Unter der Vegetation Yucatáns verstecken sich Pyramiden, zahlreiche Plätze, ein Amphitheater und ein Wasserreservoir. Doch ihr Fund habe eine Kehrseite, sagen die amerikanischen Wissenschafter.
Amerikanische Archäologen haben im mexikanischen Urwald eine bislang verborgene Stadt der Maya entdeckt – ohne dass sie vor Ort gewesen wären. Wissenschafter der Tulane-Universität in Louisiana haben Messdaten einer mexikanischen Umweltorganisation untersucht. Diese waren schon 2013 im Rahmen eines Waldüberwachungsprojekts gesammelt worden. Umweltschützer wollten Erkenntnisse darüber liefern, in welchem Ausmass der Urwald CO2 aufnehmen und damit Emissionen von Treibhausgasen ausgleichen kann. Nun ermöglichten die Biologen den Archäologen, vom Schreibtisch aus zwei zuvor unbekannte architektonische Komplexe zu identifizieren.
In der Fachzeitschrift «Antiquity» haben die Forscher ihre Ergebnisse veröffentlicht: Sie fanden laut ihren Angaben 6764 Strukturen im südöstlichen Teilstaat Campeche, die bisher unbekannt waren. Darunter waren Pyramiden, zahlreiche Plätze, ein Amphitheater und ein Wasserreservoir. In der Blütezeit in den Jahren zwischen 750 und 850 n. Chr. sollen hier zwischen 30 000 und 50 000 Menschen gelebt haben. In den Jahrhunderten danach verschwanden die Reste der Stadt dann unter dem dicht bewachsenen Urwald im Osten Mexikos, auf der Halbinsel Yucatán.
«Wo die Zugänglichkeit derart schwierig ist, scheuen sich Archäologen, zu suchen»
Peter Fux ist Direktor des Kulturmuseums St. Gallen, er hat in Honduras archäologisch geforscht. Und sagt: «Es ist ein offenes Geheimnis, dass in Yucatán noch viel mehr zu entdecken ist.» Nur sei das Entdecken abseits der Ortschaften und Strassen dort aufwendig, es gibt kaum Infrastruktur, keine Krankenhäuser, nur schlechte Versorgung in der Umgebung. «Wo die Zugänglichkeit derart schwierig ist, werden auch kaum archäologische Grabungsprojekte gestartet», sagt Fux. Die amerikanischen Archäologen suchten bequemer, von ihren Schreibtischen aus.
Dies taten sie mit Hilfe von Lidar. Der Begriff steht für «light detection and ranging» und bezeichnet ein dreidimensionales Laser-Scanning. Millionen von Laserstrahlen werden dafür von einer Drohne oder einem Helikopter aus abgeschossen und von allem reflektiert, auf was sie treffen, von der Erdoberfläche, von Gebäuden oder von Bäumen. Ein Messgerät fängt die Strahlen wieder auf, und aus der Laufzeit des Lasers lässt sich die Erdoberfläche genau modellieren. Mit Lidar kann man die Vegetation einfach wegrechnen, zuvor unter Bäumen versteckte Strukturen treten plötzlich klar hervor. Die amerikanischen Wissenschafter analysierten und interpretierten die von der Umweltorganisation gesammelten Daten also neu.
«Laser-Entdeckungen im Regenwald klingen ganz anders, als wenn man erzählt, dass man mit Schaufel und Pickel losgräbt», sagt der Museumsdirektor Fux.
Immer wieder hat es in der jüngeren Vergangenheit entsprechende Funde gegeben. Anfang Jahr entdeckten Forscher dank Lidar in Ecuador die bislang ältesten Siedlungsspuren aus der Region: ein System von Städten, umgeben von Feldern, verbunden mit Strassen. 2018 haben Forscher in Guatemala Ruinen von mehr als 60 000 Häusern, Palästen, Hochstrassen und anderen Bauwerken identifiziert, die jahrhundertelang unter dem Dschungel verborgen lagen.
Luke Auld-Thomas, der Doktorand an der Tulane-Universität in Louisiana, der die nun erfolgreiche Maya-Untersuchung geleitet hat, schränkt aber auch ein: «Eine der Kehrseiten der Entdeckung vieler neuer Maya-Städte im Zeitalter von Lidar ist, dass es mehr von ihnen gibt, als wir je zu erforschen hoffen können.»
Nur vier Manuskripte von der Maya-Geschichte erhalten
Dass es überhaupt noch so viel über die Maya zu erforschen gibt, liegt am noch immer nur lückenhaften Wissen über die einst hochentwickelte Kultur. Als die Spanier im 16. Jahrhundert das Reich der Maya eroberten, wollten sie diese zum Christentum bekehren – und vernichteten alles, was den Maya bis dato heilig war, Bilder, Schriften, Altäre. Gerade vier Manuskripte blieben erhalten, die sogenannten «Codices» können heute nur noch einen kleinen Einblick in die Maya-Geschichte liefern.
Wenn man die Aussage von Auld-Thomas ins Positive umkehrt: Kann Lidar nun also diese Lücken füllen?
Anruf bei Markus Reindel in Bonn. Reindel ist dort Referent für Amerika am Deutschen Archäologischen Institut (DAI). Er hat mit der Lidar-Technik in Honduras geforscht. Und sagt: «Die Einführung dieser Technik war eine Revolution für die Archäologie.» Das gelte gerade für jene in tropischen Regionen. «So kommt man in Gebiete, in denen man vorher nur schwierig forschen konnte.» Und so kommt man in die Medien. Das erleichtert die Finanzierung künftiger Forschungsprojekte.
«Auch bei der jetzigen Studie waren sehr erfahrene Co-Autoren involviert», sagt Reindel. Deren Unterstützer könnten auch ein wirtschaftliches Interesse verfolgen: Erschliesst man grosse Maya-Fundstätten touristisch, tun sich mitunter Goldgruben auf. Das zeigt sich etwas weiter nördlich vom jetzigen Fundgebiet, wo es längst ausreichend Infrastruktur und Versorgung gibt.
Die Küstengebiete Yucatáns sind weltbekannt. Weisse Strände und türkisblaues Meer umrahmen die hier entdeckten, beeindruckenden Maya-Ruinen. Jährlich ziehen diese Millionen von Touristen an, die sich Chichén Itza oder die Ruinen von Tulum anschauen und damit viel Geld in die Region bringen.
Die nun im Urwald entdeckten Stätten könnten womöglich ein ähnliches Potenzial entwickeln. Sie wiesen «Merkmale einer Hauptstadt» auf, teilten die Forscher mit. Sie wollen die hinsichtlich ihrer Bebauungsdichte zweitgrösste Stadt nach der Maya-Metropole Calakmul gefunden haben. Calakmul liegt etwa 100 Kilometer entfernt. Die mutmassliche neue Hauptstadt tauften sie «Valeriana». Deren Entdeckung unterstreiche die Tatsache, «dass unser Wissen über die Existenz oder Abwesenheit grosser Stätten in bisher nicht kartierten Gebieten des Maya-Tieflands immer noch grosse Lücken aufweist», heisst es in der Studie.
Markus Reindel findet solche Entdeckungen nach wie vor faszinierend. Der Fund von Valeriana bestätige, dass eine erstaunlich dichte Besiedlung im Landesinneren Yucatáns unter dem Urwald verborgen liege. So dicht, dass man Funde quasi voraussagen könne. «Ich kann aus der Ferne einen Survey erstellen und zu hundert Prozent sicher sein, dass Forscher dann etwas finden, wenn sie vor Ort suchen», sagt Reindel.
Neulich sei ein befreundeter Forscher in Yucatán im Urlaub seinem Hobby nachgegangen. Dieser sei einfach einmal in den Wald gelaufen, statt sich an den Strand zu legen, erzählt Reindel: «Und dort hat er sofort neue Ruinen entdeckt – da gibt es einfach noch unglaublich viele.»