Wer von der amerikanischen Politik genug hat, wird sich auf die zweite Staffel von «The Diplomat» freuen. Die spannungsreiche Serie von Debora Cahn ist beides: Politthriller und Seifenoper.
Die Amerikaner haben das Talent, alles Neue so zu benennen, dass wir es im alten Europa übernehmen in einer kolonialistisch-verbalen Unterwerfung, vom Powernap zur Quality-Time, vom Upgrade zum Download, vom Crashen zum Fixen. Weshalb wir auch jene Metapher heimgeholt haben, die das jähe Ende einer Fernsehserie markiert, bei dem der Zuschauer ausser sich gerät mit seinem Unwissen über das Schicksal seines Helden, der im Bildschirm am Abgrund hängt: Cliffhanger.
Nun endete die erste Staffel von «The Diplomat» (2023), der achtteiligen Netflix-Serie der amerikanischen Drehbuchautorin und Regisseurin Debora Cahn, mit einem dreifachen Cliffhanger, ist spannungstechnisch also intensiv geraten. Bevor wir erklären können, wie unsere Helden in diese Lage gerieten, müssen wir einen anderen amerikanischen Begriff aus dem Serienwesen dazwischenwerfen. Dieser heisst «spoiler alert» und warnt alle, welche die erste Staffel der Serie noch nicht gesehen haben, dies nachzuholen. Erst dann sollten sie weiterlesen.
Haben die Briten sich selbst angegriffen?
Jetzt, da wir Kennerinnen und Kenner unter uns sind, wissen wir vom Ende der ersten Staffel das Folgende: In Paris ist eine Autobombe explodiert und hat mehrere Menschen erfasst. Kurz davor und auf einer benachbarten Brücke ist der amerikanischen Botschafterin Kate Wyler (Keri Russell) und dem englischen Aussenminister ein Verdacht gekommen: Haben nicht etwa die Russen oder die Iraner den englischen Flugzeugträger im Nahen Osten bombardiert und dabei Dutzende Marinesoldaten verletzt oder umgebracht? Sondern waren es die Briten selbst? Denn mit dieser Explosion hat die Serie begonnen; sie hat dazu geführt, dass Kate und ihr Mann Hal (Rufus Sewell) nach London geflogen wurden und sie zur Botschafterin gekürt wurde.
In der zweiten Staffel deuten alle Indizien darauf hin, dass tatsächlich britische Spezialisten das eigene Schiff attackiert hatten. Aber warum? Ist der britische, beim Volk unbeliebte Premier Nicol Trowbridge am Hochverrat beteiligt, um einen patriotischen Schub aufzulösen und sich dann als Retter Britanniens aufzuspielen? Versucht er damit auch, die drohende Abspaltung Schottlands aufzuhalten? Unklar bleibt zu Beginn der zweiten Staffel auch, wer die Autobombe von Paris überlebt hat. Der dadurch schwer verletzte Gatte der Diplomatin zum Beispiel muss mehrmals operiert werden.
Die Sprache als Waffe
So viel zur Handlung von «The Diplomat 2», über die nur noch das verraten wird: Es sind tatsächlich Feinde im Inneren, welche die Bombardierung des britischen Flugzeugträgers veranlasst und die Autobombe in Paris zur Explosion gebracht haben. Wer sie waren, welche Motive sie hatten und welche Rolle die USA dabei spielten, wird in dieser zweiten Staffel in gewohntem Tempo und mit überraschenden Twists überbracht. Und selbstverständlich hört auch Staffel zwei mit einem Cliffhanger von einer Insistenz auf, bei der man schon jetzt froh ist, dass bereits eine dritte Staffel angekündigt wurde.
Dass «The Diplomat» mit seinem derben, ununterbrochen fluchenden Personal ein solcher Erfolg wurde und viele die Fortsetzung kaum erwarten konnten, liegt an weit mehr als nur an den Spannungselementen des Action-Kinos, mit denen die Serie ebenfalls operiert. Denn Deborah Cahn lernte ihr Handwerk bei einem Mann, der die Sprache selbst als Waffe einsetzte. Und das in seiner Politserie, ohne die es niemals Formate gegeben hätte wie das englische «The Thick of It», das dänische «Borgen», das amerikanische Remake von «House of Cards», ferner Serien wie «Madam Secretary», «Scandal», «Veep», «Homeland» oder eben «The Diplomat».
Debora Cahns brillanter Kollege heisst Aaron Sorkin, er nannte seine Serie «The West Wing» (1999 bis 2006) und machte darin ebenso zwingend wie erfolgreich vor, was er in einem Gespräch so erklärt hatte: «Ich wollte den Beweis erbringen, dass man von fernsehenden Amerikanern intellektuell mehr erwarten darf, als dass sie an das nächste Bier denken.»
Und obwohl Debora Cahn mit ihrer Serie mehr auf Action setzt als auf Sprache, merkt man ihren Drehbüchern an, dass sie schon bei «The West Wing» und «Homeland» mitgearbeitet hatte. Sie lässt komplexe Figuren interagieren, liebt schnelle Dialoge und komplexe Plots und treibt die Handlung ihrer Serie in derselben rhythmisch abgestuften Sprache voran, mit der Aaron Sorkin als Erster brilliert hatte. Der bewies sein Talent schliesslich auch als Regisseur von Filmen wie «Molly’s Game» oder «The Trial of the Chicago 7».
Überragend aufspielendes Ensemble
Deborah Cahns «The Diplomat» wurde gelegentlich vorgeworfen, auf die Erzählweise einer Soap zu regredieren. Auch die zweite Staffel ist nicht ganz frei von Sentimentalitäten. Aber das Talent der Schauspielerinnen und Schauspieler tröstet über die Untiefen hinweg. Zumal sich in den letzten Folgen von «The Diplomat» die Oscar-Preisträgerin Allison Janney als Vizepräsidentin dazugesellt, die schon in «The West Wing» als Pressesprecherin überzeugt hatte.
Was die erste Staffel von «The Diplomat» zusätzlich energetisierte, hält auch die zweite am Laufen: die Dauerspannung zwischen der Diplomatin Kate und ihrem Mann Hal, der früher selbst diplomatisch tätig war. Tut er alles ihrer Karriere zuliebe, oder verfolgt er eine eigene Agenda? Möchte er seine Frau zur Vizepräsidentin pushen, weil er selbst an die Macht will? Will sie ihn loswerden, weil sie ihn hasst, oder bleibt sie mit ihm zusammen, weil sie ihn liebt? Keri Russell und Rufus Sewell spielen das volatile Paar in einem Pas de deux der Macht, das voneinander lassen möchte, sich aber trotzdem aneinander klammert. Sie misstrauen sich, aber sie brauchen einander.
Hinter Kates Diplomatenpult in der amerikanischen Botschaft thront ein toter weisser Mann, der zu allem etwas zu sagen wusste und deshalb hier das letzte Wort haben soll: «Diplomacy is the art of telling the people to go to hell in such a way that they ask for direction.» Die Diplomatie weist den Leuten den Weg in die Hölle so, dass sie nach dem Weg fragen. Winston Churchill hatte das Erzählprinzip der Fernsehserie verstanden, bevor es sie gab.