Metzlers einziger Konkurrent ist Markus Wolf. Dieser weiss mit Swiss Ski einen starken Verband im Rücken. Aber Metzler ist nach wie vor eine gewiefte Taktikerin. Was beide betreffen würde: Swiss Olympic steht unter Spardruck. Die Nervosität am Verbandssitz ist gross.
Ruth Metzler war in der Schweiz während Jahren eine Würdenträgerin und ein Shootingstar der nationalen Politik – und musste im Prinzip keine Werbung in eigener Sache machen. 1999 war sie als erst dritte Frau in den Bundesrat gewählt worden. Damals war sie gerade 35 Jahre alt; so jung war davor nur 1875 der Neuenburger Numa Droz in den Bundesrat gekommen.
Doch nach nur vier Jahren im Amt kam es bei Metzler zum Bruch in ihrer politischen Karriere. Wegen Verschiebungen in den parteilichen Stärkenverhältnissen wurde sie aus dem Bundesrat abgewählt, was zuvor in der Geschichte der Eidgenossenschaft in diesem Gremium erst zwei Mitgliedern widerfahren war. Der Volkstribun Christoph Blocher von der SVP übernahm ihren Platz. Bei ihrer Abschiedsrede sagte Metzler: «Ich gehe ohne Verbitterung und mit einer reichen Erfahrung, die mich auch in Zukunft begleiten wird. Es gibt auch ein Leben nach dem Bundesrat.»
In diesem Leben machte Metzler vieles. Sie war Wirtschaftslobbyistin, Mitglied in verschiedenen Verwaltungsräten, Wirtschaftsprüferin, Stiftungsratspräsidentin der Schweizer Garde und hatte einen Lehrauftrag an der Universität St. Gallen. Dieser Aktionismus hat ihr den Ruf einer Ämtli-Sammlerin eingetragen.
Ein dritter Kandidat, immerhin ein Olympiamedaillengewinner, sah keine Chance für sich
Nun, zwanzig Jahre nach ihrer Abwahl aus dem Bundesrat, möchte Metzler Präsidentin von Swiss Olympic werden. Sie stellt sich am 22. November vor dem Sportparlament in Ittigen bei Bern ihrem Gegenkandidaten Markus Wolf.
Der 50-jährige Bündner ist vor allem im Sport hervorragend vernetzt. Von 2002 bis 2009 war er Leiter der Sportförderung im Wintersportkanton Graubünden. Anschliessend führte er von 2009 bis 2013 als Chef das nationale Programm für Jugend + Sport und gehörte der Geschäftsleitung des Bundesamts für Sport an. Von 2014 bis 2019 war Wolf CEO von Swiss Ski.
Portiert wird er in erster Linie von Wintersportverbänden. Doch als ehemaliger Unihockey-Spieler und -Nationaltrainer kennt er auch den Sommersport und den Alltag in kleineren Verbänden. Urs Lehmann, der Präsident von Swiss Ski, sagte bei der Lancierung von Wolfs Kandidatur: «Im Austausch mit diversen anderen Fachverbänden und Stakeholdern des Schweizer Sports sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass es für die erfolgreiche Weiterentwicklung von Swiss Olympic eine Führungspersönlichkeit braucht, die unser Schweizer Sportsystem von innen und über alle Stufen hinweg hervorragend kennt.»
Wie Metzler tourte Wolf in den vergangenen Wochen und Monaten durch die Schweiz und stellte sich den Fragen der potenziellen Wählerschaft. Auf seiner Website wirbt er mit dem Slogan für sich: «Aus dem Sport, für den Sport».
Als dritter Kandidat hatte sich der Westschweizer Judoka Sergei Aschwanden positioniert, 2008 Bronzemedaillengewinner an den Olympischen Spielen in Peking. Aber Aschwanden nahm sich Mitte Oktober selber aus dem Rennen, weil er sah, dass seine Kandidatur chancenlos ist.
So kommt es am 22. November zum Showdown zwischen Metzler und Wolf. Metzler wurde ursprünglich vom Leichtathletikverband Swiss Athletics portiert. Sie war im Februar die Erste, die ihr Interesse für das Amt öffentlich geäussert hatte.
Es geht bei der Wahl der neuen Präsidentin oder des neuen Präsidenten von Swiss Olympic weniger um die Frage: Frau oder Mann? Es ist vielmehr eine richtungsweisende Wahl zwischen dem Sommer- und dem Wintersport. Die Schweiz liebäugelt mit der Übernahme verschiedener Grossanlässe. Kaum wurden die Olympia-Pläne um die Winterspiele 2038 publik, regten sich die Lobbyisten aus dem Sommersport. Markus Wolf ist der Kandidat von Swiss Ski, des Wintersports, er wurde auch schon als Statthalter von dessen Präsidenten Urs Lehmann bezeichnet.
Metzler ist es gewohnt, Widerstand zu brechen
Die NZZ hat Ruth Metzler am Rande des Volleyball-Supercups in Gümligen zu einem Gespräch getroffen. Dabei unterläuft ihr ein freudscher Versprecher; sie nennt ihren Konkurrenten «Markus Lehmann», es ist eine Kombination aus den beiden Namen Markus Wolf und Urs Lehmann. Lachend entschuldigt sie sich umgehend, mit der Begründung, dass Markus Lehmann der Name des Geschäftsführers von Swiss Athletics sei und ihr deshalb ziemlich geläufig.
Gleichzeitig symbolisiert der Versprecher den praktisch einzigen Vorbehalt, den Wolfs Kandidatur umweht und der möglicherweise Metzlers Chance ist: seine Nähe zu Urs Lehmann, dem starken Mann im Schweizer Sport, der mit seinem Verband einen grossen Schatten auf andere wirft. So sagt die gewiefte Taktikerin Metzler: «Ich will eine Präsidentin für alle sein.»
Wolf pflegt entsprechende Vorbehalte wegen Lehmann mit dem Hinweis zu kontern: «Wer mich kennt, wird nicht ernsthaft glauben, dass ich mich der Meinung eines Einzelnen unterordne. Ich bilde mir stets eine eigene Meinung – und das nicht nur auf Basis meines reichen Erfahrungsschatzes, sondern auch im permanenten Dialog mit verschiedensten Akteuren.»
Wie überzeugend diese Aussagen sind, wird über den Ausgang der Wahl mitentscheiden. Metzler ist es gewohnt, Widerstand zu brechen. Als sie in den Bundesrat gewählt worden war, kannte man sie selbst in der Schweizer Politik noch nicht allzu gut. Im dritten Wahlgang vereinten sie und ihre härteste Konkurrentin Rita Roos je 122 Stimmen auf sich. Erst im vierten Wahlgang setzte sich Metzler mit 126 zu 118 Stimmen durch. «So knapp», sagt sie in Gümligen lachend, «wird es diesmal nicht.»
Das kann zweierlei bedeuten: dass sie siegessicher ist oder dass sie sich als chancenlos sieht. Doch falls das Zweite zutreffen sollte, würde sie wohl kaum zur Wahl antreten. Die mittlerweile 60-jährige Ostschweizerin zeigt sich im Gespräch offen, nahbar und selbstsicher. Sie punktet mit jenem unverkrampften Charme, mit dem sie bereits als Bundesrätin aufgetreten war. Aber was soll sie als Quereinsteigerin dem Schweizer Sport bringen?
In den letzten Monaten wurde Ruth Metzler immer wieder gefragt, weshalb sie als ehemalige Bundesrätin nun plötzlich Lobbyistin für den Schweizer Sport werden wolle. Sie sagt: «Die Menschen, die mich wirklich kennen, wissen, dass dieses Amt wie auf mich zugeschnitten ist. Ich habe leidenschaftlich Sport betrieben, und der Sport hat mich viel gelehrt. Zu gewinnen, aber auch zu verlieren.»
Sie versteht sich nicht mehr als Politikerin
Metzler war bereits Präsidentin der Schweizer Sporthilfe. Und sie denke, dass ihr Job beim Lobbying-Unternehmen Swiss Global Enterprises Parallelen aufweise zu jenem des Swiss-Olympic-Präsidenten. Swiss Global Enterprises ist eine private Organisation an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Gemäss der Website arbeitet sie im Auftrag des Bundes und der Kantone für eine starke Schweizer Aussenwirtschaft und Wohlstand in der Schweiz. Sie spannt weltweit mit mehr als 3000 Partnern zusammen und vermittelt den Unternehmen relevante Experten und Kontakte für das internationale Geschäft.
Metzler sagt, immer wieder habe sie in jüngerer Zeit auch den Satz gehört: «Nein, nicht wieder jemand aus der Politik.» So waren die letzten Swiss-Olympic-Präsidenten der Basler Regierungsrat Jörg Schild und der ehemalige Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl. Beide haben die hohen, möglicherweise überzogenen Erwartungen, die aus dem Sport in ihre Wahl gesetzt wurden, nicht vollumfänglich erfüllt.
Metzler sagt dazu: «Ich verstehe mich schon lange nicht mehr als Politikerin. Ich bin seit zwanzig Jahren in unterschiedlichen strategischen Führungsfunktionen immer wieder eine Brückenbauerin gewesen. Abgesehen davon bin ich überzeugt, dass die enge Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern auf nationaler und kantonaler Ebene eine Hauptaufgabe des Swiss-Olympic-Präsidiums ist. Und darin sähe ich eine meiner Stärken.»
Immer wieder sei sie in den Hearings auch gefragt worden, ob sie denn den Sport gut genug kenne. Darauf pflege sie zu entgegnen, ob es denn für diese Position wirklich jemanden brauche, der aus dem Sport komme? Metzler sagt: «Die Aufgabe ist, Voraussetzungen zu schaffen, damit das Know-how der vielen Sportexpertinnen und -experten bestmöglich zum Tragen kommt, die besten Ideen Mehrheiten finden und letztlich auch finanziert werden können. Die Geschäftsstelle von Swiss Olympic soll dabei ein effizienter Dienstleister für die Fachverbände und Partnerorganisationen sein.»
Mehr als einmal hätten ihr Leute gesagt, wenn sie verspreche, den Direktor (Roger Schnegg) auszuwechseln, dann gäben sie ihr ihre Stimme. Doch so funktioniere sie nicht. Bevor sie irgendwelche Entscheide fälle, wolle sie sich selbst ein Bild von der Situation machen und eigene Analysen durchführen.
Wolf hat für sein Krisenmanagement während der Corona-Pandemie hervorragende Kritiken erhalten
Metzler sagt überdies, die Finanzen würden gerade im Hinblick auf die anstehenden Sparpakete des Bundes eine Priorität für Swiss Olympic bleiben. Sie zu sichern, sei eine Daueraufgabe. Deshalb sei es wichtig, auch im Dachverband genau hinzuschauen und den Betrieb so umzuformen, dass der Dienstleistungsauftrag weiterhin erfüllt werde. «Wenn man so viel Geld aus der öffentlichen Hand erhält, muss man aufpassen, dass man nicht selbst zum Verwaltungsbetrieb wird.»
Solche Sätze erhöhen die Nervosität am Sitz in Ittigen bei Bern. Swiss Olympic sieht sich dem latenten Vorwurf ausgesetzt, zu wenig effizient zu arbeiten. Der Medienbeauftragte Alexander Wäfler widerspricht dem Vorwurf und sagt, das Feedback der Verbände in den regelmässigen unabhängigen Befragungen sei gut, die Zufriedenheit hoch. Zudem sagt er, die Beiträge, welche über Swiss Olympic an die Mitglieder flössen, seien von 2010 bis 2024 von 18 auf 73,1 Millionen Franken gestiegen. Das ist rund eine Vervierfachung und ein beachtlicher Erfolg für den scheidenden Präsidenten Jürg Stahl.
Metzlers Agenda unterscheidet sich nicht grundlegend von jener Wolfs. In seinem Positionspapier spricht der Bündner davon, dass die Anliegen und Forderungen frühzeitig im Bundesparlament zu platzieren und durchzusetzen seien, damit die Beiträge seitens des Bundes mindestens gesichert werden könnten. «In einzelnen Positionen, namentlich in der Grossanlassunterstützung, im Jugend- und Breitensport sowie in der Infrastrukturförderung, sind Fortschritte zu erzielen. Ich mache mich stark für eine intensive Zusammenarbeit mit der Parlamentarischen Gruppe Sport und eine professionelle Lobbyarbeit zur Erreichung der Ziele.»
Den Mitgliederverbänden stellt sich deshalb am 22. November die zentrale Frage: Wer kann die angestrebten Ziele besser erreichen? Die ehemalige Bundesrätin oder der Sport-Insider, der gerade für sein Krisenmanagement als CEO der Bergbahnen rund um Laax, Flims und Falera während der Corona-Pandemie hervorragende Kritiken erhalten hat? So oder so haben die Schweizer Sportverbände die Wahl zwischen zwei hochkarätigen Kandidaturen mit sehr unterschiedlichem Profil.
Der Bund sieht 17 Millionen Franken Sparpotenzial beim Sport
Für den Schweizer Sport könnte es nicht einfach werden, im wirtschaftlich anspruchsvollen Umfeld den Besitzstand der finanziellen Unterstützung zu wahren. Denn der Bund sucht nach Möglichkeiten, sein Budget zu senken und zu sparen. Eine Expertengruppe unter der Leitung des ehemaligen Finanzdirektors Serge Gaillard hat dem Bundesrat Anfang September einen Bericht überreicht, in welchem er Massnahmen formulierte, wie die Bundesausgaben um 4 bis 5 Milliarden entlastet werden könnten. Betroffen davon ist auch der Sport, bei dem die Spezialisten ein Sparpotenzial von 17 Millionen Franken sehen.
Dass der Sport von den Sparbemühungen betroffen sein wird, weiss auch Metzler. Sie sagt: «Die Vernehmlassung beginnt im Januar. Es ist deshalb genau der richtige Moment, um Einfluss zu nehmen und aufzuzeigen, dass sich diese Investitionen lohnen für die Entwicklung des Spitzen- und des Breitensports. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass es weitergehen wird wie in den letzten zehn Jahren, in denen viele zusätzliche Mittel in den Sport geflossen sind.»
Bevor Metzler ihren Einfluss geltend machen kann, muss sie jedoch gewählt werden. Die Summe der bisherigen Bekenntnisse aus den wahlberechtigten Verbänden deutet allerdings eher darauf hin, dass Markus Wolf die Nase vorn hat. Doch wie meist bei solchen Ausmarchungen sind Treueschwüre mit Vorsicht zu geniessen. Es zählt das, was tatsächlich in die Urne gelegt wird. Noch selten war die Wahl des neuen Swiss-Olympic-Präsidenten derart spannend wie diesmal.