Deutschland befindet sich in einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturkrise. An den finanz- und wirtschaftspolitischen Differenzen über den richtigen Umgang damit ist die Regierung zerbrochen.
Schon kurz nach der Amtsübernahme der deutschen Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP im Dezember 2021 hat sich abgezeichnet, dass die Finanzpolitik zu ihrer Sollbruchstelle werden könnte. So ist es nun gekommen: Am Mittwochabend ist die Koalition vorzeitig zerbrochen.
Letzter Auslöser war die Forderung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz, abermals eine Haushaltsnotlage auszurufen und damit die Schuldenbremse auszusetzen. Dies hätte es ermöglicht, zusätzliche Kredite aufzunehmen.
Grundsätzliche Differenzen zwischen den Koalitionspartnern
Scholz argumentierte, nach dem Wahlsieg von Donald Trump müsse Deutschland die Ukraine stärker unterstützen als bisher.
Er wollte dafür aber nicht an anderer Stelle im Haushalt sparen. «Ich bin nicht bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine und unsere Investitionen in die Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren», sagte er vor den Kameras. Scholz ging sogar weiter: Er schlug auch noch den Einsatz weiterer staatlicher Mittel vor, unter anderem für eine Senkung der Energiepreise und Hilfen für die Automobilindustrie.
Der liberale Finanzminister Christian Lindner hingegen blieb dabei, dass die Schuldenbremse nicht erneut ausgesetzt werden dürfe. In einem am vergangenen Freitag vorgelegten Papier hatte er stattdessen unter anderem Kürzungen beim Bürgergeld (Sozialhilfe) und bei den Subventionen gefordert. Der Kanzler reagierte auf den anhaltenden Konflikt mit Lindners Entlassung.
Hinter dem Streit über das Geld stehen grundsätzliche Differenzen: Während Sozialdemokraten und Grüne für eine interventionistische Wirtschaftspolitik stehen, pochen die Liberalen auf eine Verbesserung der angebotsseitigen Rahmenbedingungen.
Von der Krisenpolitik zum Dauerstreit
Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und die folgende Energiekrise hatten die «Ampel» zunächst zu einer Krisenpolitik gezwungen, die diese Gegensätze überdeckte. Die Koalition meisterte die Phase recht ordentlich.
Doch schon im Frühjahr 2023 offenbarten sich die Gegensätze mit dem Streit über das verunglückte Heizungsgesetz.
Im November 2023 stoppte das Bundesverfassungsgericht einen Buchhaltungstrick, mit dem die Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit die Sozialpolitik der SPD, die Klima- und Industriesubventionen der Grünen und das Pochen der Liberalen auf die Schuldenbremse unter einen Hut bringen konnte – wenn auch auf Kosten höherer Schulden.
Seither befanden sich die Koalitionäre im Dauerstreit. Es gelang ihnen immer weniger, Gemeinsamkeiten – die es etwa im Bereich Bürokratieabbau oder Wachstumsförderung durchaus gegeben hätte – produktiv zu nutzen. Stattdessen weckten sie vor dem Hintergrund miserabler Umfragewerte mit ihren Gipfeln, Gegengipfeln und konkurrierenden Papieren immer mehr den Eindruck, sich in einen vorzeitigen Wahlkampf verabschiedet zu haben.
Die dadurch ausgelöste Unsicherheit ist wenig hilfreich in einer Phase der ausgeprägten wirtschaftlichen Schwäche. Das Bruttoinlandprodukt wächst seit dem Ende der Pandemie nicht mehr, die Industrieproduktion sinkt seit etwa 2018 kontinuierlich. Das alte Geschäftsmodell der Volkswirtschaft, das auf billiger Energie aus Russland und leicht zugänglichen grossen Exportmärkten beruht hatte, funktioniert unter den neuen geopolitischen Realitäten nicht mehr. China tritt auf den Weltmärkten zunehmend als Konkurrent bei traditionellen deutschen Produkten wie Autos, Chemikalien und Maschinen auf.
Scholz nun unter Druck
Vor diesem Hintergrund haben am Donnerstag nicht nur die FDP, sondern auch Oppositions- und Verbandsvertreter Scholz dazu aufgerufen, mit der Vertrauensfrage, die den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen öffnen soll, nicht wie angekündigt bis am 15. Januar zuzuwarten. Die weltpolitische Lage und der jeden Tag an Wettbewerbsfähigkeit verlierende Standort brauchten so schnell wie möglich eine handlungsfähige Politik, argumentierte zum Beispiel der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.
Doch Scholz, der nun einer rot-grünen Minderheitsregierung vorsteht, will bis Weihnachten noch mehrere Gesetzesvorhaben zu den Themen Haushalt, Rente und Asyl im Parlament zur Abstimmung bringen. Beschlüsse sind aber nur möglich, wenn Abgeordnete der Opposition zumindest teilweise mit SPD und Grünen stimmen.
Ob das geschieht, ist fraglich. Auf der Strecke bleiben könnten damit sowohl Elemente der Wachstumsinitiative, auf die Wirtschaftsvertreter ungeduldig warten, als auch das Rentenpaket II. Das Scheitern des Letzteren wäre indessen kein Schaden, da es einseitig die jungen Generationen belastet.
Ob der Haushalt 2025 rechtzeitig verabschiedet werden kann, ist ebenfalls ungewiss. Gelingt es nicht, kommt die sogenannte vorläufige Haushaltsführung zur Anwendung. Die Regierung könnte dann nur Ausgaben tätigen, die aus rechtlichen, vertraglichen oder anderen Gründen unabweisbar sind und nicht aufgeschoben werden können. Das wäre zwar weit weniger dramatisch als ein Shutdown in den USA und kommt nach Wahljahren immer wieder vor. Doch die wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die nächste Regierung würden dadurch nur noch grösser – wer immer diese bilden wird.
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