Die österreichischen Abfahrer zahlen 50 Euro Strafe, wenn in einem Fernsehinterview Tränen fliessen. Andere Sportler wurden für das Weinen hingegen ausgezeichnet.
Als Lara Gut-Behrami beim Skisaisonauftakt in Sölden ihren Startverzicht bekanntgab, flossen im Fernsehinterview ihre Tränen. Für manche symbolisieren diese Nahbarkeit, für andere ist es unerwünschtes Verhalten. So auch bei der Abfahrtsgruppe der Österreicher. Sie führt im teaminternen Strafenkatalog Tränen beim TV-Interview auf. Wer aus Enttäuschung oder Überwältigung ein Tränchen verdrückt, zahlt 50 Euro Busse, wie der Trainer Sepp Brunner dem «Blick» sagte. Eine Ausnahme gilt grosszügigerweise, wenn jemand gestorben ist.
Aus Schweizer Sicht ist die Strafe schwer nachzuvollziehen. Schliesslich leben und leiden wir seit über 20 Jahren mit dem Meister der Tränen, Roger Federer. Er weinte 19-jährig zum ersten Mal öffentlich beim Davis-Cup-Sieg der Schweiz über die USA, das war 2001. Zwei Jahre später dann erstmals bei einem Grand-Slam-Sieg. Federer baute sein Schluchzen analog zu seinen Bestmarken aus. Auf dem Höhepunkt lieferte er sich ein Marathon-Tränen-Duell mit Rafael Nadal, bei seinem Rücktrittsmatch am Laver-Cup.
Doch es gab vor Federer andere Sportler, denen die Vorstellung, Männer sollten nicht weinen, am austrainierten Allerwertesten vorbeiging. Die Medien und die Öffentlichkeit feierten wohl erstmals 1973 die emotionale Seite des Mannes, als der britische Fussballtrainer Bob Stokoe nach dem Einzug in den FA-Cup-Final weinte.
Also selbst in England, selbst im Fussball: Auch Paul Gascoigne schluchzte 1990 nach einer gelben Karte im WM-Halbfinal, die ihn in einem allfälligen Final gesperrt hätte. Seitdem fliessen sogar im Macho-Geschäft Fussball die Tränen weltweit ungeniert.
Michael Jordans Tränen gehen einen Schritt weiter: Sie haben einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Bei seiner Aufnahme in die Basketball Hall of Fame 2009 weinte Jordan so sehr, dass das Foto zum Meme wurde, bekannt als «Crying Jordan».
Der Durchbruch zur eigenen Disziplin gelang 2018, als ein sportliches Heulen nicht gebüsst, sondern ausgezeichnet wurde. Der Schwingerkönig Matthias Sempach erhielt vom SRF den Sonderpreis «Golden Glory» für seine Verletzlichkeit und die Tränen beim Rücktritt.
Weinen beim Rücktritt? Das erlebte auch Hermann Maier, der grösste österreichische Abfahrer der Geschichte. Ein harter Hund, dem weder Ski- noch Motorradstürze die Karriere brachen. Sein Fall zeigt, dass der gemeine österreichische Skiprofi vielleicht einfach nicht weiss, wie das mit den Gefühlen geht.
Als Maier 2009 an einer Medienkonferenz seinen Rücktritt bekanntgab, versagte ihm beim entscheidenden Satz die Stimme. Eine halbe Minute kämpfte er gegen die Tränen und um Worte, dann sagte er: «Es ist komisch, es ist einfach emotional . . .»
Ja, ist das nicht seltsam? Solch starke Gefühle zu spüren, wenn eine herausragende, wilde Skikarriere endet?
Würden alle Sportler für ihre Tränen so gebüsst wie die österreichischen Abfahrer, käme eine stattliche Summe zustande. Damit liesse sich wunderbar eine Ecke in einem Skimuseum finanzieren. Denn dorthin gehört diese Tränenstrafe im Jahr 2024.