Die Schweizer Pharmaindustrie hat viel zu verlieren, falls die Regierung Trump die Einfuhr von Medikamenten zu begrenzen versucht. Ungemach droht dem Sektor aber auch wegen sinkender US-Arzneimittelpreise.
Die Nervosität in den Chefetagen der Schweizer Pharmaindustrie ist gross. Dort versucht man gerade, Antworten auf die Frage zu finden, was die neuerliche Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten für das Geschäft bedeuten könnte.
Es steht viel auf dem Spiel.
Nur wenige Importe aus den USA
Die USA sind für die Schweizer Pharmaindustrie nach der EU der wichtigste Abnehmermarkt. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche Waren im Gesamtwert von 28 Milliarden Franken in die Vereinigten Staaten, Vitamine sowie Produkte für die medizinische Diagnostik inklusive. In umgekehrter Richtung, von den USA in die Schweiz, erreichte das Volumen lediglich knapp 5 Milliarden Franken.
Die Schweiz weist damit im Pharmageschäft mit Amerika einen riesigen Exportüberschuss auf. Zwar stagnierte dieser in den vergangenen drei Jahren bei rund 24 Milliarden Franken, doch verglichen mit dem Niveau vor einer Dekade hat er sich beinahe verdreifacht.
Wie Vertreter der Schweizer Pharmabranche freimütig einräumen, ist dies nicht nur der Tatsache zu verdanken, dass die Grosskonzerne Roche, Novartis und Lonza zusammen mit einer Reihe ausländischer Unternehmen hierzulande besonders viele hochpreisige Medikamente aus dem Bereich der Biotechnologie produzieren.
Die Branche profitiert auch davon, dass in den USA die weltweit höchsten Preise für innovative Arzneimittel bezahlt werden.
Erste Rabatte in den USA ab kommendem Jahr
Doch es gebe einen Wermutstropfen, sagte Matthias Leuenberger, Präsident des Branchenverbands Scienceindustries Switzerland, an einer Medienkonferenz am Freitag. Republikaner und Demokraten seien sich einig, dass die Medikamentenpreise in den USA zu hoch seien.
Unter der Biden-Regierung wurde im Rahmen der Inkraftsetzung der Inflation Reduction Act (IRA) bereits ein Anlauf unternommen, die Kosten für nicht mehr ganz neue, aber besonders gefragte Arzneimittel zu begrenzen. So handelte der staatliche Krankenversicherer Medicare, dessen Leistungen sämtlichen Bewohnern der USA ab dem Alter von 65 zugänglich sind, Rabatte für zehn Medikamente aus.
Diese Rabatte werden ab 2025 gelten. In den kommenden Jahren werden jeweils zehn weitere Präparate Gegenstand von Preisverhandlungen zwischen den Herstellern und der Regierung werden.
Dass der Staat bei der Festlegung von Medikamentenpreisen mitredet, ist in den USA – anders als fast überall sonst auf der Welt – ein Novum. Bis anhin konnte die Pharmabranche einfach diktieren, wie viel sie für ihre Produkte in Amerika verlangen wollte. Sie schaffte es zudem vielfach, Jahr für Jahr Preiserhöhungen durchzusetzen, die oft über dem Niveau der Inflation lagen.
Amerikaner zahlen mit Abstand am meisten
Die traditionell grosse Freiheit bei der Preisfestsetzung erklärt auch, weshalb die USA laut der Marktforschungsfirma IQVIA mittlerweile 27 Prozent der weltweiten Medikamentenausgaben von 1600 Milliarden Dollar schultern. Dies steht in keinem Verhältnis zum Anteil der Amerikaner an der Weltbevölkerung, der bei rund 4 Prozent liegt.
In den USA melden sich denn auch auf beiden Seiten des politischen Spektrums zunehmend Kritiker zu Wort. Es könne doch nicht sein, dass amerikanische Patienten Medikamente subventionierten, von deren Entwicklung die gesamte Welt profitiere, so ihre Argumentation.
Bei Roche, dem grössten Schweizer Pharmakonzern, erreichte in den ersten neun Monaten dieses Jahres der amerikanische Anteil an den Einnahmen aus der Vermarktung von Medikamenten 53 Prozent. Novartis ist mit 40 Prozent ebenfalls stark von Geschäften mit Amerika abhängig.
Druck auf Schweizer Steuereinnahmen?
Auch wenn die IRA unter der Biden-Regierung in Kraft gesetzt wurde, erwarten die meisten Marktbeobachter, dass sie auch unter der neuen Administration Bestand haben wird. Die Pharmabranche wird sich damit auf weitere Preiskonzessionen und tendenziell sinkende Margen im amerikanischen Geschäft einstellen müssen.
Letzteres drohe die Profitabilität der Medikamentenhersteller zu beeinträchtigen, meint ein Branchenkenner warnend. Das würde sich letztlich auch auf Steuereinnahmen verschiedener Schweizer Kantone negativ auswirken.
Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass längst nicht nur Schweizer Unternehmen den hiesigen Pharmasektor gross gemacht haben. Während in Basel Roche, Novartis und Lonza den Hauptsitz haben, verdanken Zug, Schaffhausen, Luzern und Neuenburg substanzielle Fiskalerträge den Aktivitäten verschiedener amerikanischer Branchenschwergewichte.
So betreibt Johnson & Johnson ein grosses Pharmawerk in Schaffhausen, während Bristol-Myers Squibb im neuenburgischen Boudry produziert. In Zug und Luzern befinden sich grosse Verwaltungseinheiten amerikanischer Medikamentenhersteller.
Kurz: Der amerikanische Markt wird nicht nur von Schweizer, sondern auch von amerikanischen Konzernen aus der Schweiz heraus versorgt.
Schweizer Pharmafirmen fertigen auch viel in den USA
Umgekehrt sind Roche, Novartis und Lonza auch bedeutende Arbeitgeber sowie Steuerzahler in den USA. Alle drei Konzerne betreiben dort mehrere Produktionswerke, im Fall von Novartis und Roche kommen umfangreiche Aktivitäten in Forschung und Entwicklung hinzu. Jeder vierte Angestellte von Roche hat den Arbeitsplatz in den USA, bei Novartis ist es jeder sechste.
Offen ist, ob und wie stark die neue Administration in Washington honorieren wird, dass Schweizer Firmen auch in den USA Pharmaerzeugnisse herstellen. Werde dies als Argument ausreichen, um Trump von protektionistischen Massnahmen gegen Schweizer Anbieter abzuhalten?, fragen sich viele Branchenvertreter bange.
Auf Anfrage wollten sich weder Roche und Novartis noch der Generikahersteller Sandoz dazu äussern, welche Veränderungen der Regierungswechsel für ihre Geschäfte in den USA mit sich bringen könnte. Dazu sei es zu früh, geben die Unternehmen unisono zur Auskunft. Auch Leuenberger von Scienceindustries sagt: «Wir wissen es nicht.»
«Wir sind exponiert»
Dennoch sorgt man sich in der Branche, dass der hohe Exportüberschuss der Schweiz im Handel mit den USA die Regierung Trump auf den Plan rufen und zu Vergeltungsmassnahmen bewegen könnte. «Wir sind exponiert», sagt René Buholzer, der Geschäftsführer von Interpharma, einer weiteren Lobbyorganisation der Pharmaindustrie.
Buholzer hofft, dass die USA trotz allem weiterhin anerkennen werden, wie eng die Schweizer und die amerikanische Wirtschaft insbesondere in der Pharmaindustrie verflochten sind. Er verweist auf die gegenseitige Anerkennung der Herstellungspraxis für Arzneimittel, die seit vergangenem Jahr gilt. Dies sei ein hervorragendes Beispiel dafür, wie beide Seiten von einer engen Zusammenarbeit profitierten.
Manche Branchenbeobachter vertrauen auch ganz einfach darauf, dass Trump ausgiebig schimpft und droht, viele seiner Drohungen aber nicht in die Tat umsetzt.
Er sei ja schon einmal an der Macht gewesen, sagte Michael Grass vom Marktforschungsunternehmen BAK Economics an der Scienceindustries-Medienkonferenz. «Damals war kein Schaden für die chemisch-pharmazeutische Industrie zu erkennen.»