Die USA werfen zwei Zürcher Anwälten vor, sie hätten reichen Russen bei der Umgehung von Sanktionen geholfen. Im Interview sagt der emeritierte Rechtsprofessor Pieth, warum sich die Schweiz in einer heiklen Situation befinde.
Die USA haben die Schweizer Anwälte Andres Baumgartner und Fabio Delcò auf die Sanktionsliste gesetzt. Eine kleine Wirtschaftskanzlei, die seit Jahrzehnten auf russische Kunden fokussiert ist. Schiesst Washington mit Kanonen auf Spatzen?
Es ist so: Die Amerikaner statuieren ein Exempel an den beiden Schweizer Anwälten. Sie nutzen sie als warnendes Beispiel, um auf Defizite im Schweizer Rechtssystem hinzuweisen. Die betroffenen Anwälte sind 2016 bereits in den Panama-Papers aufgetaucht und haben laut Berichten Sergei Roldugin, einem engen Vertrauten Putins, geholfen, Gelder in Offshore-Strukturen zu verstecken. Das macht sie jetzt zu leichten Opfern für die USA.
Die zwei Anwälte bestreiten die Vorwürfe und sagen, Roldugin sei nicht ihr Kunde gewesen, sondern eine russische Bank. Sie seien nur Briefträger gewesen. Ist das plausibel?
Das ist schwer zu sagen. Allerdings ist es zweifelhaft, dass der Fall Roldugin der Grund für die Sanktionen der USA ist. Diese Vorwürfe gegen Baumgartner und Delcò sind schon seit Jahren bekannt; also könnte es um neue Erkenntnisse gehen, die uns nicht vorliegen.
Noch vor nicht allzu langer Zeit ging alles, was in der Schweiz Rang und Namen hatte, in Moskau ein und aus: Anwälte, Banker, Bundesräte. Ist es nicht etwas gar einfach, jetzt mit dem Finger auf ein paar Anwälte zu zeigen?
Vor der Annexion der Krim 2014 sahen viele internationale Akteure Putin als Hoffnungsträger. Es war eine Phase der Annäherung und Integration. Ich selbst habe Putin bei einem Anlass am World Economic Forum in Davos erlebt. Der damalige Bundespräsident Hans-Rudolf Merz machte im Hotel Seehof seine Aufwartung, es kamen Oligarchen und Schweizer Wirtschaftsvertreter. Auch internationale Organisationen versuchten damals, Russland einzubinden. Rückblickend lag man bei Putin falsch – entweder hat man ihn falsch eingeschätzt, oder er hat sich stark verändert.
Entlastet das die Anwälte, oder müsste man sagen: Sie und alle anderen hätten Putins wahre Absichten erkennen müssen?
In der damaligen politischen Lage war die Nähe zum russischen Regime verständlich. Aber die Schweizer Anwälte haben sich letztlich zur Verfügung gestellt, Vermögen über Offshore-Gesellschaften in Steueroasen zu verstecken. Diese Dienstleistung war gewissermassen der Ersatz für das Schweizer Bankgeheimnis, das nach der Finanzkrise nicht mehr tragfähig war.
Das Bankgeheimnis fiel – und die Anwälte sprangen bereitwillig in die Lücke?
Richtig, als die Schweiz das Bankgeheimnis unter amerikanischem Druck aufgeben musste, nahm die Schaffung von Offshore-Konstrukten deutlich zu. Anwälte bauten Firmenstrukturen auf und versteckten dabei die wirtschaftlich Berechtigten. Sie bewegten sich in einer rechtlichen Grauzone: Sie berührten das Geld selbst nicht – das übernahmen Treuhänder. So fielen sie nicht unter die Geldwäschereigesetze. Viele Anwälte argumentierten, dies gehöre zur «traditionellen Anwaltstätigkeit» und sei nicht der Meldepflicht unterstellt. Lange Zeit war man sich nicht bewusst, wie gross dieses Schlupfloch geworden ist. Die Panama-Papers-Affäre zeigte uns im Jahr 2016 erstmals das Ausmass dieser Praxis auf.
Immer wieder fällt der Name der Stadt Genf als Epizentrum der Anwälte, die von der Schweiz aus Offshore-Strukturen bauen.
Genf ist ein zentraler Knotenpunkt für die Anwaltsszene und das Erstellen von Firmenstrukturen. Hier sind die meisten Geschäftsanwälte tätig, ähnlich wie in Lugano. In Lugano gibt es etwa 400 Anwälte, weit mehr, als für das kleine Städtchen eigentlich nötig wären.
Geht es nach dem Bundesrat, sollen Anwälte künftig beim Aufbau von Offshore-Strukturen dem Geldwäschereigesetz unterstehen. Kann das neue Geldwäschereigesetz diese Grauzone beseitigen?
Die aktuelle Vorlage ist eine Kompromisslösung: Anwälte sollen ihre Mandanten besser prüfen, aber ohne Meldepflicht. Sie müssen sich intensiver mit ihren Kunden auseinandersetzen und deren Identität prüfen. Der Clou an der Sache ist: Je mehr der Anwalt über seinen Kunden weiss, desto grösser ist sein Risiko, dass er sich der aktiven Gehilfenschaft zur Geldwäscherei schuldig macht, wenn das Geld illegalen Ursprungs sein sollte. So erfüllen die neuen Vorschriften ihren Zweck, ohne dass die Anwälte Vergehen ihrer Klienten den Behörden melden müssen. Das Anwaltsgeheimnis bleibt gewahrt.
Kritiker sagen: Den USA geht es nicht um Geldwäscherei, sondern darum, den Schweizer Finanzplatz durch Sanktionen und die Forderung schärferer Regeln zu schwächen – während ihr eigenes Land ein boomender Geldwäscherei-Hotspot ist.
Die Doppelmoral der Amerikaner ist real: Sie selbst tolerieren in Staaten wie Delaware oder Utah unzählige Briefkastenfirmen. Allerdings können sie in ihrem eigenen Land mehr Kontrolle über die Geldflüsse und Transaktionen ausüben. Sie haben einen besseren Zugriff auf die Identitäten der wirtschaftlich berechtigten Personen. Bei Schweizer Anwälten dagegen stossen die US-Behörden auf eine Mauer, die sie auch wegen des Ukraine-Krieges überwinden wollen. Am Ende setzt sich in der Weltpolitik oft das Recht des Stärkeren durch.
Die Anwaltsbranche verhinderte bisher härtere Regelungen. Wird das neue Gesetz den internationalen Standards gerecht?
Die EU und die internationale Gemeinschaft werden vermutlich nicht zufrieden sein, da sie strengere Anforderungen an die Transparenz stellen. Auch Terrorfinanzierung bleibt problematisch, denn ohne Meldepflicht könnten Anwälte Strukturen bauen, die Finanzierungen für Terrorgruppen wie den Hizbullah indirekt unterstützen.
Wie stehen Sie zur Position des Schweizerischen Anwaltsverbandes?
Ich bin enttäuscht, dass sich der Verband voll für die Geschäftsanwälte in die Bresche wirft. Das ist nur ein Teilsegment der Branche.
Wie gross ist das Risiko, dass die Sanktionen gegen das Anwaltsduo Baumgartner und Delcò erst der Anfang einer grösseren Kampagne der USA waren wie 2008 beim Bankkundengeheimnis?
Ein hoher Beamter des US-Finanzministeriums besuchte die Schweiz kürzlich und warnte indirekt davor, den US-Botschafter Scott Miller zu ignorieren, auch wenn dieser wenig diplomatisch agiere. Er deutete an, dass die USA die Zusammenarbeit suchten, aber ihrerseits von der Schweiz Kooperationsbereitschaft erwarteten. Die Schweiz setzt sich unnötigen Risiken aus und sollte das Anwaltsthema lösen, bevor die Amerikaner die Geduld verlieren. Wir befinden uns in einer heiklen Situation.
Das naheliegendste Risiko für den Finanzplatz ist, dass die Schweiz auf der grauen Liste der Financial Action Task Force landet. Das würde der Reputation der hiesigen Banken schaden. Welche anderen Hebel haben die USA gegen die Schweiz in der Hand?
Es gibt eine echte Gefahr, dass Washington die Rohstoffhandelsplätze in Genf und Zug angreifen könnte. Eine Ablehnung der neuen Geldwäschereiregeln für die Anwälte durch das Schweizer Parlament würde dieses Risiko erhöhen. Materiell hat der Rohstoffhandel wenig mit dieser Gesetzesrevision zu tun. Doch in der Weltpolitik werden solche Themen oft vermischt.
Experte für Wirtschaftskriminalität
Mark Pieth ist ein Schweizer Jurist und Experte für Wirtschaftskriminalität. Pieth war während 27 Jahren Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Basel. Seit 2020 betreibt er eine Kanzlei, die sich auf Gutachten in internationalen Verfahren spezialisiert. Bekannt wurde er unter anderem als Vorsitzender der OECD-Arbeitsgruppe gegen Korruption sowie als Mitbegründer der Financial Action Task Force (FATF). 2003 gründete er das Basel Institute on Governance, das er fast zwanzig Jahre leitete.
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