Im Interview spricht der Top-Banker Blessing über die Vorteile einer Fusion mit Unicredit und das Scheitern der CS. Zudem sagt er, woran die deutsche Wirtschaft krankt.
Herr Blessing, Deutschland ist nach dem Scheitern der Regierung politisch blockiert und steckt zugleich in einer wirtschaftlichen Krise. Wie besorgt sind Sie?
Stimmungsmässig kann es nur besser werden. Die Wirtschaftsdaten sind durchwegs schlecht. Deutschland ist das Schlusslicht beim Wachstum – das gilt für die grossen Länder der G-7 wie auch für Europa.
Wie erleben Sie die Stimmung bei den Unternehmen?
Die ist im Keller. Da spielen nicht nur die Fakten eine Rolle, sondern ebenso die Psychologie. Die Regierung hat sehr viel Vertrauen verloren. Ihr Handeln wurde als starke Einschränkung des unternehmerischen Freiraums sowie als Bevormundung empfunden.
Wo muss eine neue Regierung ansetzen, welche Massnahmen haben höchste Priorität?
Im «Wirtschaftswende»-Papier des Ex-Finanzministers Christian Lindner steht fast alles drin: Es braucht einen Abbau der Bürokratie – beispielsweise beim Lieferkettengesetz und bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsregulierung. Beides ist gut gemeint, doch kommt hier ein wahres Bürokratiemonster auf uns zu. Auch bei der hohen Steuerbelastung müsste die Regierung ansetzen.
Das sind alles defensive Massnahmen. Sie werden aber kaum genügen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Wir müssen bei der Arbeitszeit gegensteuern. Die Diskussion um eine kürzere Wochenarbeitszeit läuft in die völlig falsche Richtung. Die geringe Steigerung der Produktivität ist ein riesiges Problem für Deutschland – und das liegt zu einem grossen Teil am Fachkräftemangel. Trotzdem tun wir alles dafür, dass die Leute früh in Rente gehen können, was den Mangel noch verstärkt. Auch die Krankschreibungen sind seit der Corona-Pandemie fast dreimal so hoch wie im EU-Durchschnitt.
Deutschland ist verletzlich geworden: Da platzt das Übernahmeangebot von Unicredit an die Commerzbank herein. Soll der Staat verhindern, dass diese Perle der deutschen Wirtschaft ausländisch wird?
Ich möchte vorwegschicken: Ich habe auch nach acht Jahren eine emotionale Nähe zur Commerzbank. Zudem habe ich volles Vertrauen in die Vorstandsvorsitzende Bettina Orlopp, die ich während meiner Zeit eingestellt hatte. Für die Regierung wird es schwer, den Zusammenschluss zu verhindern. Doch wenn sie das wollte, weshalb hat sie dann den Anteil von 4,5 Prozent an Unicredit verkauft? Niemand hat sie dazu gezwungen.
Die Aktionäre sehen eine Übernahme eindeutig positiv.
Letztlich gehört das Unternehmen den Aktionären. Sollte es zu einem Übernahmeangebot der Unicredit kommen, werden sie an einer Generalversammlung darüber abstimmen, in welche Richtung es gehen soll. Das Management wird versuchen, die Aktionäre davon zu überzeugen, dass eine Strategie des Alleingangs mehr Wert verspricht als ein Zusammengehen.
Was sagen Sie zum Argument der Gegner, es handle sich um eine «feindliche Übernahme»?
Ob eine Übernahme feindlich ist, entscheiden am Ende immer die Aktionäre. Wenn diese dagegen sind, können sie einfach mit Nein stimmen.
Wie sieht es für die Kunden aus: Bringt ein Zusammenschluss Vorteile für sie?
Im internationalen Bankgeschäft ist Grösse ein entscheidender Faktor: Mit mehr Eigenkapital kann eine Bank grössere Kredite vergeben. Schon heute verlieren die europäischen Institute immer mehr Geschäfte, weil sie bei der Bilanzsumme nicht mit der amerikanischen Konkurrenz mithalten können. Die industrielle Logik spricht somit für Konsolidierungen in Europa über die Landesgrenzen. Doch bei der Diskussion über Commerzbank und Unicredit dürfen wir nicht übersehen: Auf den ersten Blick sieht es nach einer europäischen Bankenfusion aus. In Wirklichkeit aber wäre es primär eine innerdeutsche Transaktion, die nichts an den grundsätzlichen Strukturproblemen des deutschen Bankenmarktes ändern würde.
Bei einer Fusion wäre die Commerzbank der Juniorpartner. Ihr Börsenwert erreicht nur 20 Milliarden Euro gegenüber 70 Milliarden bei Unicredit. Was ist da schiefgelaufen?
Im Gegensatz zu Deutschland gab es in Italien eine Gesetzesänderung in den 1990er Jahren. Diese förderte die Zusammenlegung von Sparkassen, so entstand die heutige Unicredit. Deutschland jedoch entschied sich für Strukturerhaltung, was rückblickend ein klarer Fehler war. Hier waren Konsolidierungen nur innerhalb der jeweiligen Sektoren möglich, wie bei der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank.
Der Bedeutungsverlust des deutschen Bankensektors ist dramatisch.
Das ist leider so. Die Deutsche Bank erreichte in den frühen achtziger Jahren eine Börsenkapitalisierung von 20 Milliarden D-Mark. Das war beinahe ebenbürtig mit der amerikanischen JP Morgan. Heute bringt diese 700 Milliarden Dollar auf die Waage – sie ist damit 20-mal wertvoller als die Deutsche Bank. Das liegt auch daran, dass sich die deutschen Regierungen schon immer mehr für die Automobilindustrie als für die Banken interessierten.
Tun sich die Deutschen generell schwer mit dem Strukturwandel?
Dass Deutschland den Wandel verschlafen hat, gilt nicht nur für die Finanzbranche: Auch die Stahlindustrie hat die Konsolidierung verpasst. Das erschwert es jetzt enorm, im globalen Wettbewerb mitzuhalten. Dasselbe gilt für die Banken: Obwohl vereinzelte Fusionen stattfanden, kamen diese generell zu spät. Zudem erfolgten sie meistens in Zeiten der Krise und somit aus einer Position der Schwäche. Die französischen Banken etwa haben dies besser gemacht.
Martin Blessing
Kaum jemand kennt die europäische Bankenwelt besser als der 61-jährige Martin Blessing. Acht Jahre lang, bis im Jahr 2016, stand er an der Spitze der Commerzbank, bevor er in die Geschäftsleitung der UBS wechselte. Dort leitete er zunächst das Schweiz-Geschäft und war danach bis Ende 2019 Co-Chef der globalen Vermögensverwaltung. Anschliessend wurde er in den Verwaltungsrat der Danske Bank, der grössten dänischen Bank, berufen. Seit 2022 ist er deren Präsident.
Sie waren bis Ende 2019 Chef der UBS Schweiz und Co-Leiter der Vermögensverwaltung. Wie beurteilen Sie die Übernahme der Credit Suisse? Sie haben diese bereits als «Jahrhundert-Deal» für die UBS bezeichnet.
Der Deal ist deshalb sehr vorteilhaft für die UBS, weil sie für jeden Franken an Eigenkapital, den sie bei der Credit Suisse übernommen hat, nur rund fünf Rappen bezahlen musste. Das ergibt einen enormen Puffer, um die Risiken dieses Kaufs abzufedern. Gelingt die Integration, so können die Aktionäre mit einer sehr guten Rendite rechnen, welche sie für das eingegangene Risiko entlöhnt. Mein Eindruck ist zudem, dass der Zusammenschluss gut vorankommt.
Die UBS-Führung hat den Ehrgeiz, künftig mit den grossen US-Playern wie etwa Morgan Stanley mitzuhalten. Ist das nicht illusorisch?
Die Chancen haben sich zumindest wesentlich verbessert – und die UBS besitzt schon heute eine starke Position in den USA. Die Ambition halte ich für sinnvoll, denn der amerikanische Markt ist nicht nur viel grösser als der europäische, sondern bietet auch höhere Margen. In manchen Bereichen herrscht de facto ein Oligopol, was es den Instituten ermöglicht, höhere Gebühren zu verlangen als in Europa.
Nach der Finanzkrise hat Deutschland einen Anteil der Commerzbank übernommen. Hätte analog auch die Schweiz im Fall der CS einsteigen sollen, statt einen Verkauf an die UBS zu organisieren?
Der Staat kann auf zwei Arten einsteigen: Er kann die Bank kaufen und weiterführen, oder er kann sie abwickeln. Nehmen wir die erste Variante einer Verstaatlichung: In der Theorie lässt sich dies leicht einfordern. In der Praxis aber möchte ich mir das nicht vorstellen. Eine solche Bank stünde politisch unter Dauerdruck: Die Politiker verlangen, dass die Firmen in ihrem Wahlkreis billige Kredite bekommen, sie verhindern die Schliessung einzelner Filialen, oder sie kritisieren die Gehälter der Manager. Ich bezweifle, dass eine Sanierung der Credit Suisse auf diese Weise gelungen wäre.
Sprechen wir über die zweite Variante einer Abwicklung: Diese ist von Bedeutung, weil die «Too big to fail»-Regulierung deren Machbarkeit verlangt. Hätte das bei der CS funktioniert?
Bei einer international so vernetzten Bank wie der Credit Suisse entspricht das einer Operation am offenen Herzen. Bereits wenn der Patient nur kurz mit dem Atmen aufhört, hat das riesige Auswirkungen auf die globalen Finanzmärkte. Dass die Behörden vor einem solch gravierenden Eingriff zurückschrecken, leuchtet ein. Auch in der Euro-Zone gibt es einen Abwicklungsmechanismus: Doch selbst bei mittelgrossen italienischen Regionalbanken hat man sich nicht getraut, diesen auszulösen. Deshalb bin ich überzeugt, dass die nun getroffene Lösung mit der UBS mit Abstand die beste war.
In der Schweiz läuft derzeit eine intensive Debatte über die Kapitalisierung der UBS. Aus der Politik kommt die Forderung, die Bank müsse ihr Eigenkapital um bis zu 25 Milliarden Franken aufstocken. Würde das die Sicherheit der UBS verbessern?
Mehr Kapital macht die Bank auf jeden Fall nicht unsicherer. Allerdings wird die Bank dadurch auch weniger profitabel. Doch will man das wirklich? Es ist das klassische Dilemma: Will die Schweiz künftig einen bedeutenden Finanzplatz haben, so braucht sie eine international erfolgreiche Grossbank. Dann aber kann man ihr nicht zusätzliche Fussfesseln anlegen, um sie am Vorwärtskommen zu hindern. Sonst hat sie das Rennen gegen die Amerikaner von vornherein verloren.
In der Euro-Zone ist das Eigenkapital ebenfalls ein heikles Thema: Heute halten die Banken riesige Bestände an Staatsanleihen, ohne dass sie diese mit eigenem Kapital hinterlegen müssen. Halten Sie das für sinnvoll?
Auch wenn ich mir mit dieser Aussage wenige Freunde mache: Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass europäische Staatsanleihen nicht völlig risikolos sind, sondern ein gewisses Ausfallrisiko haben. Im Fall Griechenland kam es zur Abschreibung von staatlichen Obligationen. Müssten die Banken und Versicherungen die erworbenen Staatsanleihen mit Eigenkapital unterlegen, so hätte dies zudem eine disziplinierende Wirkung auf die Verschuldung in diesen Ländern.
Müsste Deutschland in dieser Frage mehr Druck ausüben?
Ich denke, diese Debatte sollten wir führen – auch im Hinblick auf eine Vertiefung der europäischen Kapitalmarktunion.
Deutschland ist aber weit davon entfernt, in Europa wieder eine Führungsrolle zu übernehmen.
Klar, es muss jetzt ein Ruck durch das Land gehen. Es liegt nicht an der fehlenden Erkenntnis. Primär haben wir ein Umsetzungsproblem. Der frühere Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hat einmal gesagt: «Wir wissen alle, was wir tun müssen. Wir wissen nur nicht, wie wir wiedergewählt werden, wenn wir es tun.» Ich denke, die verantwortlichen Politiker sollten jetzt vor allem ihre Angst vor unpopulären Entscheidungen ablegen und stattdessen die ungelösten Probleme anpacken. Dasselbe gilt für uns alle: Wir müssen daran arbeiten, das Richtige zu tun, um unsere Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.