4,9 Milliarden Franken betragen laut dem Abstimmungsbüchlein die Kosten für die sechs Ausbauprojekte. Doch diese Zahl steht auf einer wackligen Grundlage. Rechnet der Bundesrat die Projekte schön?
Im Raum Bern und zwischen Nyon und Le Vengeron soll die A 1 um zwei Spuren erweitert werden, in Basel, Schaffhausen und St. Gallen sind neue Tunnels geplant. Mit diesen Ausbauprojekten will der Bundesrat dafür sorgen, dass der Verkehr auf den Autobahnen künftig weniger stockt und sicherer wird.
Es handle sich um relativ kleine Investitionen in den Strassenbau, erklärte Verkehrsminister Albert Rösti kürzlich in einem Interview mit der NZZ – besonders wenn man diese dem geplanten Ausbau der Eisenbahn gegenüberstelle. Nicht weniger als 28 Milliarden Franken sollen in den nächsten 20 Jahren in die Erweiterung des Schienennetzes fliessen. Für den geplanten Ausbau der Autobahn, über den das Stimmvolk am 24. November abstimmt, sind bloss 4,9 Milliarden Franken vorgesehen.
5,8 statt 4,9 Milliarden
So jedenfalls steht es im Abstimmungsbüchlein. Doch wie verlässlich sind die offiziellen Angaben? Und wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Bauvorhaben am Schluss teurer kommen werden als vom Bundesrat angegeben?
Detaillierte Informationen zu den einzelnen Projekten finden sich auf der Website des Bundesamtes für Strassen (Astra). Dort werden unter anderem auch die erwarteten Kosten der Realisierung aufgelistet. Und dabei zeigt sich, dass bei fünf von sechs Projekten die Kosten höher sind als vom Bundesrat angegeben. Addiert man sie, kommt man auf einen Betrag von 5,8 Milliarden Franken statt den offiziellen 4,9 Milliarden Franken. Das entspricht einem Plus von fast 20 Prozent.
Am weitesten liegen die budgetierten Kosten beim geplanten Rheintunnel in Basel auseinander. Anders als in den offiziellen Abstimmungsunterlagen, wo das Bauvorhaben mit 1,87 Milliarden Franken veranschlagt wird, betragen die Gesamtkosten gemäss dem Astra 2,59 Milliarden Franken. Grundlage für diese Zahl sind die Angaben im Ausführungsprojekt, das letztes Jahr öffentlich aufgelegt wurde. Für die Differenz sorgen unter anderem neue Lärmschutzwände, Abwasserreinigungsanlagen oder Unterhaltsmassnahmen bei bereits bestehenden Strassen.
Dessen ungeachtet verwendet der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein die berechneten Baukosten aus dem Jahr 2020, als die Vorlage ausgearbeitet wurde. Damals war die Planung der sechs Projekte noch weniger weit fortgeschritten; für die einzelnen Bauvorhaben lag bloss eine generelle Kostenschätzung vor – und die liegt deutlich tiefer als die auf der Astra-Seite veranschlagten Kosten.
Was auffällt: Der Bundesrat nannte in den Abstimmungsunterlagen im Internet ursprünglich die höheren Kostenschätzungen zu den einzelnen Projekten. So hiess es in einem Faktenblatt, das am 27. September veröffentlicht wurde, die Projektkosten für den Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen würden sich «gemäss aktuellem Planungsstand auf 473 Millionen Franken belaufen». Mitte Oktober dann publizierten die Bundesbehörden eine neue Version des Faktenblatts. «Die Kosten für die Kapazitätserweiterung werden auf 393 Millionen Franken geschätzt», hiess es darin plötzlich. Ebenso nach unten korrigiert wurden die budgetierten Kosten von vier weiteren Projekten, darunter der geplante Rheintunnel, der wie durch ein Wunder gut 700 Millionen Franken günstiger ist.
Für die Gegner der Autobahn-Vorlage ist das Hin und Her des Bundes mit den Zahlen ein gefundenes Fressen. «Das Astra rechnet die Kosten für die Ausbauprojekte schön», sagt Selim Egloff vom Verkehrsclub der Schweiz (VCS). Er wirft dem Bund mangelnde Transparenz vor: «Um die budgetierten Kosten bei den Projekten tief zu halten, wird bewusst eine veraltete Grundlage verwendet. Zudem werden mit den Ausbauten direkt verbundene weitere Bauprojekte ausgeklammert.» Dabei stehe längst fest, dass die Projekte teurer würden, wenn ab 2030 die Bagger auffahren würden.
Das Astra betont auf Anfrage, dass die Kostenangaben auf den Projekt-Webseiten nicht nur die Kosten für den Kapazitätsausbau zeigten, sondern auch jene für Unterhaltsverbesserungen. «Wir wollen die Zahl der Baustellen reduzieren», sagt der Sprecher Thomas Rohrbach. Entsprechend würden die Bauarbeiten für die Kapazitätserweiterungen genutzt, um auch andere Unterhalts- und Anpassungsarbeiten auf diesen Abschnitten vorzunehmen. Diese Bauarbeiten seien jedoch nicht Teil des «Ausbauschrittes 2023», über den abgestimmt werde. Die budgetierten Kosten von 4,9 Milliarden Franken seien deshalb korrekt.
Nicht einberechnet ist in der offiziellen Kostenschätzung auch die Teuerung. Seit 2020 stiegen die Preise für den Bau neuer Strassen gemäss dem Baupreisindex des Bundesamtes für Statistik um 14 Prozent. Damit dürften die Kosten für die Projekte – Stand heute – noch einmal um mindestens 700 Millionen Franken höher liegen. Schliesslich wird bei den im Abstimmungsbüchlein aufgeführten Kosten auch die Mehrwertsteuer nicht einbezogen. Bei einem Satz von 8,1 Prozent macht das einen weiteren Betrag von bis zu 400 Millionen Franken aus. Alles in allem dürften die Kosten für die sechs Projekte damit wohl eher gegen 7 Milliarden Franken betragen als bloss 4,9 Milliarden, wie bereits die Zeitschrift «K-Tipp» feststellte.
Kosten laufen häufig aus dem Ruder
In der Vergangenheit zeigte sich gerade bei Tunnelprojekten, dass Kostenüberschreitungen eher die Regel als die Ausnahme sind. So stellte die Eidgenössische Finanzkontrolle 2009 in einer Untersuchung fest, dass die Endkosten bei Autobahntunnels im Durchschnitt um 20 Prozent höher ausfielen als ursprünglich veranschlagt.
Traurige Berühmtheit erlangte in letzter Zeit der Bau des Riedbergtunnels im Oberwallis. Beim bloss 500 Meter langen Bauwerk auf der A 9 rechneten die Behörden beim Spatenstich mit Kosten von gut 50 Millionen Franken. Mittlerweile sind sie auf gegen 200 Millionen Franken angestiegen – der Tunnel ist rund zwanzig Jahre nach Baustart immer noch nicht fertiggestellt. Beim Bau der A 9 im Wallis laufen die Kosten insgesamt aus dem Ruder: Statt der budgetierten 2,1 Milliarden Franken dürften die Kosten gemäss der Finanzkontrolle nun gegen 4,4 Milliarden Franken betragen.
Wie teuer der nun geplante Ausbau der Autobahnen den Bund effektiv zu stehen kommt, wird sich derweil erst in ferner Zukunft zeigen. Bis sämtliche sechs Projekte realisiert sind, dürfte es mindestens 15 Jahre dauern.