Der Migros-Chef Mario Irminger hat jahrelang die Discount-Tochter Denner geführt. Kopiert er jetzt einfach sein eigenes Erfolgsrezept?
Ausgerechnet die Migros-Präsidentin trat in die Klischeefalle. «Alkohol wird unsere Kundschaft auch künftig nur im Denner finden», sagte Ursula Nold vor Journalisten. Die Migros hatte gerade ihre neue Offensive im Kampf um die verlorengegangenen Kunden vorgestellt: tiefe Preise und mehr Präsenz. Unter anderem dank 140 neuen, quartiernahen Läden, welche die Migros schweizweit eröffnen will.
Günstig und nie weit weg – das ist eigentlich die grosse Stärke von Denner, der seit 2008 zur Migros gehört. Was den Discounter also noch vom Mutterhaus unterscheide, wurden die Migros-Chefs bei der Präsentation ihrer Pläne gefragt. Natürlich: dass man dort Alkohol und Tabak kaufen kann. Damit bestätigte die Migros-Präsidentin Nold ungewollt das Denner-Vorurteil, das viele Schweizerinnen und Schweizer noch immer in ihren Köpfen haben.
Sicherlich kann man im Denner immer noch Wein in Boxen und Zigaretten in Stangen kaufen. Aber der Schweizer Discounter hat sich davon längst emanzipiert und versucht dieses Image abzuschütteln. Unter anderem mit einem grösseren Angebot an Früchten und Gemüse, helleren und aufgeräumteren Läden sowie nachhaltigen Produkten, die nicht ins Geld gehen.
Lidl, Aldi – oder Denner?
Vor allem aber ist Denner wirtschaftlich sehr erfolgreich. Während die Migros-Supermärkte Marktanteile verloren haben, hält Denner die zwei aggressiven deutschen Konkurrenten Lidl und Aldi auf Distanz. Er ist mit Abstand der grösste Discounter in der Schweiz.
Innerhalb des Migros-Konzerns gilt Denner als Ertragsperle. In Sachen Umsatzentwicklung hat Denner die viel grössere Migros schon lange hinter sich gelassen.
Das ist der Genossenschaft nicht verborgen geblieben. «Denner hat in den letzten Jahren in Bezug auf Sortiment, Preis und Standort tatsächlich besser gearbeitet als die Migros», gibt die Migros-Medienstelle auf Anfrage der «NZZ am Sonntag» ganz unumwunden zu.
Das hat Konsequenzen – für Denner: Innert kurzer Zeit hat die Migros drei Topkader vom hauseigenen Konkurrenten rekrutiert. Im Mai 2023 wurde Mario Irminger, der zuvor zwölf Jahre Denner geleitet hatte, zum Direktor befördert. Er war es denn auch gewesen, der bei Denner mehr Frischprodukte eingeführt hatte.
Irminger nahm sogleich seinen Nachhaltigkeitschef Christopher Rohrer mit, der bei der Migros mittlerweile auch den Bereich Wirtschaftspolitik führt. Zudem hat die Migros ihrem Tochterunternehmen Denner auch noch den Marketingchef ausgespannt.
Die Frage liegt also auf der Hand: Wenden Mario Irminger und seine Mitstreiter nun einfach die gleichen Rezepte in einem grösseren Kochtopf an? Wie viel Denner steckt in der neuen Migros-Strategie?
Die Migros-Medienstelle antwortet darauf: «Null Prozent!» Alle Massnahmen und Strategien seien auf die Bedürfnisse der Migros-Kunden ausgerichtet. Die Migros habe als Vollsortimenter ein anderes Geschäftsmodell als Denner, der eine beschränkte Anzahl Produkte führe.
Aber so einfach ist es nicht. Branchenbeobachter gehen nämlich davon aus, dass Denner der Migros vor allem in den letzten Jahren, als die Preise stark angezogen haben, Kunden und Umsatz abgezwackt hat. Vielerorts ist die Denner-Filiale nahe an einem Migros-Supermarkt gelegen. Und das ganz bewusst: damit die Kundschaft für den Wein und die Markenprodukte nicht zu Coop geht.
Mittlerweile gibt es jedoch viele Menschen in der Schweiz, die ihren Haupteinkauf beim Discounter erledigen und nur noch die speziellen Dinge bei Coop oder Migros einkaufen. Auch deshalb wird der Erfolg von Denner innerhalb des Migros-Konzerns von vielen mit Argwohn betrachtet – auch wenn die Migros dies öffentlich niemals zugeben würde.
Doch nun lanciert die Migros den grossen Gegenangriff. «Es gibt definitiv keinen Grund mehr, zum Discounter zu gehen», kündete der Chef der Migros Supermarkt AG, Peter Diethelm, am Montag an. Doch meinte er damit Lidl und Aldi – oder auch Denner?
Kollateralschaden
Offenbar hat die Migros die Brisanz erst im Nachhinein realisiert. Seit Montag tut die Migros alles, um diesen grossspurigen Spruch zu relativieren. Gemeint sei natürlich nicht der hauseigene Discounter. Mit dem würde man sich «perfekt ergänzen», schreibt die Migros.
Und doch fällt auf: Um wieder in die Spur zu kommen, bedient sich die Migros bei den Discount-Methoden. So verspricht sie, auf jeden Preisvorstoss der Konkurrenz zu reagieren und die entsprechenden Produkte ebenfalls zu vergünstigen.
Damit dies gelingen kann, muss die Migros ein rigoroses Kostenmanagement betreiben und die Strukturen so schlank wie möglich halten. Genau das war die Priorität des früheren Denner-Chefs und heutigen Migros-Direktors Mario Irminger.
Vor allem aber will die Migros ihr grosses Versäumnis korrigieren und punkto Filialen aufholen. Die Ladenstruktur ist immer noch auf das Einkaufsverhalten in früheren Zeiten ausgelegt: als man einmal die Woche mit einem langen Einkaufszettel den Grosseinkauf erledigt hat. Migros-Filialen sind tendenziell gross und zentral gelegen.
Doch die Gewohnheiten haben sich geändert. Heute kauft man täglich ein, worauf man gerade Lust hat. Und das tut man im Laden, der am nächsten liegt. In dieser Hinsicht haben Coop (965 Standorte), aber auch Denner (870) die Migros mit ihren 670 Verkaufsstellen längst abgehängt.
Und hier könnten sich die Migros und Denner auch physisch in die Quere kommen. Denn neue Standorte sind enorm begehrt. Alle Detailhändler scannen den Markt systematisch danach ab. Die Migros und Denner haben getrennte Immobilienteams, welche oft persönliche Kontakte spielen lassen, um an neue Flächen zu kommen.
Auch hier beschwichtigt die Migros: «Da Denner sich im Suchprofil deutlich von der Migros unterscheidet, erwarten wir weiterhin keine Konflikte um neue Standorte.»
Sollte die neue Migros-Strategie Erfolg haben, ist es trotzdem schwer vorstellbar, dass Denner ohne Kollateralschäden davonkommt. Die ganze Übung zeigt: Wenn es hart auf hart kommt, dann müssen sich die Kleinen den Grossen unterordnen. Selbst wenn sie unter dem gleichen Migros-Dach wohnen.
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