Der theoretische Physiker John Preskill ist ein Wanderer zwischen den Welten. Im Interview erklärt er, warum er der Teilchenphysik den Rücken gekehrt hat und was fehlertolerante Quantencomputer mit der Robustheit von Raum und Zeit zu tun haben.
Herr Preskill, Sie sind Richard-Feynman-Professor der Theoretischen Physik am California Institute of Technology. Feynman war nicht nur einer der bekanntesten Teilchenphysiker des 20. Jahrhunderts, er hat auch als einer der Ersten über Quantencomputer nachgedacht. Ist es eine Bürde, sein Nachfolger zu sein?
Es ist ein Name, dem man nicht gerecht werden kann. Aber wissen Sie, ich nehme das einfach so hin. Ich glaube nicht, dass jemand von mir erwartet, das Niveau von Richard Feynman zu erreichen. Im Übrigen kannte ich ihn. Ich kam 1983 ans Caltech. Wir hatten unsere Büros auf demselben Korridor. Wir sprachen oft über Wissenschaft, aber nie über Quantencomputer, was ich heute bedauere.
Richard Feynman dachte bereits in den frühen 1980er Jahren über Quantencomputer nach. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Was waren seine Überlegungen?
Die wesentliche Schwierigkeit, die Feynman zu lösen versuchte, geht auf die 1920er Jahre zurück, als die Quantenmechanik erfunden wurde. Eine der grundlegenden Gleichungen dieser Theorie ist die Schrödingergleichung. Sie beschreibt, wie Elektronen miteinander und mit Atomkernen wechselwirken. Damit ist sie die Grundlage für die gesamte Chemie und die Materialwissenschaften. Und doch ist die Gleichung für mehr als nur ein paar Elektronen zu schwer zu lösen, selbst mit den besten herkömmlichen Computern. In einem Vortrag im Jahr 1981 schlug Feynman vor, dass wir einen auf den Prinzipien der Quantenmechanik beruhenden Computer verwenden sollten, wenn wir das Quantenverhalten eines Systems mit vielen Elektronen verstehen wollen.
Erkannte damals jemand die Bedeutung seiner Worte?
Einige schon, aber nicht viele. Einer von ihnen war David Deutsch, der Professor in Oxford ist. Er erkannte die Bedeutung eines Quantencomputers und entwickelte die Ideen von Feynman weiter.
Wann erwachte Ihr Interesse für Quantencomputer?
Das war im Jahr 1994. Damals nahm das Thema richtig Fahrt auf. Der Mathematiker Peter Shor hatte entdeckt, dass es einige wirklich schwierige Probleme gibt, die zumindest theoretisch von Quantencomputern effizient gelöst werden könnten. Das berühmteste Beispiel ist das Problem, eine grosse zusammengesetzte Zahl in ihre Primfaktoren zu zerlegen. Man vermutet, dass diese Aufgabe zu komplex für herkömmliche Computer ist. Das ist die Grundlage von Verschlüsselungssystemen, die wir routinemässig zum Schutz unserer Privatsphäre und zur Kommunikation über das Internet verwenden. Als ich von Shors Algorithmus erfuhr, hat mich das sehr beeindruckt. Das war eine der interessantesten Ideen, die ich je in meiner wissenschaftlichen Laufbahn gehört hatte. Und ich habe versucht, sie besser zu verstehen.
Warum diese plötzliche Kehrtwende in Ihrer Karriere? Bis dahin hatten Sie sich als Teilchenphysiker und Kosmologe einen Namen gemacht.
Meine Entscheidung, zur Quanteninformatik zu wechseln, wurde teilweise durch das Ende des supraleitenden Supercolliders im Jahr 1993 motiviert. Dieser Teilchenbeschleuniger in den USA wäre sogar noch leistungsfähiger gewesen als der Large Hadron Collider am Cern. Die Einstellung des Projekts aus finanziellen Gründen war ziemlich entmutigend. Ich war in der Stimmung, andere Dinge zu lernen und mich mit anderen Problemen zu beschäftigen. Und dann kam Shors Algorithmus ins Spiel.
Feynman machte seine Anmerkungen zum Quantencomputer in den frühen 1980er Jahren. Und trotzdem haben wir bis heute noch keine leistungsfähigen Quantencomputer. Warum?
Wir haben bereits Quantencomputer. Aber sie sind nicht so leistungsfähig, wie wir es uns wünschen. Der Grund dafür ist, dass die Quantensysteme, die wir zur Speicherung und Verarbeitung von Informationen verwenden, mit der Aussenwelt interagieren. Das führt dazu, dass die Informationen beschädigt werden. Wenn wir also wollen, dass ein Quantencomputer während der Berechnung keine Fehler macht, müssen wir ihn fast vollkommen von der Aussenwelt isolieren. Und das ist wirklich schwer zu bewerkstelligen, denn unsere Hardware ist alles andere als perfekt, und sie wird es auch nie sein.
Wir befinden uns in einer Ära, für die Sie den Begriff Noisy Intermediate-Scale Quantum Computing geprägt haben. Das bedeutet, dass wir Quantencomputer mit etwa hundert fehleranfälligen Quantenbits haben. Was kann man mit diesen Computern machen?
Im Jahr 2019 hat Google gezeigt, dass ein Quantencomputer bereits heute einen herkömmlichen Computer bei der Lösung einer speziellen Art von Problem übertreffen kann. Aber «noisy» erinnert uns daran, dass diese Systeme nicht fehlerkorrigiert sind, dass das Rauschen eine Begrenzung dafür ist, wie viele Berechnungen wir durchführen und am Ende immer noch eine brauchbare Antwort herauslesen können. Für praktische, wirtschaftlich nützliche Anwendungen brauchen wir daher Quantencomputer mit Fehlerkorrektur.
Wo stehen wir da?
Wir machen Fortschritte. Die Idee der Fehlerkorrektur besteht darin, die Fehlerrate zu unterdrücken, indem die Information eines Quantenbits über viele verschränkte Quantenbits verteilt wird. Das haben Google und Quantinum kürzlich erreicht. Als Nächstes möchten wir sehen, dass man mit diesen geschützten Daten tatsächlich eine Operation durchführen und diese Operation zuverlässiger machen kann.
Bis es so weit ist, wird es noch eine Weile dauern. Trotzdem investieren Firmen und Institutionen schon heute kräftig in Quantencomputer. Werden sie nicht zwangsläufig enttäuscht sein?
Das hängt davon ab, welche Erwartungen sie haben. Ich denke, einige der Unternehmen schätzen realistisch ein, dass es sich um ein langfristiges Projekt handelt und dass es einige Jahrzehnte dauern kann, bis man praktische Vorteile aus dem Quantencomputing ziehen kann.
Sehen Sie Anzeichen für einen Quanten-Hype?
Ja, das tue ich. Aber das gilt für viele Technologien, die sich in einem frühen Stadium der Entwicklung befinden. Man sollte immer skeptisch sein, wenn man hört, dass eine neue Technologie innerhalb von fünf Jahren erhebliche Auswirkungen haben wird. Eine realistischere Erwartung sind zwanzig Jahre.
Quantencomputer können helfen, neue Materialien zu entwerfen oder bessere Medikamente zu entwickeln. Aber sie bedrohen auch die sichere Kommunikation. Glauben Sie, dass der Nutzen grösser sein wird als der Schaden?
Sie beziehen sich darauf, dass die heute verwendeten Kryptosysteme angreifbar werden, wenn Quantencomputer ausreichend leistungsfähig sind. Tatsächlich beginnt die Welt gerade, auf neue Kryptosysteme umzusteigen, von denen wir glauben, dass sie selbst für Quantencomputer zu schwer zu knacken sind. Ich denke also, dass die Bedrohung eine Art historische Fussnote sein wird. Langfristig werden die Vorteile des Quantencomputers die Risiken deutlich überwiegen.
Lassen Sie uns das Thema wechseln. Sind Sie ab 2004 zu einem Baseball-Experten geworden?
Sie spielen wahrscheinlich auf die Wette mit Stephen Hawking an. Er schenkte mir eine Baseball-Enzyklopädie, als er 2004 eine Wette gegen mich verlor. Aber ich war schon vorher ein begeisterter Baseball-Fan. Als Kind habe ich mich sehr für Baseball-Statistiken interessiert. Ich glaube, das war einer der Gründe, warum ich mich für Wissenschaft interessiert habe.
Worum ging es bei der Wette?
Wir hatten eine Kontroverse darüber, was mit der Information in einem Schwarzen Loch passiert, wenn es verdampft. Stephen vertrat die Ansicht, dass die Information verlorengeht, was der Quantenmechanik widersprechen würde. Ich argumentierte, dass die Information irgendwie erhalten bleibt und im Prinzip wiederhergestellt werden kann.
Waren Sie von den Argumenten überzeugt, mit denen Hawking seine Niederlage eingestand?
Nicht ganz. Ich denke, Hawking hat zu früh aufgegeben. Hätte er sich entschieden, nicht aufzugeben, hätte ich sein Verhalten nicht als unangemessen empfunden. Aber Stephen liebte es, sich dramatisch in Szene zu setzen. Also sorgte er dafür, dass er viel Aufmerksamkeit bekam, als er seine Niederlage einräumte.
Information scheint ein Thema zu sein, das sich wie ein roter Faden durch Ihre Karriere zieht. Gibt es auch Bezüge zum Verständnis unseres Universums?
Die gibt es. Bei unseren Versuchen, eine Quantentheorie der Gravitation zu formulieren, haben wir festgestellt, dass Raum und Zeit aus dem Quantenphänomen der Verschränkung hervorgehen könnten. Diese Entdeckung hat vielen von uns grossen Eindruck gemacht. Als wir das genauer untersuchten, erkannten wir Parallelen zur Quantenfehlerkorrektur. Die Quantenfehlerkorrektur zeigt uns, wie Quanteninformation durch die Verschränkung vieler Quantenbits robust gemacht werden kann. Wir denken, dass die gleichen Prinzipien die Robustheit von Raum und Zeit erklären können. Wie das im Detail zusammenpasst, müssen wir noch herausfinden. Ich denke, das ist eine der wichtigsten offenen Fragen in der theoretischen Physik.