Dosierung, Produktwahl und Dopingrisiko: worauf man bei der Suche nach dem richtigen Proteinpulver achten muss.
Chips, Kaffee, Müesliriegel: Kaum ein Lebensmittel, das heute nicht in einer High-Protein-Variante in den Regalen steht. Ernährungsfachleute stehen dem Hype skeptisch gegenüber. Doch es gibt auch in der Wohlstandsgesellschaft Gruppen, die tatsächlich mit Proteinen unterversorgt sind. Dies betrifft insbesondere ältere Menschen und viele Veganerinnen und Veganer.
Dazu muss man wissen: Die optimale Menge, die gesunde Erwachsene an Proteinen zu sich nehmen sollten, wird heute nicht mehr mit 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben (das ist die Minimalmenge), sondern je nach Quelle mit 1,2 bis 1,4 Gramm. Und bei sportlichen Menschen mit 1,5 bis 2,2 Gramm.
Das heisst also: Eine 60 Kilogramm schwere Sportlerin muss über den Tag verteilt mindestens 90 Gramm, ein 80 Kilogramm schwerer Sportler mindestens 120 Gramm an Proteinen zu sich nehmen.
Die meisten sollten zum Pulver greifen
Bei einer ausgewogenen Ernährung ist das gut zu schaffen, auch für Vegetarierinnen und Vegetarier, die regelmässig Eier und Milchprodukte essen. Bei einer veganen Lebensweise hingegen wird es schwierig. Zwar haben zum Beispiel Hülsenfrüchte und Sojabohnen einen hohen Proteingehalt, aber im Gegensatz zu Fleisch eben auch viele Kohlenhydrate und damit eine hohe Energiedichte. Junge Ausdauersportler, die viel Energie verbrauchen und entsprechend viel essen, mögen so auf eine ausreichende Proteinzufuhr kommen. Das Gros sportlicher Veganer aber kommt nicht um Nahrungsergänzungen herum.
Diese Einschätzung vertritt unter anderem Joëlle Flück, Sport- und Ernährungswissenschafterin und Präsidentin der Swiss Sports Nutrition Society. «Es gibt Anwendungen, wo in der Literatur sogar 2,4 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht als ideale Menge beschrieben werden. Das ist der Fall, wenn jemand Gewicht verlieren, aber die Muskelmasse halten will.» Dann geht es gleichzeitig darum, ein Kaloriendefizit zu provozieren, was mit natürlichen veganen Lebensmitteln wegen ihrer hohen Nährstoffdichte schwer zu erreichen ist.
Für den Ernährungsberater Aljoscha Ivanov ist der Bedarf an Nahrungsergänzungsmitteln für vegane Sportler weniger zwingend. Er ist überzeugt davon, dass eine ausreichende Proteinzufuhr für viele, vor allem jüngere Sportler, möglich ist mit proteinreichen Hauptmahlzeiten mit Tofu, Tempeh oder Hülsenfrüchten und ab und zu einer Portion Nüssen als Zwischenmahlzeit.
Im Alltag sei eine solche Ernährung aber oft schwierig umzusetzen. Etwa, wenn man nach einem Training 25 bis 30 Gramm Proteine zu sich nehmen wolle, um den Muskelaufbau zu unterstützen. Hier haben Nahrungsergänzungsmittel Vorteile in der Handhabung. Auch konsumiert sich ein kompakter Proteinriegel oder ein kleiner Shake gleich nach dem Training leichter als ein üppiger Linsensalat.
Viele Produkte haben einen Haken
Die schwierige Frage ist, welche Produkte sich eignen. Wer im Internet nach veganen Proteinpulvern sucht, wird schnell fündig und verliert sich ebenso schnell in der Fülle des Angebots. Grundsätzlich lassen sich zwei Typen von Pulvern unterscheiden: Isolate wie Erbsen-, Reis- oder Sojaproteine und sogenannte Blends, also Mischungen.
Vorteil der gemischten Pulver ist das optimierte Aminosäurenprofil. Je besser dieses auf den menschlichen Bedarf abgestimmt ist, desto besser ist, zumindest theoretisch, die Verwertbarkeit der Proteine. Lange wurde diese mit dem Begriff der biologischen Wertigkeit angegeben. Dem Hühnerei wurde in diesem System mit 100 die höchste Proteinqualität eines einzelnen Lebensmittels zugeschrieben. Durch eine Kombination mit Proteinen anderer Lebensmittel konnte der Wert aber auf über 100 gesteigert werden.
Das System war benutzerfreundlich und verbreitet, liess aber ausser acht, dass der Körper Proteine nur nutzen kann, wenn sie zuverlässig verdaut werden. Dem trug erst der Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score (PDCAAS) Rechnung, der unterdessen durch den Digestible Indispensable Amino Acid Score (DIAAS) abgelöst ist. In der Regel sind diese Werte auf den Produkten aber nicht ausgewiesen, und auch ihr praktischer Nutzen steht infrage.
«Im Sport haben wir zusätzliche Metriken», sagt Flück. «Wir messen, wie schnell bestimmte Aminosäuren im Blut ansteigen.» In Experimenten wird sogar das Gewicht einzelner Atome in den Proteinen manipuliert, um diese «gelabelten Proteine» im Körper zu verfolgen. «Man kann so schauen, wie viel von einem Proteinpulver wirklich im Muskel eingebaut wurde», so Flück.
Für den Breitensport sind diese Ansätze freilich nicht etabliert. Flück rät darum, Blends zu bevorzugen. Insbesondere Kombinationen mit Sojaproteinen, da diese einen hohen Anteil an Leucin aufweisen, einer Aminosäure, die sich positiv auf die Proteinsynthese auswirkt. Auch Ivanov empfiehlt, auf Leucin zu achten. Beide nennen einen Zielwert von 2 bis 3 Gramm Leucin pro konsumierte Portion.
Bei der Auswahl des Pulvers sollte man sich zudem dessen versichern, dass der Shake eine geringe Menge Fett und nur wenig Kohlenhydrate enthält. Vor allem Letzteres ist bei veganen Proteinpulvern nicht durchgängig der Fall. Ein Thema für sich sind die Zusatzstoffe. Die meisten Blends werden nicht neutral angeboten, sondern in Varianten von Schokolade über Waldbeere bis zu Cheesecake verkauft – künstliche Geschmackserlebnisse zum Preis langer Zutatenlisten.
Ivanov und Flück raten beide von Aromen und künstlichen Süssstoffen ab. Letztere könnten dem Mikrobiom, also der Darmflora, schaden und zu Insulinresistenzen führen. Demgegenüber sind die Isolate oft auch geschmacksneutral erhältlich, haben aber kein optimiertes Aminosäurenprofil, die Zusammensetzung ist also nicht eigens auf die menschliche Proteinsynthese abgestimmt.
Auch von Zusätzen, wie etwa von Vitamin B12, das Veganerinnen und Veganer als Supplement einnehmen müssen (weil es in einer rein pflanzlichen Diät nicht vorkommt), rät Flück ab. Denn durch diese Zusätze, wie sie auch Fleischersatzprodukten beigemischt werden, gehe der Überblick über die konsumierte Menge verloren. Besser sei es, ein separates Supplement in der richtigen Dosierung zu nehmen. Wer sich vegan ernähre, solle ausserdem gelegentlich seine Blutwerte bestimmen lassen, um etwa einen Mangel an Eisen oder Vitamin B12 zu erkennen.
Kaufen, was geprüft ist
Auch wo man sein Pulver kauft, sollte ein Thema sein. Immer wieder würden in Proteinpulvern Verunreinigungen entdeckt, sagt Ivanov warnend. «Ich würde deshalb Produkte von grossen Schweizer Herstellern bevorzugen.» Flück weist in diesem Zusammenhang, und zur Vermeidung von Dopingrisiken, auf die sogenannte Kölner Liste mit geprüften Produkten hin.
Wichtig ist letztlich die Dosierung. Man sollte bei veganen Proteinen die empfohlene Dosis ungefähr verdoppeln. Flück nennt dafür zwei Gründe: Erstens die etwas schlechtere Proteinverdaulichkeit und -adsorption. Zweitens einen Rechenfehler, der daraus resultiere, dass man nicht tatsächlich den Proteingehalt messe, sondern dieser auf Basis des Stickstoffgehalts berechnet werde. So haben beispielsweise Hülsenfrüchte einen Stickstoffanteil, der kein Bestandteil von Proteinen ist. Ihr Proteingehalt wird entsprechend überschätzt.
Die wichtigen Kriterien sind also: geschmacksneutrale Mischung, keine Zusatzstoffe und beigesetzten Vitamine, seriöser oder geprüfter Hersteller. Berücksichtigt man sie, kann es eine Weile dauern, bis man ein Produkt gefunden hat, das einem auch geschmacklich und sensorisch zusagt. Am besten mischt man das Pulver für den Shake mit frischen Beeren oder einer Banane. So lässt sich der bisweilen etwas wattige, pappartige Geschmack gut vertreiben.