Der Schweizer Meister verliert gegen Schachtar Donezk 1:2 und bleibt in der Champions League punktlos. Neben den vielen Blessuren wirft Fragen auf, weshalb der Interimstrainer Joël Magnin nach jedem Match das halbe Team auswechselt.
YB ist noch nicht ganz unten angekommen. Da ist immer noch mehr möglich. Also greift sich der Captain Loris Benito im Champions-League-Spiel gegen Schachtar Donezk an den Oberschenkel. Es geht nicht mehr weiter. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen spricht der Spieler hinterher von einem «Stich», wie von einem «Messer», es habe in den Adduktoren gezwickt. Er wirkt ratlos, nennt die vielen Wechsel, mit denen das Team konfrontiert sei; und den Sprung vom heimischen Kunstrasen auf den Naturrasen als mögliche Ursache der Verletzungen.
Am Ende fragt Benito: «Wann hört das auf?»
Die Berner erhalten auf dem Weg zu ihrer vierten Niederlage in der Königsklasse (1:2) eine Art Résumé, weshalb sie sich in dieser Saison mit vielen Widerwärtigkeiten und Unzulänglichkeiten auseinandersetzen.
Die YB-Abwehr wird zum Versuchslabor
Als Benito gepflegt wird, erzielen die Ukrainer gegen den in diesem Moment dezimierten Gegner den 1:1-Ausgleich. In der Folge wird der Match zum defensiven Berner Notprogramm. Nach dem Ausfall Benitos bilden zunächst Sandro Lauper und Cheikh Niasse die zentrale Abwehr, und als sich in der zweiten Halbzeit auch Lauper am Fuss verletzt und das Spielfeld verlassen muss, rückt Lewin Blum an die Seite Niasses. Blum, der eigentlich Rechtsverteidiger ist, aber mangels Alternative gegen Schachtar zu Beginn Linksverteidiger spielt.
Nach Saidy Janko, Patric Pfeiffer, Tanguy Zoukrou, Miguel Chaiwa, Mohamed Ali Camara, Jaouen Hadjam und Abdu Conté fällt für das Heimspiel vom Sonntag gegen den FC Lugano mit Benito der nächste Defensivspieler aus.
Die YB-Ausgabe 2024/25 ist Improvisation. Das steht spätestens in jenem Moment fest, als der Trainer Joël Magnin gegen Schachtar eine halbe Stunde vor Schluss den 18-jährigen Nachwuchsspieler Rhodri Smith ins Spiel schickt. Premiere, auf höchster Ebene. Zudem bietet die Partie drei YB-Captains (Benito, Lauper, Blum). Der Klub sucht Führungsspieler. Er findet sie nicht. Sie entwickeln sich nicht.
Die Verantwortlichen tun sich schwer, den Verletzungs-Reigen zu erklären. Der Hinweis auf den Kunstrasen relativiert sich mit dem Blick auf die vergangenen Jahre. Da deutete sich an Blessuren das, was jetzt ist, nicht einmal ansatzweise an. Pikanterweise stellte der Klub im April in einem Video das Tool einer «datenbasierten Belastungssteuerung» vor, das Verletzungsrisiken «minimieren» soll. Das wirkt ein halbes Jahr später aus der Zeit gefallen.
Natürlich hilft auch die angeschlagene Psyche der fragilen Physis nicht. YB hat keine Hackordnung, wenig Struktur und Kontinuität. Keine Verlässlichkeit mehr. YB wirkt bisweilen wie ein Jekami-Experiment. Das lässt sich nicht allein mit Verletzungen und zwangsläufigen Umstellungen begründen.
Magnin kultiviert den Personalwechsel
Der interimistische YB-Trainer Magnin lässt sich nicht beirren und wechselt fast jedes Mal die halbe Mannschaft aus, egal, ob das Team zuvor gewonnen hat, egal, ob wieder jemand verletzt oder genesen ist, egal, ob Champions League, Inter Mailand oder sonst ein besonderes Spiel ist. Einfach wechseln und allen das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden. YB frönt mit dem sprachgewandten Magnin der Basisdemokratie. Oder wie hat der frühere YB-Leader Guillaume Hoarau einst gesungen: «Tous ensemble.»
In Gelsenkirchen gegen Schachtar nimmt Magnin nach dem 0:0 am letzten Samstag beim FC Zürich sieben Änderungen vor. Er setzt auf den 22-jährigen Goalie Marvin Keller. David von Ballmoos sitzt auf der Ersatzbank, bleibt aber laut Magnin die Nummer 1. Der Trainer verzichtet zunächst auf Joël Monteiro, der nach seinem Platzverweis in Zürich (sonderbarer Schuh-Wurf) in der heimischen Meisterschaft für zwei Spiele gesperrt ist – nicht aber in der Champions League.
Als Monteiro gegen Schachtar nach der Pause eingreift, wird YB besser. Da stellt sich umgehend die Frage, weshalb Monteiro nicht von Beginn weg mitgetan hat. Magnin fördert mit seinem Coaching den Eindruck des zufälligen YB-Mosaiks. Ja, es werden wiederholt Teile herausgerissen, gegen Schachtar erneut. Aber Magnin entfernt und ersetzt auch Mannschaftsteile, die er nicht anfassen müsste.
YB braucht einen Trainer, den die sportliche Führung arbeiten lässt
Das führt in der Addition zum Themenbereich, wer in der YB-Kabine führend ist. Es sind alle – oder keiner. Oder immer wieder ein Anderer. Joël Magnin weiss, dass er nicht YB-Trainer bleiben wird. Als er in der letzten Saison nach der Entlassung Raphael Wickys einsprang, wurde nichts wirklich besser. Aber Magnin wurde Meister. Jetzt ist eine gewisse Stabilisierung zu orten, worauf die Heimsiege gegen den FC Luzern (2:1) und den FC Basel (3:2) hindeuten, nicht aber das Auswärtsspiel in Lugano (0:2).
Während dem Werweissen über den nächsten YB-Trainer wird in den Medien teilweise Abenteuerliches herumgeboten, werden Geschichten von Kontaktaufnahmen schlichtweg erfunden. Dass darob im Klub das Mass des Unmuts unübliche Formen annimmt und sich die Wagenburg-Mentalität verstärkt, ist nachzuvollziehen. Wer YB dieser Tage zuschaut, kommt ohne Verzug zum Fazit, dass die Mannschaft bald einen starken Coach braucht. Einen, der eine klare Idee hat und im Team Struktur und Hierarchie schafft. Einen, der einen Namen hat und der kostet. Und einen, den die sportliche Führung arbeiten lässt.
In den guten letzten Jahren hätte der Schweizer Meister in der Champions League spätestens gegen Schachtar Donezk etwas Zählbares herausgeholt. Jetzt bleibt er fast zuhinterst in der Tabelle. Vier Spiele, null Punkte, 1:11 Tore. Wäre das Torverhältnis von Slovan Bratislava und Roter Stern Belgrad nicht noch schlechter, wäre er ganz unten.