Im Dezember wird die von einem Grossbrand beschädigte Pariser Kathedrale nach fast fünf Jahren Wiederaufbau eröffnet. Die neue Garderobe der Geistlichen hält einige Überraschungen bereit.
Als im April 2019 das Feuer durch die Notre-Dame riss, blieb das goldene Altarkreuz vom Künstler Marc Couturier stehen. Bilder zeigten es leuchtend und leicht angesengt inmitten der Trümmer dieser grossen Pariser Kathedrale aus dem Mittelalter. Es erhielt damit einen noch symbolischeren Charakter als zuvor. Nun strahlt dieses Kreuz auch von einem Messgewand, das an der Wiedereröffnung der Notre-Dame de Paris Anfang Dezember 2024 getragen werden wird.
Dorthin platziert hat es der französische Modedesigner Jean-Charles de Castelbajac. Der 74-Jährige wurde vom Erzbischof von Paris auserwählt, um die 700 Geistlichen für die Zeremonien um die Wiedereröffnung einzukleiden. Entstanden sind über 2000 liturgische Gewänder, Bischofsmützen und Stolen. Das passt insofern, als dass der gläubige de Castelbajac bereits seit den neunziger Jahren immer wieder für die Kirche entwirft und 1997 als erster Modedesigner offiziell mit dem Vatikan kooperierte.
Ein Tausendsassa ohne Berührungsängste
Es passt aber auch, weil der Designer immer dort auftaucht, wo man ihn am wenigsten erwartet. Castelbajac ist ein Tausendsassa ohne Berührungsängste mit Popkultur, Kunst oder Kommerz: Er arbeitete schon mit Steiff zusammen (für einen Teddybärenmantel), mit der Tech-Firma OnePlus (für ein Smartphone) und mit der Schweizer Uhrenmanufaktur MB&F (für eine Uhr mit der Aufschrift «time to love»). Er hat für Elton John und Lady Gaga und mit Keith Haring gestaltet und war eng mit Malcolm McLaren befreundet. 1976 arbeitete de Castelbajac gar an den Interieurs von Flugzeugen der Fluggesellschaft AirFrance.
Letzteren Auftrag verlor er, weil er nach eigenen Angaben auch die eigentlich gedeckte, zurückhaltende First Class mit viel Farbe ausstatten wollte, statt nur die Economy. Das ist emblematisch für die Arbeiten des Designers, die oft in Primärfarben getaucht sind und gern grosse Statements machen.
Beflockt und vergoldet
In seinen Entwürfen für die Notre-Dame de Paris ist das nicht anders. Vom erwähnten Kreuz gehen bunte Strahlen in alle Richtungen weg, inspiriert von Keith Harings Werk «Radiant Baby». Es seien «Strahlen der Freude und Hoffnung», sagte der Designer gegenüber der Branchenzeitschrift «Women’s Wear Daily», und sie sollen, so seine Absicht, jüngeren Generationen gegen das Gefühl der Angst helfen. Die Strahlen wurden mittels Beflockung auf das weisse Gewand aus schottischem Wollgewebe angebracht. Das ist eine Technik, die man sonst eher von T-Shirts oder Varsity-Jacken kennt.
Neben dieser Experimentierfreude fehlt es bei der liturgischen Kleidung nicht an der Pracht, die man sich von der katholischen Kirche gewohnt ist. Für die tiefrot und golden dekorierten Bischofsmützen hat de Castelbajac mit dem Hutmacher Maison Michel zusammengearbeitet. Vergoldete Spangen in Form eines Chi-Rho-Symbols, die Gewänder zusammenhalten werden, stammen vom Juwelier Goossens. Viele der Stickereien kommen derweil aus dem Hause Lesage, das zu Chanel gehört und mit dem der Designer schon 1997 für die Einkleidung des Papst John Paul II kooperiert hatte. Auch ihn hüllte er in die Farben des Regenbogens.
Ein Wahrzeichen, von der Modewelt umgarnt
Seit dem vermutlich versehentlich ausgelösten Feuer 2019 ist die Notre-Dame von der Modewelt regelrecht umgarnt worden. Für den Wiederaufbau des Pariser Wahrzeichens spendeten François-Henri Pinault, Besitzer des Luxuskonzerns Kering, zusammen mit seiner Familie 100 Millionen Euro. Der Luxuskonzern LVMH und dessen Besitzerfamilie Arnault trugen 200 Millionen Euro dazu bei.
Die Entwürfe von Jean-Paul de Castelbajac werden vor allem in der Einweihungsphase der Kathedrale bis Juni 2025 genutzt und sind danach für wichtige Anlässe und Priesterweihen vorgesehen. Sie sind ein wenig wie eine institutionelle und weniger vergängliche Version einer Arbeit, die der Designer schon seit Jahrzehnten verfolgt: mit Kreide malt er in seiner Freizeit Engel auf Mauern und Wände in ganz Paris.