Immer längere Bahntunnel unter den Alpen erfordern neue Rettungskonzepte, sollte ein Zug stecken bleiben oder gar in Brand geraten. Die ÖBB haben zusammen mit Stadler einen technisch besonders avancierten Lösch- und Rettungszug entwickelt.
Zwischen schnittigen High-Speed-Zügen und neuen, schicken Regionalbahnen steht, einem Fremdkörper gleich, ein kantiges Schienenfahrzeug. Der leuchtend gelbe Rohling mit seiner senkrechten Front und vielen Anbauteilen kommt dennoch auf Tempo 160, wenn es darauf ankommt. In Tunnelnotfällen zum Beispiel, denn exakt dafür wurde der Servicejet konzipiert – von der ÖBB-Tochter Rail Equipment, österreichischen Feuerwehrverbänden und Stadler in Bussnang als Herstellerin und Gewinnerin eines EU-weiten Ausschreibungsverfahrens.
Stadler schickte eines der ersten Exemplare des Servicejet – insgesamt 18 haben die ÖBB bestellt – nach Berlin und zeigte ihn an der Bahnweltmesse Innotrans im September neben dem akkubetriebenen Flirt und der neuen Centovalli-Bahn.
Stadler hat mit dem Projekt Neuland betreten, Lastenheft samt Einsatzszenario seien für die Firma ganz neu gewesen, so Franz Andenmatten, Leiter Auftragsabwicklung und in Bussnang zuständig für alles, was «tailormade» ist, wie die Spezialbahnen mit Einzelstückcharakter dort heissen.
Der Servicejet ist ein moderner Lösch- und Rettungszug, wartet mit vielen technischen Finessen auf und wurde komplett neu in Stahlbauweise entwickelt. «Ursprünglich planten wir, den Flirt als Basis zu nehmen, doch die vielen Anforderungen zur Erreichung der Schutzziele, vor allem die geforderte Dichtigkeit gegen hohen Druck, liessen das nicht zu», so Andenmatten.
Dazu kommt das enorm breite Anforderungsprofil: Der Zug soll löschen, havarierte Züge abschleppen, Passagiere evakuieren und Instandhaltungsarbeiten unterstützen. All dies selbstverständlich auch in Tunnels, beispielsweise im neuen Koralmtunnel der ÖBB, der Ende 2025 in den Regelbetrieb gehen wird. Knapp 33 Kilometer lang, besteht er aus zwei einspurigen Röhren, lässt sich mit Tempo 250 durchfahren und verkürzt die Fahrzeit zwischen Graz und Klagenfurt erheblich. An beiden Tunneleinfahrten wird dann ein Servicejet rund um die Uhr bereitstehen.
Auch der Simmering-Basistunnel zwischen Klagenfurt und Wien bekommt dann seine Rettungszüge, was aber erst nach 2030 der Fall sein dürfte. Die beiden grossen Tunnelprojekte nahmen die ÖBB zum Anlass, ihr Sicherheitskonzept zu aktualisieren. Das Alter und die technische Ausrüstung der bestehenden Rettungsfahrzeuge verlangten auch für bessere Verfügbarkeit nach einem Gesamtkonzept für Österreich, heisst es dazu bei den ÖBB. Es braucht Ersatz für die 21 alten Rettungszüge und eine einheitliche Ausstattung bei maximaler Verfügbarkeit.
Der Austausch erfolgt sukzessive bis 2028. Der schnelle Servicejet kann dann auch im normalen Netzbetrieb ohne Rettungseinsatz mitfahren und ist im Notfall rasch am Einsatzort – daher sparen sich die ÖBB drei Fahrzeuge, die Gesamtinvestition für die 18 Einheiten summiert sich auf 230 Millionen Euro.
Dafür kann die neue Generation eine ganze Menge – und setzt sich nicht mehr aus einzelnen, gekoppelten Spezialwaggons samt Triebwagen zusammen, sondern besteht aus einer mehrgliedrigen Zuggarnitur. Die Glieder sind untereinander verbunden und deshalb durchgängig begehbar, was in eiligen Notsituationen den schnellen Wechsel vom einen zum anderen Fahrstand des symmetrischen Fahrzeuges erlaubt. Denn der Rettungszug soll auch dem Worst Case trotzen, also Tunnelbrände bekämpfen können.
Bei Feueralarm startet der am rauchfreien Tunnelmund stationierte Servicejet. Die beiden über den Zugenden aufgebauten Richtungsventilatoren bauen eine Luftströmung auf, die den Rauch vertreibt – erst so ist der Lösch- und Evakuierungseinsatz überhaupt möglich. An seinen Stirnseiten befinden sich zwei Hochdruck-Wasserwerfer und ein Niederdruckmonitor. Die Ersteren bauen mit 100 Bar einen schützenden und kühlenden Sprühnebel um den Zug auf, der Monitor übernimmt die eigentliche Brandbekämpfung. Beide Systeme bedienen sich aus den Tanks im Mittelwagen, der 40 000 Liter Wasser sowie 1200 Liter Schaum mitführt.
Insgesamt über 300 evakuierten Personen bietet der Servicejet Platz, sollte ein havarierter Zug blockiert und deshalb nicht abschleppbar sein. Doch auch fürs Abschleppen ist der Servicejet gemacht, er kann Züge mit 2000 Tonnen aus Tunneln oder anderen Gefahrenzonen ziehen – unabhängig von der gewählten Antriebsart. Deren gibt es gleich drei, um möglichst für jede Situation gerüstet und zur Not sogar energie- oder sauerstoffautark zu sein. So bezieht der Rettungszug seine Energie entweder aus dem Fahrdraht, von zwei Dieselgeneratoren oder aus zwei Batteriepaketen.
Die rund um die Uhr bereitstehenden Stammbesatzungen bestehen aus zwei Personen, einem Fahrer und einem Maschinisten, der für die Lösch- und Rettungstechnik zuständig ist. Bei Bedarf können noch 18 weitere Feuerwehrleute einsteigen: «Die ÖBB-Betriebsfeuerwehr wird im Brandfall von der jeweiligen örtlichen Feuerwehr unterstützt», sagt der ÖBB-Sprecher Daniel Pinka. Sie finden im Servicejet nicht nur Sitzplätze vor, sondern auch die Spezialausrüstung für den Tunneleinsatz, darunter schweren Atemschutz.
Das entsprechende Material befindet sich entweder schon an den Plätzen oder in vorbestückten Rollcontainern, die passend für den Einsatz über Hublifte schnell an und von Bord gebracht werden können.
Rauchschutz im Innern
Atemschutz im Zug ist nicht notwendig, denn erstens reinigen Spezialfilter die Zuluft und zweitens verhindert Überdruck in den Waggons, dass Rauchgas eindringt, auch dann, wenn die Einsatzkräfte über die breiten Türen aussteigen müssen.
Weil der Servicejet mit den aktuellen Sicherungssystemen (ETCS BL 3.6 und PZB) arbeitet, kann er auf allen ÖBB-Strecken unterwegs sein – auch bei Einsätzen, die eher unterstützenden Charakter haben. Etwa wenn ausgedörrte Böschungen genässt werden müssen oder sonstige Instandhaltungen an Strecken anstehen.
Trotz der enormen technischen Komplexität und Multifunktionalität dauerte es nur drei Jahre bis zur Auslieferung der ersten Einheit, die sogleich auf Zulassungsfahrt ging. Bei der Frage nach der Wirtschaftlichkeit wird der Stadler-Projektleiter etwas leiser, was angesichts des hohen Innovationsgrades, der Anforderungen und der kleinen Stückzahl nicht verwundert. «Wir haben aber sehr gute Rückmeldungen von anderen Bahnbetreibern, die auch nach neuen Lösungen suchen.»
Bei Stadler ist man optimistisch, das Fahrzeug auch anderen Bahnbetreibern verkaufen zu können, schliesslich ist die konkrete Ausstattung variabel: «Die ÖBB hatte Maximalforderungen für die Tunnelrettung, wir können aber auch einfachere Versionen ableiten, die für die jeweiligen Einsatzszenarien passen.»