Die Basler Herbstmesse gilt als älteste ihrer Art im Land. Sie lebt von kulinarischen Traditionen – und manche davon schmecken sündhaft gut.
Es ist Sonntag, uns zieht es zur Messe. Also suchen wir den Petersplatz auf, nicht in Rom, sondern vor der Peterskirche der Basler Altstadt. Er ist einer von acht über die Stadt verteilten Standorten der «ältesten und grössten Vergnügungsmesse der Schweiz».
Ob diese 753-jährige «Hèèrbschtmäss» wirklich die älteste im Land ist? Das ist mir einerlei, solange die feilgebotenen Spezialitäten nicht uralt sind. Die Altbasler Kiechli der alteingesessenen Bäckerei Wacker & Schwob sind laut dem Beschrieb «vo annodazumal», was uns kurz zweifeln lässt. Mit dem ersten Biss in ein grosses Wacker-Käskiechli (Fr. 5.–) sind wir jedoch bekehrt: Sie geniessen zu Recht Kultstatus, auf dem knusprigen Teig ist richtig «Waar druff». Besser kann ein Chäschüechli kaum sein!
An Ständen gibt’s fast alles zu kaufen, was man im Leben so braucht, von Küchenhelfern über Unterleibchen bis zur «Bebbi»-Bibel in Baseldytsch. Wir aber stellen uns mit über hundert weiteren hungrigen Mäulern in die Schlange bei «Suti’s». Die Stimmung ist auch hier unerhört entspannt, eine halbe Stunde später halten wir die Spezialität in der Hand, von der hier viele schwärmen: Der vor zwanzig Jahren eingeführte Chäsbängel (Fr. 11.–) ist eine ausgehöhlte Vollkorn-Baguette-Hälfte, in die eine Suppenkelle voll Fondue gegossen wird. Aus kulinarischer Sicht ist das Resultat keine Reise wert. Zu beobachten, wie Jung und Alt die dampfende Käsemasse mit Anstand vom Loch in den Mund zu befördern versucht, ist hingegen ein Heidenspass.
Anders als an vielen Jahr- und Weihnachtsmärkten, die inzwischen eher wie internationale Street-Food-Festivals wirken, sind lokale Traditionen hier Trumpf. Etwas Exotik bringt seit über vierzig Jahren «Jeffery’s Steakhouse» mit malaysischen Spezialitäten ins Spiel. Sein vielgerühmtes Steak-Sandwich (Fr. 9.–), ein gut gewürztes Schweinsplätzli zwischen zwei bleichen Toastscheiben mit hauseigener Chilisauce, haut uns zwar nicht aus den Socken. Aber bodenständiger als die teuren Wagyu-Beef-Burger anderer Märkte ist es allemal.
Wenden wir uns dem Naschwerk zu, der Krönung des Jahrmarkts. Seit 125 Jahren, und zwar nur während der Messe, gibt es beispielsweise Stern’s Magenmorsellen. Deren aus Tübingen stammende Grundidee erinnert fern an Schluckimpfung, doch wird die Medizin in Form von Kräutern nicht auf Würfelzucker geträufelt: Sie kommt in süssen, kunterbunten Plättchen und 24 Aromen, von Apfel bis Ingwer.
«Morselle» steht für «morceau», also Stück, und «Magen» für die Bekömmlichkeit, wie beim Magenbrot. Wunderbar feucht und fein ist dieses bei der Confiserie Jonasch mit ihren rot-weissen Säckchen, die seit über 125 Jahren an der Messe präsent ist. Hinreissend bekommt sie auch den Beggeschmutz (Fr. 3.50) hin, eine nicht nur politisch korrekte Spielart des Mohrenkopfs, die zur Basler Herbstmesse gehört wie die Mehlsuppe zur Fasnacht. Bei Jonasch ist er herzhaft zart wie ein Kuss des Bäckers und der Bäckerin: der Eiweissschaum seidig-geschmeidig, hauchdünn, und leicht knackig die schokoladige Hülle mit Kokosspänen. Die Konkurrenz vom Stand «Janosch Senior» etwa, dessen Name einen kleinen Familienzwist vermuten lässt, fällt da deutlich ab.
Kirmes wie Chilbi sind Kurzformen für die Kirchweihmesse, doch wie kam Basel zu seiner «Hèèrbschtmäss»? Die freie Stadt galt als besonders fromm und beherbergte ab 1431 ein Reformkonzil (eine weitaus grössere Kiste noch als die Gastgeberrolle beim Eurovision-Song-Contest-Final 2025). Daraufhin erteilte Kaiser Friedrich III. ihr auf päpstliche Empfehlung das Messeprivileg «für alle Zeiten». Dieses Recht auf einen regelmässigen Jahrmarkt wurde im Oktober 1471 erstmals genutzt, bis Tische und Ohren wackelten von all den Ausschweifungen.
Unser Kreis aber schliesst sich vor der Peterskirche: Neben Wacker & Schwob steht der Stand mit den ursprünglich süddeutschen Rosekiechli (Fr. 3.50), den schönen Verwandten des Fasnachtschüechlis: Süsser Eierteig wird an Ort und Stelle schwimmend in Rapsöl ausgebacken, das Resultat erinnert von oben an eine Rosenblüte. Meine Zweifel, ob das nach der Völlerei noch in meinen Magen passt, zerstreut die Verkäuferin mit trockenstem Humor: «Da isch ja fascht nur Luft. Aber es isch Basler Luft!»
Nie hat dem Zürcher Basler Luft besser geschmeckt, zumal die Dame anmerkt, über seinesgleichen nicht mehr schimpfen zu dürfen. Sie habe jetzt nämlich einen Zürcher als Schwiegersohn (erst noch einen «Schugger», einen Polizisten) und wisse seither: Manchmal habe man Glück und finde einen netten.
Basler Herbstmesse
Petersplatz und Häffelimärrt
Petersgraben, 4051 Basel
Bis 12. November, täglich 11 bis 20 Uhr
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
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