu lassen.
Wann haben Sie zum ersten Mal über die Apokalypse nachgedacht?
Wer nach der Erfindung der Atombombe aufgewachsen ist, denkt immer ein bisschen über den Weltuntergang nach. Und ich bin Jüdin. Ich wurde über den Holocaust aufgeklärt und dachte: Ach, das ist eine Apokalypse. Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal das Feld in Lettland besucht, wo die Familie meines Vaters 1941 in eine Grube geschossen wurde. Wenn man weiss, dass das eine reale Möglichkeit ist . . .
Wann haben Sie das erste Mal vom Holocaust erfahren?
Mein Vater zeigte mir ein Buch mit Fotos aus dem Ghetto in Riga, aus der Zeit vor dem Holocaust. Und er erklärte mir, dass meine Vorfahren so gelebt hätten und dass das jetzt alles zerstört sei. Aber vor der Zerstörung sah das Ghetto nicht wie ein Ort des Grauens aus. Der Holocaust war für mich als Kind auf den Fotos nicht zu erkennen.
Wie alt waren Sie da?
Das weiss ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich an ein Gespräch zwischen meinen Eltern, ich muss ziemlich jung gewesen sein, vielleicht sieben. Mein Vater hat beiläufig etwas vom Holocaust erwähnt, und ich fragte: Was ist das? Und meine Eltern sahen sich zögernd an, als ob sie überlegen würden, ob man mir das zumuten kann. Und meine Mutter sagte dann zu meinem Vater: «Na ja, es kamen Kinder ums Leben, die jünger waren, als sie jetzt ist.»
Die Welt geht in «The Future» unter und auch schon in Ihrem vorherigen Buch, «The Power».
Apokalypsen passieren die ganze Zeit.
Wir können uns an keine erinnern.
Weil wir unsere Zivilisation mögen, glauben wir, dass unsere Welt unmöglich untergehen könne. Aber die Geschichte zeigt ja, dass es allen Zivilisationen zuvor passiert ist. Die Römer, das antike Griechenland, sie alle dachten, sie würden für immer bestehen. Und jetzt haben wir von ihnen nur noch Ruinen und Texte. Und versuchen sie zu rekonstruieren.
Viele Leute sagen, der jetzige Moment – Krieg in der Ukraine, nun der Krieg im Nahen Osten – fühle sich an, als ob es noch nie so schlimm gewesen sei. Teilen Sie dieses Gefühl eines bevorstehenden Kollapses?
Es gab schon viel, viel schlimmere Kriege als diese. Und haben wir gerade die schlimmste Pandemie aller Zeiten erlebt? Nein. Aber wir erleben einen noch nie da gewesenen, von Menschen verursachten Klimawandel.
Sie klingen nicht sehr hoffnungsvoll, was die menschliche Spezies betrifft.
Ich glaube, wir haben bei der Pandemie gerade etwas getan, was es in der Geschichte des Planeten noch nie gegeben hat. Mir ist kein anderes Ereignis bekannt, bei dem eine Spezies, eine ganze Spezies in einer konzertierten, globalen Weise gehandelt hat, um eine existenzielle Bedrohung abzuwenden. Bei früheren Pandemien hatten wir gar nicht die Kommunikationsmittel, um als Spezies zu agieren. Und natürlich haben einige Leute nicht daran geglaubt, und viele sind gestorben, aber es hätte viel schlimmer sein können, als es war.
Bei der Bekämpfung des Klimawandels fehlen diese konzertierten Massnahmen.
Vielleicht, weil wir ziemlich kurzfristig denken oder die Angst vor einer Krankheit besser verstehen als die Angst vor einer seltsamen Klimaveränderung. Vielleicht auch, weil die wohlhabendsten Länder der Welt durch einen glücklichen Zufall zu den am wenigsten betroffenen gehören werden. Ich denke, es ist es wert, darauf hinzuweisen, dass wir etwas tun könnten.
Es gibt in «The Future» eine Passage, in der Sie eigentlich beschreiben, wie die Klimakatastrophe abgewendet werden könnte.
Nach «The Power» haben sich Leser beklagt, dass ich gar nie erklären würde, was wir denn tun könnten. Ich fand: So kompliziert wäre es nicht, diese Informationen herauszufinden. Also schrieb ich das auf.
Um das Ende nicht zu verraten, beschreiben wir das jetzt nicht. Aber die Stelle macht beim Lesen irgendwie traurig.
Ich habe auch noch eine andere Version des Buches geschrieben, ein anderes Ende. Ich könnte Ihnen das schicken. Wobei: Das wäre komisch.
Allerdings.
Aber für mich ist es eigentlich offen, wie das Ende von «The Future» zu lesen ist. Margaret Atwood hat einmal gesagt, eines der Vergnügen beim Lesen einer Dystopie sei, dass man in unsere Welt zurückkehren könne, nachdem man das Buch beendet habe, und sagen könne: «Oh, puh, nur Fiktion.» Mich interessiert auch das Gegenteil. Ein Buch, bei dem man am Ende der Lektüre in unsere Welt zurückkehrt und sagt: «Oh, das ist enttäuschend.»
Das war es, was wir mit «Traurigkeit» meinten.
Während der Lektüre ist man ständig in der realen Welt und kann abgleichen: Ja, das ist in der Realität schlimmer, das wird auch nicht gelöst, da geht die Welt auch vor die Hunde. In gewisser Weise ist es also konservativ, eine Dystopie zu schreiben, weil sie einen dazu ermutigt, sich mit der Welt, in der man lebt, zufriedenzugeben. Und etwas Utopisches zu schreiben, ist radikal, weil es uns dazu ermutigt, unzufrieden zu sein.
Wollen Sie, dass wir Leser wütend werden?
Auf die Welt, nicht auf mich.
Auf wen konkret sollen wir wütend sein?
Ich möchte, dass Sie meine Wut spüren, aber ich möchte auch, dass Sie Ihre eigene Wut spüren. Wenn Sie lesen, was alles gut sein könnte auf der Welt, und sich sagen: Ja, ich will, dass das passiert, dass diese Dinge geschehen – an wen denken Sie dann? Wer soll das umsetzen? Vielleicht denken Sie an die Regierung. Vielleicht an die Leute, denen die grössten Unternehmen der Welt gehören, an die reichsten Leute der Welt.
Und das verleitet die Menschen dann zum Handeln?
Ich drehe die Welt in meinen Büchern sozusagen um, betrachte sie und frage: Könnte sie besser sein? Bei «The Power» fragte ich, wenn Frauen das stärkere Geschlecht würden, würde es dann besser?
Die meisten Frauen handeln im Buch ebenso gewalttätig und diktatorisch wie die Männer.
Meine Antwort war nicht unbedingt Ja.
Das ist eine ziemlich pessimistische Sicht auf die Menschen.
Ich würde nicht behaupten, dass ich eine radikale politische Denkerin bin. Für mich persönlich fand ich es jedenfalls sehr wichtig, zu verstehen, dass Technologieunternehmen uns das Image verkaufen, dass wir einflussreich seien, und uns zugleich aber davon ablenken, tatsächlich etwas zu tun, was die Welt verändert. Und ich finde es wichtig, dass ich mich nicht einfach in den sozialen Netzwerken über andere Leute aufrege, sondern das tue, was meine Eltern und Grosseltern auch schon getan haben: meinem Abgeordneten schreiben, dass er dies oder jenes tun solle.
Oder Sie schreiben ein Buch als Therapie.
Ich fühle mich einfach besser, wenn ich schreibe. Ich bin besser, wenn ich schreibe. So scheine ich das Leben zu verdauen. Meine Mutter ist im vergangenen März gestorben. Und ich arbeite gerade an etwas, das von Trauer und Verlust handelt und in gewisser Weise von meiner Mutter.
Vermissen Sie Ihre Mutter sehr?
Ja. Sie war drei Jahre lang sehr krank gewesen. Sie hatte eine Reihe von Schlaganfällen erlitten. In gewisser Weise vermisste ich sie also schon, bevor sie weg war.
Hatte sie grossen Einfluss auf Ihr Leben?
Wenn man eine Mutter hat, die sehr viel liest, kann man mit ihr reden, indem man Bücher schreibt.
Was wollten Sie Ihrer Mutter in Ihren Büchern sagen?
Um ehrlich zu sein, weiss ich das noch nicht. Jeder, der jemanden Nahestehendes verloren hat, wird diese Erfahrung gemacht haben: Man erfährt immer noch etwas über die Person und über die Beziehung zu ihr, nachdem sie gestorben ist. Das war für mich sehr überraschend. Kennen Sie das: Sie haben ein Geräusch, das schon sehr, sehr lange in Ihrem Haus zu hören ist? Eine Maschine läuft draussen, und sie läuft und läuft . . . Und dann geht sie plötzlich aus, und Sie sagen: «Gott, ich habe gar nicht bemerkt, dass dieses Geräusch da war.» Ich glaube, so ist es, wenn deine Mutter stirbt.
Reden Sie mit ihr im Kopf, so wie eine der Hauptfiguren in «The Future» mit ihrem verstorbenen Ehemann redet?
Ich träume von ihr. Ich frage sie oft: «Wo hast du das hingetan?» Und sie sagt es mir im Traum, und dann wache ich auf und merke, das war nicht real. Ich glaube, ich sehe sie mindestens jede dritte Nacht.
Sie haben einmal erzählt, Sie könnten Ihre Gefühle ausschalten. Wie haben Sie das gelernt?
Durch das Kindheitstrauma des Missbrauchs. Ich habe früh gelernt: Was auch immer du durchmachst, konzentriere dich auf deine Schulnoten, arbeite für eine Zukunft, in der du selbst über dein Leben bestimmst. Wenn ich am stärksten verzweifelt bin, werde ich am intellektuellsten. Ich sage mir einfach: Okay, ich abstrahiere von dieser Sache, ich denke über andere Dinge nach, das ist eine Überlebensstrategie.
Die Figuren in «The Future» haben diese Fähigkeit auch. Sie nennen es eine «Superkraft». Wann haben Sie zum ersten Mal realisiert, dass Sie diese Gabe haben?
Vermutlich in der Psychotherapie. Die Therapeutin fragte: «Wie fühlen Sie sich?» Und ich, mit 27 Jahren, habe geantwortet: «Äh, ich weiss nicht. Was meinen Sie mit Gefühlen?» Von dort war es ein langer Weg, wieder etwas zu empfinden und meine Gefühle auszudrücken.
Wann haben Sie Ihre Superkraft das letzte Mal angewendet?
Am Abend der Premiere der Serie «The Power» brach meine Mutter mit einem Schlaganfall zusammen. Ich ging ins Krankenhaus. Ich war dort von 1 Uhr bis 3 Uhr morgens. Der Arzt sagte: «Wissen Sie, wahrscheinlich wird sie noch mindestens ein paar Wochen in diesem Zustand sein.» Meine Mutter und ich hatten früher schon über solche Situationen gesprochen. Sie wusste, dass sie krank war und dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. Und sie hatte mir gesagt: «Egal, was mit mir ist, du hast so hart gearbeitet, tu, was du tun musst.» Also bin ich am Tag nach der Premiere ins Flugzeug gestiegen und nach New York geflogen. Dort habe ich zwei Tage lang Interviews gegeben. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass sie jederzeit sterben könnte. Ich glaube, es ist eine Superkraft, das zu können. Auf dem Rückflug erhielt ich von meinem Vater die Nachricht, dass sie sich definitiv nicht von ihrem Schlaganfall erholen wird.
Sie haben auf Ihrer Website eine Art Interview mit fiktiven Leserfragen, und eine der Leserfragen lautet: «Das ist ein ziemlich miserables Buch, nicht wahr?» Ihre Antwort lautet: «Ja, Mama, das ist es.»
Sie hat jedes einzelne meiner Bücher gelesen. Dann hat sie mir oft hinterher gesagt: «Da war zu viel Sex drin.» Und ich sagte: «Da ist nur eine Zeile.»
Was sicher nicht stimmt. Denn es gibt sehr viel Sex in Ihren Büchern.
Finden Sie?
Ja, Sex ist sehr präsent in Ihren Erzählungen. Und Liebe. Aber es fällt uns schwer, zu sagen, ob es wirklich Liebe ist.
Kürzlich habe ich zu Freunden gesagt, dass ein Interview mit einer Zeitung wie eine Therapie sei. Welche seltsamen Dinge werden sie mich fragen? Und was werden sie danach damit machen?
Sie behaupten, dass es sich bei «The Future» um eine Liebesgeschichte handle.
Ja, es ist eine Liebesgeschichte!
In Ihren Büchern sehnen sich sehr viele Menschen nach echter Liebe, bekommen sie aber nicht.
Ich glaube, dass ich im Vergleich zu vielen Menschen ein wenig zynisch bin, was die romantische Liebe angeht. Was nicht heissen soll, dass ich nicht daran glaube, dass Menschen liebevolle, fürsorgliche, engagierte Beziehungen eingehen können, die zutiefst befriedigend sind. Aber vor ein paar Jahren habe ich einen Schriftsteller gelesen, der sagte, die romantische Liebe habe Gott ersetzt als das, von dem wir glaubten, es solle das Zentrum unserer Welt sein.
Ein weiser Mann.
Es war in der Tat ein Mann. Ich dachte, das ist so wahr. Es ist ja nichts falsch an romantischer Liebe. Und ich habe einige schöne Erfahrungen gemacht. Ich habe mich leidenschaftlich in Menschen verliebt, und die Beziehungen gingen schief. Ich bin jetzt glücklich in einer langjährigen Beziehung. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Liebeserfahrung wahrhaftiger ist als andere Lebenserfahrungen.
Sie schreiben gerne über Sex.
Ja!
Wie schwierig ist es, eine Sexszene zu schreiben?
Es ist recht sexy. Wenn es dich nicht selbst erregt, hast du es nicht richtig gemacht. Es ist wie ein kleiner Tanz, wo man nicht zu viel enthüllen will. Gibst du zu viel preis, verschwindet die Erregung.
Dürfen wir eine Szene vorlesen? «It felt like a kiss. It felt like falling. It felt like an expert finger parting your labia.» (Es fühlte sich an wie ein Kuss. Es fühlte sich an wie ein Fall. Es fühlte sich an wie ein erfahrener Finger, der deine Schamlippen trennt.)
Ja, ich erinnere mich. Die Szene passiert zwischen zwei Frauen. Ich persönlich hatte Beziehungen mit Männern und Frauen. Aber ich schreibe einfach gerne über Frauen. Ich habe das Gefühl, dass es in der Welt schon genug heterosexuelle Romanzen gibt.
Explizites und Unterschwelliges stehen ausbalanciert in diesem Satz. Wie bewusst sind Sie vorgegangen?
Es gibt eine Dreierregel beim Schreiben, Sie kennen diese kleinen Tricks bestimmt: Man macht drei Dinge, und das Dritte ist das Schockierendste oder Aufregendste. Die Sätze davor sind wie ein Vorspiel. Aber mir kommt etwas in den Sinn, mit dem ich mich jetzt wahrscheinlich blamiere bei Ihrer Leserschaft.
Was denn?
Schreiben hat eine sexuelle Komponente. Das heisst, man beurteilt immer, wie es für die Person ist, die jemandes Worte erhält. Wird sie es mögen? Wird es ihr zu viel sein? Wird es nicht genug sein? Wird sie sich irgendwann langweilen? Je mehr man herausfindet, wer die eigenen Leser sind, desto mehr versteht man, was funktioniert hat und was nicht funktioniert hat. Wie in einer langen Liebesaffäre, bei der man sich fragt: Was gefällt dir jetzt? Was hat dir nicht gefallen? Verstehen Sie?
Ist das ein sehr weiblicher Ansatz . . .
Ich meine, ich bin eine Frau.
. . . ständig darüber nachzudenken, ob es den anderen gefällt, was Sie tun?
Ich glaube nicht, dass es weibliche Gehirne und männliche Gehirne gibt. Ich glaube aber, dass es Wege, die Dinge zu tun, gibt, die Frauen gelehrt werden, und Wege, die Dinge zu tun, die Männern gelehrt werden. Ich glaube, dass es eine bestimmte Art von Freiheit gibt, von der Männer glauben, dass sie sie hätten, und von der Frauen glauben, dass sie sie nicht hätten. Ich glaube, wir können viel damit anfangen, indem wir einfach sagen: Nein, ich werde ab jetzt freier sein.
Im orthodoxen Judentum werden Ehen arrangiert.
Eine sehr unromantische Kultur. Man geht davon aus: Romantische Liebe wird dich in die Irre führen. Sie ist nur eine Illusion. Stattdessen solltest du jemanden suchen, der mit dir kompatibel ist und eine ähnliche Weltanschauung hat und das gleiche Leben führen will wie du. Meine Eltern hatten eine arrangierte Ehe. Was nicht heissen soll, dass es eine Zwangsehe war. Sie wurden einander vom Rabbiner vorgestellt. Sie waren beide in der Lage, Nein zu sagen. Sie hatten vorher schon andere Leute getroffen und Nein gesagt.
Ein undenkbares Konzept in der modernen Welt.
Ja. Glaubt man heute nicht an die romantische Liebe, dann ist es so, als ob man nicht an Gott glaubt.
Sie haben einmal darüber gesprochen, dass es Ihnen als junger Frau nicht einmal erlaubt war, über Männer nachzudenken. Was macht das mit der Sexualität?
Erst als ich das orthodoxe Judentum verlassen hatte, setzte ein langsamer Prozess ein, der mir klarmachte, dass sexuelles Verlangen wirklich ziemlich wichtig ist. Meine Mutter war in vielerlei Hinsicht eine brillante Frau, die mich als Schriftstellerin gefördert hat, aber gleichzeitig war sie eine jüdisch-orthodoxe Frau, der jede Erwähnung von Sex eine zu viel war.
Was hat Ihnen Ihre Mutter über das Frausein beigebracht?
Oh, mein Gott! Okay. Wie viele Stunden habe ich Zeit?
Kurzgefasst?
Kurzgefasst habe ich das Gefühl, dass meine Mutter ein Rätsel ist. Und wenn ich es gelöst habe, dann wären alle Rätsel meines Lebens gelöst. Nur gibt es keine solche Lösung. Meine Mutter schätzte meinen Intellekt. Sie ermutigte mich dazu, in Oxford Philosophie zu studieren. Aber als ich ihr sagte, dass ich mich für das Studium des Talmuds interessiere, eines der wichtigsten Schriftwerke des Judentums, sagte sie: «Oh, nein, das Gehirn einer Frau ist nicht für das Studium des Talmuds geeignet.»
War sie sich dieses Widerspruchs bewusst?
Nein. Sie verkörperte einige Widersprüche. Sie gab sie an mich weiter. Und in gewisser Weise empfinde ich es sogar als grosszügig, dass sie das tat. Im Sinne von – ich will das nicht vereinfachen, sondern einfach nur sagen –: Die Welt ist kompliziert, und ich traue dir zu, dass du damit umgehen kannst.
Geht es im Leben also darum, diese Art von Spannungen zu ertragen?
Nicht nur das. Geniessen Sie sie! Ich glaube, das ist der Punkt, zu dem ich am Ende des Buches komme: Erwarte nicht, dass es gelöst wird, das Leben ist kein Problem, das man lösen muss.
Naomi Alderman: The Future. Roman. Heyne-Verlag, München, 2023. 544 S., Fr. 33.50.