Illegale Waren aus dem Onlinehandel fluten die Schweiz. Die Behörden reagieren mit Grosskontrollen.
Der verbotene Gegenstand ist pink und könnte glatt als Kugelschreiber durchgehen – wären da nicht die scharfen Windungen im Metall eingelassen. Tanja Brunner nimmt das Objekt mit behandschuhten Fingern aus der Plastikfolie und zeigt es herum. Das sei kein Kugelschreiber, sagt sie und fügt an: «Es ist ein Kubotan. Eine Stichwaffe, die bei uns verboten ist.»
Tanja Brunner ist die Chefin des Zolls Zürich. Am Dienstag zeigte sie im Logistikzentrum des Lieferdienstes DPD in der Zürcher Unterländer Gemeinde Buchs, wie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgegangen sind, als sie vergangene Woche die grösste Warenkontrolle im Onlinehandel durchgeführt haben, die es in der Geschichte des Schweizer Zolls je gegeben hat.
Der Zoll kann der Paketflut mit Kontrollen kaum beikommen: Seit der Pandemie hat der grenzüberschreitende Onlinehandel neue Dimensionen erreicht – und er wächst weiter. Für dieses Jahr erwarten die Behörden 55 Millionen Einfuhren. Alle Pakete zu kontrollieren, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Darum setzt der Zoll unter anderem auf solche Schwerpunktkontrollen.
Am Mittwoch präsentierte Tanja Brunner bei einer Medienkonferenz die Resultate. Rund 15 000 Pakete haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zolls gescannt, 1500 geöffnet. «Und wir sind sehr erfreut über das Ergebnis. Der Aufwand hat sich gelohnt», sagte Brunner. Denn der Zoll konnte in knapp 700 Fällen illegale Waren aus dem Verkehr ziehen. Die meisten sogenannten Aufgriffe betrafen Medikamente, vor gefälschten Markenartikeln und Waffen.
In einer mobilen Röntgenstation haben die Beamten des Zolls für die Grosskontrolle der letzten Woche 15 000 Pakete geprüft.
Wurfstern, Laser, Schlagring
Die Beamten kontrollierten die Pakete teils zufällig, teils aufgrund eines Verdachts. So sind gewisse Händler einschlägig bekannt. Zudem verfügen einige Kontrolleure über jahrelange Erfahrung und haben ein entsprechend gutes Auge für Pakete, mit denen potenziell etwas nicht stimmt.
Zu diesen Fällen gehörte auch der weisse Postbeutel mit chinesischem Absender, in dem Tanja Brunner am Dienstag den Kubotan fand. Es handelte sich dabei um eines von zirka 120 000 Paketen, die das Logistikunternehmen DPD in der Schweiz jede Nacht sortiert.
Bei Kontrollen lassen die Mitarbeiter vom Zoll bestimmte Sendungen aussortieren. Die Empfänger der Pakete bekommen von DPD eine Notiz, dass sich ihre Bestellung verzögert. Aus der Stichprobe wird jedes Päcklein von einer Fachperson geröntgt. Was verdächtig aussieht, wird beiseitegenommen und geöffnet.
Das Paket mit dem Kubotan muss nach der Prüfung der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Diese wird dann abklären, ob die Empfängerin oder der Empfänger wissentlich illegale Ware bestellt hat und was mit der Waffe geplant war. Je nachdem kann es eine Busse wegen Widerhandlungen gegen das Waffengesetz absetzen.
Während der anderthalbstündigen Kontrolle kommt am Dienstag noch etliches weiteres verbotenes Material zusammen: ein Laser der Stärkeklasse 3, ein Wurfstern, weitere Kubotane, ein Schlagring und eine Steinschleuder. Daneben finden die Zöllner zwei Äxte und einen kompakten Baseballschläger aus Aluminium. Diese Gegenstände sind juristisch allerdings unbedenklich.
In solchen Fällen verschliessen die Mitarbeitenden vom Zoll das Päcklein nach der Kontrolle und geben es für den weiteren Transport frei. Einzig das Klebeband wird vermuten lassen, dass der Zoll die Sendung durchsucht hat.
Insulin statt Diätpillen bekommen
Mit den Waffen ist es eine komplizierte Sache. So ist die Einfuhr von Messern nur unter gewissen Umständen verboten oder bewilligungspflichtig. Nicht zulässig sind zum Beispiel Dolche mit einer Klingenlänge von über fünf Zentimetern, Stellmesser, die sich automatisch öffnen lassen, oder Butterfly-Messer.
Verboten sein können aber auch Spielzeugpistolen, sofern sie täuschend echt aussehen, wie Andreas Wydler, Leiter der Zentralstelle Waffen des Bundesamts für Polizei (Fedpol), am Mittwoch erklärte. Viele Kunden wüssten gar nicht, dass sie etwas Illegales täten, sagte Wydler. «Sie bestellen vielleicht ein Feuerzeug, das aussieht wie eine echte Pistole, und denken sich nichts dabei.» Im Zweifelsfall könne man sich aber immer ans Fedpol wenden oder an die kantonalen Waffenbüros, bevor man online eine Waffe bestelle.
Nur jene Pakete, die im Röntgenbild verdächtig aussehen, werden von den Beamten auch geöffnet. In einem davon findet Tanja Brunner den Kubotan (rechts).
Die häufigsten Funde von verbotenen Waffen seien Softair-Pistolen und illegale Messer. Bei der Grosskontrolle des Zolls wurden letzte Woche insgesamt 79 Waffen sichergestellt, der Grossteil der Sendungen kam aus China.
Noch weit öfter werden Medikamente aus dem Verkehr gezogen, bei der Grosskontrolle waren es 241 Sendungen – ein Drittel davon erektionsfördernde Mittel. Nicolas Fotinos von Swissmedic riet am Mittwoch dringend davon ab, Medikamente ausserhalb der legalen Kanäle zu bestellen. «Das kann brandgefährlich sein.»
Fotinos schilderte das Beispiel einer jungen Frau aus der Ostschweiz, die abnehmen wollte und sich illegal Ozempic beschaffte. Die Händler hatten ihr statt des Originalpräparats aber Insulin-Spritzen geschickt. «Wenn ein gesunder Mensch Insulin nimmt, kann er in Ohnmacht fallen oder gar sterben», sagte Fotinos.
Es werde für die Kunden aber immer schwieriger, legale von illegalen Kanälen zu unterscheiden. Die Anbieter tarnten sich vermehrt als Schweizer Online-Apotheken: Die Preise sind in Franken angegeben, irgendwo steht vielleicht auch noch der Name einer Schweizer Stadt. Mithilfe von KI würden diese Websites immer besser.
Swissmedic versuche zwar, gegen die illegalen Websites vorzugehen, das sei aber äusserst schwierig. Befänden sie sich im Ausland, könnten sie diese nicht schliessen. Und gelinge es trotzdem einmal, seien am nächsten Tag zehn neue Websites da. Auch kommen die Medikamente immer wieder aus anderen Ländern, eine Zeitlang war es vor allem Indien, dann Singapur, Hongkong und Polen.
Kontrollen sind nicht das einzige Mittel
Dass die Zollbehörden angesichts der gewaltigen Menge an Paketen alle verbotenen Sendungen auch nur annähernd erkennen könnten, sei völlig unrealistisch, sagt Tanja Brunner. Trotzdem hätten ihre Leute einen ziemlich guten Überblick über das, was bei den Schweizerinnen und Schweizern gerade beliebt sei.
Vor den Kubotanen seien auffallend viele Wasserpistolen sichergestellt worden, die wie richtige Schusswaffen ausgesehen hätten. Und nicht nur bei den Waffen gibt es Trends. Bei Drogen komme es vor, dass zuerst kleine Mengen einer neuen Substanz in Kleinsendungen auftauchten, bevor die Ware massenhaft auf der Strasse gehandelt werde. Und wenn etwa die Weltmeisterschaften im Fussball bevorstünden, spiegle sich das in der Zahl der gefälschten Fussballtrikots, sagt Brunner.
Doch was können die Behörden angesichts der wachsenden Paketflut überhaupt tun? Laut Brunner geht es darum, ständig dazuzulernen, um möglichst gezielt vorgehen zu können. Dazu arbeiteten sie auch mit Spezialisten in der Risikoanalyse zusammen.
Kontrollen sind für den Zoll aber nicht alles. Es gehe auch darum, die Händler dazu zu bewegen, sich an die hiesigen Vorgaben zu halten – zum Beispiel bezüglich der Sicherheit der Produkte. Andererseits müsse man auch die Kunden dazu bewegen, keine illegale Ware zu bestellen. Indem man sie für das Problem sensibilisiere und auch aufzeige, dass ihre illegalen Bestellungen möglicherweise vom Zoll entdeckt würden und nie bei ihnen ankämen.