Eine Datenanalyse der NZZ zeigt, wo die Zahl der Fahrzeuge am meisten angestiegen ist. Auf einem der sechs Abschnitte, über die das Stimmvolk entscheidet, ist das Verkehrsaufkommen jedoch zurückgegangen.
Die Autobahnen sind an vielen Stellen chronisch überlastet. 48 807 Staustunden zählte der Bund im vergangenen Jahr – so viele wie noch nie. Der Verkehr hat sich seit Anfang der Neunzigerjahre mehr als verdoppelt. Auch das Wachstum in den letzten zehn Jahren ist eindrücklich, wie Verkehrsdaten des Bundes zeigen. Besonders gross ist die Belastung auf der A 1 und A 2. An vielen Stellen zwischen Bern, Zürich und Basel verkehren über 100 000 Fahrzeuge pro Tag, an einzelnen deutlich mehr.
Eine punktuelle Entlastung soll das Ausbaupaket bringen, über das die Stimmberechtigten in gut einer Woche entscheiden. Der Bundesrat und das Parlament möchten mit den sechs Projekten gezielt Engpässe beseitigen.
Die NZZ hat analysiert, wie sich der Verkehr in den letzten zehn Jahren dort entwickelt hat, wo der Bund investieren will. Die Messstellen in der Nähe der Abschnitte, die ausgebaut werden sollen, zeigen, dass das Verkehrsaufkommen teilweise sehr hoch ist. Auf der A 1 bei Bern-Wankdorf verkehren täglich 110 000 Fahrzeuge. Nur an wenigen Messstationen in der Schweiz, wie zum Beispiel auf der A 1 bei Schwamendingen und Wallisellen, liegt die Zahl noch höher. Gegenüber 2013 hat der durchschnittliche Tagesverkehr bei Wankdorf um fast 6000 Fahrzeuge zugenommen.
Der Bau des Rheintunnels in Basel soll die Osttangente der A 2 entlasten und dem Transit- und Güterverkehr dienen. Laut den Messsdaten verkehren auf der Schwarzwaldbrücke, die die beiden Rheinufer verbindet, täglich 89 000 Fahrzeuge. Das sind 3900 mehr als noch vor zehn Jahren.
Auf den Abschnitten zwischen Le Vengeron und Nyon (VD) und Schönbühl sowie Kirchberg (BE) sollen die Spuren ausgebaut werden. Die Verkehrsbelastung ist dort mit 80 000 Fahrzeugen pro Tag ebenfalls sehr hoch.
Der Sonderfall St. Gallen
Ins Auge sticht allerdings, dass der Verkehr an einer Messstelle in den letzten zehn Jahren nicht zu-, sondern abgenommen hat. Es handelt sich um den Rosenbergtunnel der A 1 in St. Gallen, der mit einer dritten Röhre entlastet werden soll. Zum Projekt gehört der Bau einer Zubringerverbindung beim früheren Güterbahnhof, um weniger Verkehr aus Appenzell über das städtische Strassennetz zu führen. Gemäss dem Bund belaufen sich die Kosten auf rund 1,3 Milliarden Franken (die tatsächliche Summe dürfte wesentlich höher sein, wenn man weitere Arbeiten und die Teuerung berücksichtigt).
2023 verkehrten im Rosenbergtunnel pro Tag 3200 Fahrzeuge weniger als 2013. Das Verkehrsaufkommen auf der A 1 in St. Gallen habe 2020 Corona-bedingt abgenommen, sagt Jérôme Jacky, der Sprecher des Bundesamts für Strassen (Astra). Ab 2021 sei es unter dem früheren Niveau geblieben, nachdem der Bund die Pandemie-Massnahmen aufgehoben habe – im Gegensatz zu den meisten anderen Abschnitten der Nationalstrassen.
Das Astra führt dies auf die Sanierungsarbeiten an der Stadtautobahn zurück, die im Jahr 2021 begannen und immer noch andauern. Zwischen 2013 und 2019 sei das Verkehrsaufkommen von 76 000 auf 79 000 Fahrzeuge angestiegen.
Das St. Galler Projekt scheint den Beteuerungen der Befürworter zu widersprechen, der Bund baue dort aus, wo die Engpässe am grössten seien. «Wir bauen nicht auf Vorrat, sondern wollen mit den sechs Projekten punktuell den Verkehrsfluss verbessern», sagte Bundesrat Albert Rösti in einem Interview mit der NZZ. Neue Spuren gebe es nur auf Teilabschnitten, die wesentlich für die Entlastung seien.
Zu beachten ist allerdings der Realisierungshorizont. Das Projekt in St. Gallen mit dem Zubringer beim Güterbahnhof soll im besten Fall 2040 abgeschlossen sein. Der Baubeginn ist frühestens in sechs Jahren vorgesehen. Das Astra rechnet damit, dass die A 1 auf dem fraglichen Abschnitt bis zum Jahr 2030 erheblich überlastet sein wird, wie es in einem Faktenblatt festhält. Die Autobahn ist von St. Gallen Winkeln bis St.Gallen Neudorf über vier Anschlüsse mit dem untergeordneten Strassennetz verbunden, was das Staurisiko erhöht.
Ab dem Jahr 2037 plant der Bund zudem die Sanierung der zwei bestehenden Röhren. Die dritte Röhre des Rosenbergtunnels ermögliche die Sanierung der A 1, ohne dass es zum Verkehrskollaps komme, sagt Jacky. Werde die Vorlage abgelehnt, könne das Gesamtprojekt mit der dritten Röhre nicht realisiert werden. Das würde bei der Sanierung der bestehenden Tunnels zu erheblichen Verkehrseinschränkungen führen, da immer eine Röhre für die Arbeiten geschlossen werden muss.
Es ist damit zu rechnen, dass ein Teil des Verkehrs auf die Hauptstrasse durch St. Gallen ausweichen dürfte. Diese hatte früher mehr Spuren und war eine Art Stadtautobahn. Erst die Eröffnung des Rosenbergtunnels der A 1 im Jahr 1987 brachte dem Lachen-Quartier und anderen Gebieten der Stadt, die zeitweise vom Verkehr erdrückt wurden, eine Entlastung.
Bestehenden Tunnel sanieren – Verkehrskollaps vermeiden
Auch in Schaffhausen ist eine weitere Röhre geplant. In der Nähe des Fäsenstaubtunnels hat der Verkehr im Gegensatz zur A 1 in St. Gallen in den letzten zehn Jahren um etwa 10 Prozent zugenommen. Im Vergleich zu den grössten Engpässen ist der durchschnittliche Tagesverkehr bei der Messstelle in Schaffhausen dennoch eher bescheiden.
Das Projekt dient jedoch ebenfalls nicht allein der Kapazitätserweiterung. Die zweite Röhre erhöhe die Sicherheit, weil der heutige Gegenverkehr entfalle und das nachgelagerte Strassennetz entlastet werde, sagt der Astra-Sprecher Jacky. Zudem könne mit der zweiten Röhre der bestehende Tunnel saniert werden, ohne dass es in der Region zu einem Verkehrskollaps komme. Gemäss dem Astra durchqueren den Fäsenstaubtunnel heute pro Tag 30 000 Fahrzeuge. Das ist für eine Röhre, die in beiden Richtungen befahren wird, viel – etwa 1,5-mal so viel wie im Gotthardtunnel.
Mit den sechs Projekten geht der Bund einige Engpässe an. Doch an anderen Orten nahm der Verkehr weitaus stärker zu, besonders auf Abschnitten der A 9 und A 12, in der Nähe des Genfersees. Am grössten war die Zunahme bei der Messstelle Villeneuve auf der A 9, am Ostufer des Sees. Im Jahr 2023 verkehrten dort 10 000 Fahrzeuge mehr pro Tag als noch 2013.
Ausgewogene regionale Verteilung
Das Astra verweist darauf, dass neben der Entwicklung des Verkehrs auch jene der Staus zu berücksichtigen sei. 57 Prozent aller Staustunden seien im Jahr 2023 auf die Agglomerationen Zürich, Basel, Genf, Bern, Lausanne und das Tessin entfallen, sagt der Sprecher Jacky. Der Bundesrat wolle den Verkehrsfluss in diesen Regionen verbessern.
Die Auswahl der Erweiterung geschieht anhand verschiedener Faktoren. Der Bund ordne die Projekte einem Ausbauschritt zu, wenn sie baureif seien, sagt Jacky. In der föderalistischen Schweiz ist aber offensichtlich, dass auch die regionale Ausgewogenheit relevant ist. Das machte Bundesrat Albert Rösti bei einem Auftritt vor den Medien Ende März 2023 selber klar. Wenn das Parlament die Westschweiz noch berücksichtigen möchte, fände er das «aus einer übergeordneten Landessicht durchaus verständlich», sagte er.
Rösti warb damit für Ausbau der A 1 zwischen Le Vengeron, Coppet und Nyon auf sechs Spuren. Dieser war nicht Teil der Vorlage des Bundesrats, weil er im Gegensatz zu den anderen Projekten noch nicht baureif war. Der National- und der Ständerat liessen sich nicht zweimal bitten, auch die Westschweiz zu berücksichtigen. Beide Kammern nahmen den Ausbau der A 1 zwischen Le Vengeron, Coppet und Nyon im Jahr 2023 ins Paket auf. Auch beim Bahnausbau hat das Parlament aus regionalpolitischen Motiven immer wieder zusätzliche Projekte aufgenommen.
Der hängige Ausbauschritt, über den das Stimmvolk am 24. November entscheidet, ist nur ein Teil der Investitionen, die der Bund bei den Nationalstrassen plant. Bis ins Jahr 2030 sieht er Projekte im Umfang von rund 12 Milliarden Franken vor. Das Parlament entscheidet alle vier Jahre über die Projekte und deren Priorisierung. Denn ist ein Engpass behoben, taucht schon bald der nächste auf.
Die Verkehrsbelastung für alle Messstellen finden Sie in der folgenden Tabelle.