Nachtzüge sind kaum rentabel und störungsanfällig. Trotzdem wollten die Grünen eine Zürcher Lösung.
Nachtzüge für Fernreisen haben ein Imageproblem: Passagiere beklagen sich regelmässig über ausgefallene Schlafwagen, hohe Preise und Unterbrüche im Betrieb. Die Nachtzug-Vergleichsplattform Nightride hat ausgerechnet, dass es vor allem auf der Strecke von Zürich via Basel nach Amsterdam zu Störungen kommt.
In den ersten fünf Monaten gab es bei zwei Dritteln aller Fahrten Störungen. Oft kommt es zu sogenannten Downgrades: In den Zügen sind keine Schlafabteile verfügbar, die Passagiere müssen sich mit Sitzen begnügen. Manchmal fallen Verbindungen auch ganz aus. Die Störungen sind so häufig, dass die SBB auf ihrer Website einen Link mit Fragen und Antworten für betroffene Passagiere eingerichtet haben.
Das Problem ist: Der Betrieb von Nachtzügen gilt als wenig rentabel, das Rollmaterial ist oftmals veraltet. Erst kürzlich hat der zuständige Bundesrat Albert Rösti die Subventionen für Nachtzüge aus Spargründen einfrieren lassen. Dieser Schritt dürfte kaum dazu beitragen, dass sich die Situation bessert.
Nachtzüge bringen den Betreibern also mehr Ärger als Geld, und trotzdem diskutierte das Zürcher Stadtparlament am Mittwoch über eine kühne ÖV-Idee der Grünen. Die Partei verlangte in einem Vorstoss, die Stadt solle drei Nachtzugkompositionen kaufen und einem Betreiber zur Verfügung stellen – zu «sehr günstigen Konditionen». Und selbstverständlich sollten auch die Tickets dieser Zürcher Nachtzüge günstig zu erwerben sein.
Das Ziel: Passagiere dazu zu bewegen, in den Zug statt ins Flugzeug zu steigen. Die Grünen haben auch schon ausgerechnet, wie viel die Anschaffung kosten würde: 60 Millionen Franken.
Im «Schrottwagen» nach Amsterdam
Wie marode das Nachtzugsystem ist, musste die Verkehrskommission des Stadtparlaments kürzlich am eigenen Leib erfahren: Auf einer gemeinsamen Reise nach Amsterdam habe man sich davon überzeugen können, dass nur noch uralte «Schrottwagen» zur Verfügung stünden, sagt Markus Knauss, der den Vorstoss zusammen mit seinem grünen Parteikollegen Roland Hohmann eingereicht hatte. Zudem habe auf der Reise ohne Ankündigung einfach ein Wagen ersetzt werden müssen.
Diese Fahrt schreckte ihn offensichtlich nicht ab. Das Nachtzug-System sei kaputtgemacht worden, sagte Knauss dazu, und es brauche eine Weile, um sich zu erholen. Es habe aber Potenzial.
Beim Stadtrat hielt sich die Begeisterung über die Motion der Grünen allerdings in Grenzen. Er sei zwar ferrophil, sagte der oberste Trämler Michael Baumer (FDP). «Aber es ist nicht Aufgabe der Stadt, einen Rollmaterialverleih zu betreiben.»
Baumer zweifelte ausserdem am Effekt von drei eigenen Nachtzügen: «Eine Komposition hat 240 Plätze, das entspricht etwa einem Mittelstreckenflugzeug. Wenn man das Gefühl hat, damit den Flughafen überflüssig zu machen, muss man über Mengenverhältnisse nachdenken.» Es bringe mehr, den öV in Zürich so attraktiv zu gestalten, dass die Leute freiwillig aufs Auto verzichteten.
SVP: «Typischer Grössenwahn grüner Politiker»
Auch bei den anderen Parteien fanden die Grünen kein Gehör. Nicht einmal die linken Verbündeten von AL und SP wollten mitmachen. Mit dem im Frühling verabschiedeten CO2-Gesetz seien die Rahmenbedingungen dafür geschaffen worden, dass jede Staatsebene den öV stufengerecht fördern könne, sagte Christian Häberli (AL). «Auch wenn die Bundesbeiträge für Nachtzüge durch die Rösti-Raffel gefährdet sind.»
Die SP hatte zwar Sympathien für den Vorstoss, war aber höchstens bereit, diesen als weniger verbindliches Postulat zu unterstützen – was die Grünen ablehnten.
Für die SVP war der Vorstoss ein «typischer Grössenwahn grüner Politiker», wie Johann Widmer erklärte.
Andreas Egli (FDP) kam ebenfalls auf die Amsterdam-Reise der Verkehrskommission zu sprechen. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien allein in einem Einzelabteil untergebracht gewesen, das Platz für vier bis sechs Personen geboten hätte. Eine so tiefe Auslastung sei nicht umweltfreundlich. «Mit dem Flieger wären wir CO2-freundlicher, schneller und billiger unterwegs gewesen.»
Das Parlament lehnte den Vorstoss schliesslich mit grossem Mehr ab – und die Stadt muss sich auch in Zukunft nicht mit marodem Nachtzug-Material herumschlagen.