Lange bezahlten Kunden mit Spitalzusatzversicherungen viel zu hohe Prämien. Dafür wurden die Krankenversicherungen von der Finanzmarktaufsicht (Finma) wiederholt gerügt. Trotzdem entscheiden sich immer mehr für eine solche Versicherung.
Wie jeden Herbst befassen sich derzeit viele mit dem Thema Krankenversicherung. Bis zum 30. November kann man die Grundversicherung noch wechseln. Wer sich derzeit auf den Websites der Krankenkassen über günstigere Alternativen in der Grundversicherung informiert, stösst dabei auch auf Spitalzusatzversicherungen. Und unweigerlich drängt sich die Frage auf: Brauche ich das?
Die Krankenversicherungen finden: unbedingt. Denn damit verdienen sie gutes Geld. Und offenbar finden sie gute Argumente, um die Kunden vom Nutzen einer Spitalzusatzversicherung zu überzeugen. Dass die Krankenkassen und die Spitäler von der Finma und vom Preisüberwacher schon länger angeprangert werden, die Kunden mit den Zusatzversicherungen zu schröpfen, scheint der Beliebtheit von Spitalzusatzversicherungen nicht zu schaden.
Flex-Modelle sind gefragt
Mittlerweile haben 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Spitalzusatzversicherung. Das geht aus einer Studie hervor, die das Forschungsinstitut BSS im Auftrag des Krankenkassenverbands Santésuisse erstellt hat. Im Jahr 2006 waren es erst 13 Prozent. Die Abschlüsse von klassischen Halbprivat- und Privatversicherungen sind zwar leicht rückläufig. Dafür sind die Flex-Modelle, die in den nuller Jahren eingeführt wurden, immer beliebter. Denn Flex-Modelle haben den Vorteil, dass man vor jedem Spitalaufenthalt entscheiden kann, ob man in die allgemeine, die halbprivate oder die private Abteilung eintreten will. Die Wahl ist dabei zumeist vom Schweregrad des Eingriffs und von der Dauer des Aufenthalts abhängig.
Bei einem kurzen Spitalaufenthalt, zum Beispiel wenn ein Blinddarm entfernt werden muss, macht es vielen Patienten nichts aus, auf der allgemeinen Bettenstation zu liegen. Ganz anders sieht es aus, wenn man aufgrund einer Krebserkrankung mehrere Wochen im Spital verbringen muss. In einer solchen Situation schätzen viele Patienten ein grösseres Mass an Komfort und allenfalls auch mehr Privatsphäre in Form eines Zweier- oder eines Einzelzimmers.
Flex-Modelle kosten verglichen mit den herkömmlichen Halbprivat- und Privatversicherungen oft nur einen Bruchteil. Ein Vergleich bei Comparis hat ergeben, dass die Prämien für eine Flex-Versicherung zwischen 25 und 80 Franken pro Monat liegen. Allerdings bezahlen die Kunden Selbstbehalte von bis zu mehreren tausend Franken, wenn sie von der Option Gebrauch machen.
Mit ein Grund, weshalb der Grossteil der Spitalzusatzversicherungen Flex-Modelle sind, ist, dass der Komfort in vielen Spitälern auch in der Allgemeinabteilung gestiegen ist. In den Schweizer Spitälern logieren die Patienten mittlerweile wie im Hotel, oftmals werden standardmässig nur noch Einzel- und Zweibettzimmer angeboten. Auch allgemein versicherte Patienten haben gute Chancen auf ein Zweibettzimmer.
Dass sich immer mehr Patienten trotzdem eine Spitalzusatzversicherung leisten, hat andere Gründe. «Heute sind die Zusatzleistungen in der Medizin und in der Pflege entscheidender als die Hotellerie», sagt Andreas Koller, Leiter Departement Produktmanagement und Underwriting bei der Krankenversicherung Swica. Ausschlaggebend seien dabei vor allem die freie Spital- und Arztwahl und der schnellere Zugang zu Terminen.
Allerdings hört man vor allem von öffentlichen Spitälern immer wieder, dass sie zwischen allgemein und halbprivat oder privat versicherten Patienten keinen Unterschied beim Einsatz des ärztlichen Personals machten. Ob dem so ist oder nicht, ist unklar. Denn das Thema Zweiklassenmedizin ist ein heikles Terrain.
Kritik der Finma
Der wachsende Markt bei den Spitalzusatzversicherungen zeigt, dass sich die Konsumenten von der Kritik der Finma offenbar nicht beeindrucken lassen. Im Jahr 2020 führte die Finma bei den Krankenversicherern Kontrollen durch. Dabei prüfte die Aufsichtsbehörde Rechnungen, die Spitäler und Ärzte zusatzversicherten Patienten gestellt hatten.
Das Fazit fiel verheerend aus. Leistungen, die in der Grundversicherung bereits abgedeckt gewesen wären, wurden über die Zusatzversicherung nochmals abgerechnet. Zudem wurden bei vielen Zusatzversicherten höhere Arzthonorare verrechnet, auch wenn sie für eine Behandlung die freie Arztwahl nicht genutzt hatten. Machten Versicherte von der freien Arztwahl Gebrauch, haben das Spitäler oft als Anlass dafür genommen, neben den ausgewählten Ärzten auch weitere involvierte Ärzte über die Zusatzversicherung abzurechnen. Bei den Hotellerie-Leistungen fiel auf, dass halbprivat Versicherten der Service «Zweibettzimmer» verrechnet wurde, auch wenn das Spital nur noch über solche verfügte.
Zu den Missständen kam es, weil sowohl die Krankenkassen als auch die Spitäler kein Interesse daran hatten, die Kosten bei den Zusatzversicherungen möglichst tief zu halten. Die Spitäler brauchen das Geld, um ihre finanziellen Löcher zu stopfen. Denn die Tarife aus der Grundversicherung sind laut dem Spitalverband H+ nicht kostendeckend. Die Krankenkassen wiederum profitierten von höheren Prämien.
Die Devise der Finma war klar: Die Krankenkassen müssen ein wirksameres Controlling einführen und die Verträge mit den Spitälern und Ärzten neu aushandeln. Bis Ende 2024 müssen die gravierendsten Missstände behoben sein. Sonst genehmige die Finma keine neuen Spitalzusatzversicherungs-Produkte mehr.
Im Mai 2021 teilte die Finma in einem Rundschreiben zudem mit, dass die Krankenversicherungen mit den Spitalzusatzversicherungen maximal 10 Prozent Gewinn erzielen dürfen.
Kunden müssen mithelfen
Vier Jahre später hat sich einiges getan. Im Gespräch mit den grossen Krankenversicherungen Helsana, CSS und Swica zeigt sich, dass mit den meisten Leistungserbringern neue Verträge ausgehandelt wurden. Alle drei Versicherungen befinden sich nur noch mit einer Handvoll Kliniken in einem vertragslosen Zustand.
Und tatsächlich sind die Prämienvolumen der Zusatzversicherungen laut dem Versicherer-Report der Finma gesunken. Dass die Anzahl der Versicherten gleichzeitig zugenommen hat, ist ein Indiz dafür, dass die Kassen für ihre Kunden tatsächlich bessere Tarife herausgeholt haben.
«Allerdings sind wir bei der Verhinderung von Missständen in Bezug auf nicht erbrachte Mehrleistungen auch auf die Mithilfe der Kunden angewiesen», sagt Caroline Wilke, Leiterin Produkte und Versicherungstechnik bei der Krankenversicherung Helsana. Neu erhalte der Kunde immer eine Rechnungskopie vom Leistungserbringer.
Die Krankenversicherer haben zudem ihre Bewertungsmodelle verfeinert, um die Preise besser beurteilen und verhandeln zu können. Dabei wird der Mehrwert der Zusatzleistungen gegenüber der Grundversicherungsleistung berücksichtigt. Dessen Erfüllung wird bei den Kunden stichprobeartig erfragt.
Dennoch scheinen die Krankenkassen noch nicht ganz am Ziel zu sein. Denn die Finma schreibt auf Anfrage: «Wir stellen beispielsweise fest, dass gewisse Arzthonorare immer noch doppelt abgerechnet werden – sowohl über die Grund- als auch über die Zusatzversicherung.»
Innovation durch Efas
Die Krankenversicherer beschäftigen sich derzeit nebst den Regulatorien auch mit der Weiterentwicklung von Spitalzusatzversicherungen. Im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung über die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas) könnte sich die Innovation bei den Spitalzusatzversicherungen beschleunigen.
Denn falls Efas im November angenommen wird, dürfte es künftig zu einem schnelleren Ausbau der ambulanten Leistungen kommen. Die heutigen Spitalzusatzversicherungen sind jedoch immer noch stark auf stationäre Leistungen ausgerichtet.
«Die Spitalzusatzversicherung der Zukunft wird sich entlang des gesamten Behandlungspfades orientieren – unabhängig davon, ob die Behandlung ambulant, stationär oder alternativmedizinisch stattfindet», sagt Sanjay Singh, Leiter Leistungen, Produkte und Health Services der CSS. Weiter sollen solche Versicherungen einen leichteren Zugang zu medizinischen Innovationen gewähren.