Das Hotel Sonnenberg über dem Vierwaldstättersee ist der Rettung einen Schritt näher. Trotz heftiger Kritik geben mehrere eidgenössische Kommissionen grünes Licht für den Bau.
An historischen Hotelbauten mangelt es in der Innerschweiz wahrlich nicht. Die wohl bewegteste Vergangenheit dieser «alten Kästen» hat das Haus Sonnenberg in Seelisberg (UR). Das 1875 eröffnete palastartige Grand-Hotel auf einer Felskante hoch über der Rütliwiese war in seiner Blütezeit Rückzugsort für Gäste wie Richard Wagner, Hermann Hesse und Leo Tolstoi. Weltweite Schlagzeilen machte der «Sonnenberg» in den 1970er Jahren.
1971 kaufte der indische Guru Maharishi Mahesh Yogi das Hotel und machte es zum Hauptsitz seiner Bewegung für Transzendentale Meditation. Der kleine Kurort Seelisberg wurde in der Terminologie dieser Gemeinschaft zur «Heimat für das Zeitalter der Erleuchtung». Das brachte Leben und Glamour ins Dorf. Denn der Seher mit dem markanten weissen Bart und den langen Haaren gehörte zu den angesagtesten spirituellen Lehrern jener Jahre. Pop- und Filmgrössen wie die Beatles, die Beach Boys, Clint Eastwood, David Lynch und Mia Farrow besuchten seine Meditationskurse.
Zerfallende Hotelbauten
Zeitweise lebten und meditierten in der Hotelanlage bis zu 300 seiner Jüngerinnen und Jünger, die sogenannten Yogis. Aufsehen erregten sie vor allem deshalb, weil der Guru behauptete, durch Meditation im Zustand reinen, unbegrenzten Bewusstseins sogar schwerelos werden zu können, was als «yogisches Fliegen» bezeichnet wurde. 1983 zog der Guru in die Niederlande, wo er 2008 starb.
In Seelisberg blieben bis heute die Maharishi European Research University sowie ein Ayurveda-Gesundheitszentrum. Doch der Hotelkomplex, viel zu gross für die schrumpfende Bewegung, setzte zunehmend Patina an und zeigte Zeichen des Verfalls. Seit Jahren suchen die Yogis vergeblich einen Käufer für das 50 000 Quadratmeter grosse Areal an bester Lage mit Blick über den Vierwaldstättersee.
Nun scheint der 29. November 2024 ein neuer Wendepunkt zu werden. Dann entscheiden die Seelisberger über zwei Vorlagen, die den Weg für einen neuen «Sonnenberg» ebnen sollen. Die Gemeindeversammlung des 730 Einwohner zählenden Ortes muss über ein Projekt der Immobilienfirma Halter AG entscheiden. Diese hat das gesamte Areal im Januar 2023 gekauft.
Für rund 200 Millionen Franken wollen die Investoren das Hotel Sonnenberg «revitalisieren», wie sie bei der Bekanntgabe des Kaufs erklärten. Das Vier-Sterne-Hotel soll laut dem Halter-CEO Markus Mettler nicht im Luxussegment angesiedelt, sondern auch für Familien erschwinglich sein. Im ehemaligen Kurhotel Kulm, das nicht unter Denkmalschutz steht, sollen Wohnungen entstehen. Querfinanziert wird das Projekt durch zwei Gebäude mit Wohnungen.
«Geradezu irrwitziges Projekt»
Dass das Projekt diesen Reifegrad erreichen würde, hatten viele nicht erwartet. Als die Investoren ihr Projekt vorstellten, gab es in der Öffentlichkeit vor allem kritische Stimmen. Die Architekturzeitschrift «Hochparterre» bezeichnete das Projekt als «raumplanerischen Unsinn». Um das historische Hotel zu retten, würden architektonisch wenig überzeugende Neubauten in Kauf genommen. Als «geradezu irrwitzig» kritisierte die renommierte Fachzeitschrift die geplanten vier neuen Wohngeschosse, welche die Halter AG unterhalb des bestehenden Hotels auf den Felsen bauen will.
Auch der Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee (LSVV) kritisierte die Pläne scharf. Der Verbandspräsident Urs Steiger rügte im Gespräch mit der NZZ den Gemeinderat von Seelisberg dafür, dass er ein solches Projekt überhaupt auflege. «Die vorliegende Planung widerspricht typologisch, morphologisch, massstäblich und in ihrer Dichte dem vorherrschenden Siedlungsbild im Raum Vierwaldstättersee», schreibt der LSVV in einem Positionspapier.
Aufgrund der heftigen Kritik war mit einer Flut von Einsprachen zu rechnen. Bei der Gemeinde Seelisberg sind jedoch nur deren drei eingegangen. In zwei Fällen wurde bereits eine Einigung erzielt, nur eine letzte Einsprache des Innerschweizer Heimatschutzes ist noch hängig. Der LSVV ist im Kanton Uri nicht einspracheberechtigt.
Dass sich der Widerstand nun in engen Grenzen hält, ist zwei Gutachten zu verdanken. Sie wurden von der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission und der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege erstellt. Das Urteil dieser Gremien hat enormes Gewicht. Denn sie können Bauvorhaben in der stark geschützten Region rund um den Vierwaldstättersee verhindern. Im Fall Sonnenberg kamen sie jedoch zu dem Schluss, dass das Bundesinventar der Objekte von nationaler Bedeutung (BLN) «voraussichtlich nur leicht beeinträchtigt wird». Der historische Verkehrsweg, der durch dieses Gebiet führt, werde höchstwahrscheinlich nicht beeinträchtigt.
«Diese positive Beurteilung war für uns absolut zentral und hat gezeigt, dass wir mit dem Vorgehen und dem Projekt auf dem richtigen Weg sind», sagt Robin Neuhaus, der zuständige Projektleiter bei Halter. Durchgewinkt haben die Kommissionen die Pläne allerdings nicht. Sie stellten verschiedene Bedingungen, damit das Vorhaben weiterverfolgt werden kann. So müssen die Investoren sicherstellen, dass die beiden Neubauten im Süden die Wirkung der Kuppel des Grand-Hotels auch von Westen her nicht stören. «Wir haben unser Projekt entsprechend den Hinweisen der Kommissionen angepasst, zudem sind wichtige Teile davon auch in die Revision der Nutzungsplanung sowie in den Quartiergestaltungsplan eingeflossen», sagt Neuhaus. Was die Gemeindeversammlung vom 29. November betrifft, sei er optimistisch.
Die Seelisberger Gemeindepräsidentin Sonja Truttmann will keine Prognose abgeben, ob die Gemeindeversammlung der Nutzungsplanung und der Quartiergestaltungsplanung «Sonnenberg» zustimmen wird. «Im Moment ist es ruhig im Dorf», sagt Truttmann. Bei den bisherigen Informationsveranstaltungen sei das Echo überwiegend positiv gewesen. «Aber Seelisberg wird sich verändern, wenn die Pläne umgesetzt werden, und das kann natürlich auch Ängste und Sorgen auslösen.»
Dem Innerschweizer Heimatschutz geht es mit seiner Einsprache in erster Linie darum, dass die markante Kuppel des Grand-Hotels nicht konkurrenziert wird. «Das Projekt trägt diesem Anliegen noch zu wenig Rechnung», sagt Urs Kälin, der Vertreter des Kantons Uri im Verband. Über die Einsprache entscheidet der Gemeinderat von Seelisberg. Sie soll laut Truttmann rasch behandelt werden. «Unser Ziel ist es, dem Projekt keine Steine in den Weg zu legen, nachdem bisher alles so gut gelaufen ist.» Kälin hofft, dass die Gemeinde Seelisberg die Forderungen seiner Organisation ganz oder teilweise berücksichtigt. Er geht nicht davon aus, dass der Innerschweizer Heimatschutz gegen eine Abweisung der Einsprache im Stadium der Nutzungsplanung Beschwerde einlegen würde.
Sollten die Seelisberger an der Gemeindeversammlung grünes Licht geben und kommt es zu keiner Beschwerde gegen den Entscheid des Gemeinderats, will die Halter AG laut Neuhaus bis Ende 2025 das Baugesuch einreichen. Es wäre 175 Jahre nach der Eröffnung des traditionsreichen Hotels. Für Felix Kägi und die anderen Jünger des Maharishi würde der Abschied aus dem Urner Kurort damit ein gutes Stück näher rücken. Als Vorsitzender der Bewegung Transzendentale Meditation in der Schweiz und in einem Dutzend anderer Länder hat er viele Jahre im Hotel Sonnenberg verbracht.
«Ich persönlich bin sehr glücklich», sagt Kägi. Mit der Halter AG habe man einen Käufer gefunden, der «unglaublich gewissenhaft» mit den Gebäuden umgehe. «Zudem werden unsere Anregungen in die Entscheidungen mit einbezogen.» Er ist sich bewusst, dass der Abschied nicht allen Bewohnern so leicht fallen wird. «Das Haus ist für uns mit vielen Erinnerungen verbunden.» Kägis Traum ist es, ein grosses Abschiedsfest zu organisieren, bei dem sich die ganze Maharishi-Community trifft, die hier ein und aus gegangen ist.
Die letzten Yogis bleiben
Für die rund 20 Frauen, die an der Maharishi-Universität Meditationstechniken studieren und in einer Art klösterlicher Gemeinschaft leben, werde man in anderen Einrichtungen der weltweit tätigen Bewegung Lösungen finden, verspricht Kägi. Gleiches gelte für das Gesundheitszentrum. Ziel sei es, die Gebäude bis Ende 2025 zu räumen. In Seelisberg bleiben werden voraussichtlich Otto und Maria Odermatt. «Sie haben von mehreren Einwohnern Angebote erhalten, bei ihnen zu wohnen», sagt Kägi.
Das aus dem Kanton Nidwalden stammende Ehepaar zog 1976 für ein Jahr nach Seelisberg, um die Lehre des Maharishi kennenzulernen, und blieb. Sie wurden engagierte Yogis und liessen sich zu TM-Lehrern ausbilden. Heute ist Odermatt 78 Jahre alt und leitet zusammen mit seiner Frau immer noch das Zentrum in Seelisberg. 2023 sagte Otto Odermatt im Gespräch mit der NZZ: «Wir bleiben hier, wo die guten Schwingungen Maharishis überall zu spüren sind.»