Das Wort «Genozid» löst auf dem Balkan hitzige Debatten aus. Umso mehr, wenn ein ehemaliger General der bosnischen Serben bestätigt, dass ein Genozid stattfand. Das Geständnis löst unterschiedliche Reaktionen aus.
Radislav Krstic war der erste Kriegsverbrecher, der wegen des Massakers im Juli 1995 an 8000 bosnischen Muslimen in Srebrenica verurteilt wurde. Das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien verhängte 2001 eine Haftstrafe von 46 Jahren gegen ihn. 2004 wurde die Strafe auf 35 Jahre herabgesetzt. Das Urteil lautete auf Beihilfe und Anstiftung zum Völkermord.
Jetzt ist Krstic wieder der Erste. Der erste dafür verurteilte Kriegsverbrecher nämlich, der das Massaker einen Genozid nennt. Sein Eingeständnis löst in den betroffenen Staaten unterschiedliche Reaktionen aus.
Antrag auf frühzeitige Haftentlassung
Seine Stellungnahme gab Krstic in einem Brief vom 18. Juni 2024 ab. Diesen veröffentlichte die Nachfolgeorganisation des Jugoslawien-Tribunals Anfang Woche.
Krstic schreibt darin: «Ich akzeptiere die Urteile des Tribunals, in denen festgestellt wird, dass die Streitkräfte, denen ich angehörte, im Juli 1995 einen Genozid an den Bosniaken in Srebrenica begangen haben und dass ich den Genozid unterstützt habe.»
Krstic, der im Juli 1995 das Drina-Korps der bosnischen Serben kommandierte, räumt ein, von der Absicht der Militärführung, einen Genozid zu begehen, gewusst zu haben. Das Wort «Genozid» fällt in seinem anderthalbseitigem Brief elf Mal. Ihm sei klar gewesen, dass seine Truppen wesentlich zu den Hinrichtungen bosnisch-muslimischer Gefangener beigetragen hätten.
Auf das Geständnis folgt ein langes Reuebekenntnis. Jeden Augenblick, jeden Tag denke er an die Opfer, trauere um sie, bete für ihre Seelen. Er sei sich bewusst, dass die Angehörigen der Opfer seinen Worten nicht glauben würden und diese ihren Schmerz nicht zu lindern vermöchten.
Wie ernst es Krstic mit seiner Reue ist, darf allerdings infrage gestellt werden.
Denn sein Brief ist Teil eines Gesuchs um frühzeitige Haftentlassung. Der 76-Jährige stellte mehrere solche Gesuche in der Vergangenheit. Alle wurden abgelehnt. Bisher fehlte der Begriff «Genozid».
Geständnis stellt offizielles Narrativ auf den Kopf
Das Eingeständnis Krstics stellt das offizielle Narrativ Serbiens und des bosnischen Teilstaats Republika Srpska auf den Kopf. Dort wird der Völkermord geleugnet, oft selbst das Massaker verharmlost.
Dies zeigte sich Ende Mai, als die Uno-Generalversammlung eine Resolution zu Srebrenica verabschiedete. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic behauptete, das gesamte serbische Volk werde an den Pranger gestellt – obwohl die Wörter «Serbien» und «Serben» in der Resolution gar nicht vorkommen.
Krstic dagegen begrüsst die Resolution in seinem Brief nicht nur. Er hätte sie sogar selber unterzeichnet, schreibt er. Das kommt den Politikern in Banja Luka und Belgrad ungelegen. Jahrzehntelang waren sie darum bemüht, aus verurteilten Kriegsverbrechern Volkshelden zu machen.
Jetzt gesteht ausgerechnet einer dieser Kriegsverbrecher seine Verbrechen ein. Vereinzelte vor allem oppositionelle Medien in Serbien druckten den Brief ab. Die Politik hingegen schweigt.
Die oppositionelle Belgrader Zeitung «Danas» bringt die paradoxe Situation treffend auf den Punkt. Sie schreibt vom «bizarrsten Moment in der modernen Geschichte Serbiens». Nämlich dass ein Grossteil der serbischen Öffentlichkeit «genau jenem (Un-)Menschen, der für dieses schlimmstmögliche Verbrechen verantwortlich ist, nicht glaubt».
Angehörige der Opfer glauben dem Eingeständnis nicht
Den Worten Krstics schenken auch die Angehörigen der Ermordeten in Bosnien-Herzegowina wenig Glauben.
Almasa Salihovic ist die Sprecherin der Srebrenica-Gedenkstätte in der Ortschaft Potocari. Dort sind auch die Ermordeten beerdigt. Sie äussert gegenüber Radio Free Europe Skepsis: «Wir wissen, dass verurteilte Kriegsverbrecher den Völkermord in Srebrenica und andere Kriegsverbrechen eingestehen, weil sie davon profitieren. Sobald sie frei sind, ändern sie ihre Geschichten wieder.»
Salihovic stellt klare Bedingungen an den Kriegsverbrecher: «Wir erwarten, dass Radislav Krstic all seine Kenntnisse über den Völkermord mit der Staatsanwaltschaft von Bosnien-Herzegowina teilt.» Die Angehörigen erhoffen sich davon Hinweise zu weiteren Massengräbern oder den Mittätern.
Am Schluss seines Briefs schreibt Krstic: «Sollten es die Angehörigen erlauben, möchte ich noch einmal in meinem Leben in Potocari sein, um mich vor den Opfern zu verneigen und um Vergebung zu bitten.»
Darauf antwortete eine Vertreterin der Vereinigung «Mütter von Srebrenica», Krstic solle zuerst die Strafe aushalten, zu der er verurteilt worden sei. Erst dann solle er seine Reue beweisen.