Präsident Ilham Alijew will, dass sein Land in der Weltpolitik zuvorderst mitmischt. Das staatliche Energieunternehmen ist dafür zentral – und die Schweiz ein wichtiger Stützpunkt der Strategie.
«Four Seasons», «Hilton», «Marriott»: An der Strandpromenade in Baku ist Reichtum an jeder Strassenkreuzung zu finden. Die Luxushotels sind hier aneinandergereiht, weil in den Tiefen des Kaspischen Meers fossile Reserven liegen.
Aserbaidschans Hauptstadt hat praktisch ihren gesamten Wohlstand Öl und Gas zu verdanken – zwei Energiequellen, von denen sich die meisten Staaten der Welt eigentlich lösen möchten. Ausgerechnet in Baku verhandeln Diplomaten gegenwärtig an der Uno-Klimakonferenz über den Klimaschutz.
Wer das jedoch kritisiere, sei scheinheilig, findet Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew. Sein Land könne nichts für seine geografischen Gegebenheiten, sagte er in seiner Antrittsrede zum Klimagipfel: «Uns anzuklagen, weil wir Öl haben, ist, wie wenn man uns anklagte, weil Baku mehr als 250 Sonnentage im Jahr hat.» Alijew nennt die Reserven ein «Geschenk Gottes».
Und wenn es Gottes Wunsch war, dass Aserbaidschan auf haufenweise Öl und Gas sitzt, dann ist eine Firma die Vollstreckerin: die State Oil Company of Azerbaijan Republic, kurz Socar. Aserbaidschans staatlicher Energiekonzern betreibt auch in der Schweiz gut 200 Tankstellen.
Das Geschäft wird in der Schweiz verbucht
Von der Förderung über die Verarbeitung bis zur Vermarktung – Socar deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab, um aus Erdöl und Erdgas Geld zu machen.
Der Konzern entstand 1992 aus einer Zusammenlegung zweier Staatskonzerne. Die Sowjetunion war untergegangen, Aserbaidschan stellte sich für den Weltmarkt auf. Der junge Staat brauchte dringend Ressourcen, denn die Wirtschaft kriselte, und in Nagorni Karabach tobte ein Krieg mit dem Nachbarstaat Armenien.
Socar führt in moderner Unternehmensstruktur fort, was in der Region lange Tradition hat. Die ersten Ölbohrungen fanden in Baku bereits 1846 statt, Aserbaidschan gilt als Wiege des Ölgeschäfts. Für Aserbaidschan sind fossile Energiequellen noch immer von höchster wirtschaftlicher Bedeutung. Erdöl und Erdgas machen rund 90 Prozent der gesamten Exporte des Landes aus. 60 Prozent der Staatseinnahmen werden über fossile Energiequellen generiert.
In der Schweiz hat Socar eine sichtbare Präsenz. 2011 übernahm der Konzern das Schweizer Tankstellennetz von Esso, erstmals standen in Westeuropa Tanksäulen unter aserbaidschanischer Flagge. An rund der Hälfte aller Socar-Tankstellen gibt es zudem eine Migrolino-Filiale oder einen Mio-Shop. Es handelt sich dabei um eine Franchisevereinbarung: Migros bietet die Marke, die Produkte und das Konzept, Socar betreibt den Laden.
Wirtschaftlich viel bedeutender als das Tankstellennetz ist jedoch das Tochterunternehmen Socar Trading. Die Handelssparte, über die der Konzern das Geschäft mit den aserbaidschanischen Energiequellen und somit einen Grossteil des Umsatzes verbucht, hat ihren Hauptsitz in Genf.
Die vertrauenswürdige Partnerschaft
Während andere Energieunternehmen in klimafreundlichere Geschäftsfelder expandieren, kommt die Energiewende bei Socar langsam an. Zwar hat die Firma anlässlich der letztjährigen Uno-Klimakonferenz Umweltziele verkündet. 2050 will der Konzern Netto-Null-Emissionen erreichen, 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren am Portfolio des Unternehmens 30 Prozent betragen.
Der diesjährige Klimagipfel soll Aserbaidschan als Schaufenster dienen. Ilham Alijew weibelt für einen Schub bei den Investitionen in grüne Technologien, etwa bei der Herstellung von Wasserstoff. Umweltorganisationen, etwa der deutsche Think-Tank Urgewald, kritisieren, dass Socar keine glaubwürdige Strategie aufgezeigt habe, wie die Firma die angekündigten Klimaziele erreichen könne.
Socars grosses Wachstumsgeschäft der vergangenen Jahre war jedoch das Erdgas, das viele Staaten als Übergangstechnologie auf dem Weg in ein grüneres Zeitalter sehen. Aserbaidschan baute die Erdgasförderung in den letzten Jahren rasant aus.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat diese Entwicklung weiter beschleunigt. Als die Gaslieferungen aus Russland ausfielen, suchten die europäischen Staaten krampfhaft nach neuen Handelspartnern. Zahlreiche Regierungschefs pilgerten nach Baku und erkundeten sich bei Ilham Alijew nach seinen Erdgasreserven.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etwa nannte die Regierung Alijew im Juli 2022 eine vertrauenswürdige Partnerin: «Wir schätzen unsere Partnerschaft. Und diese Partnerschaft wird im Laufe der Zeit weiter wachsen und sich vertiefen.»
Bis 2027 sollen sich die Erdgaslieferungen aus Aserbaidschan in die EU im Vergleich zu 2022 verdoppeln. Allen voran in den osteuropäischen Staaten sollen sie so die weiterhin bedeutenden Gaslieferungen aus Russland ersetzen. Der slowakische Energiekonzern SPP etwa gab am vergangenen Mittwoch bekannt, einen neuen Liefervertrag mit Socar abgeschlossen zu haben.
Kaum Berührungsängste gegenüber russischen Rohstoffen
Innert kurzer Zeit die Gasförderung an eine gestiegene Nachfrage anzupassen, ist kein leichtes Unterfangen. Socar hat im Kaspischen Meer einige Gasfelder entdeckt, die in den kommenden Jahren weiter erschlossen werden sollen. Doch reicht das, um den Bedarf der Europäer zu decken?
Um aserbaidschanische Kapazitäten für den europäischen Markt frei zu halten, griff Aserbaidschan in letzter Zeit auf Erdgaslieferungen aus Russland zurück. 2022 etwa schlossen Gazprom und Socar einen Liefervertrag ab. Heizen die Bürger Aserbaidschans also künftig mit russischem Brennstoff, damit die Europäer dasselbe mit aserbaidschanischem Gas und einem guten Gewissen tun können?
Zumindest teilweise ist das denkbar. Bislang profitiert die Bevölkerung Aserbaidschans von stark vergünstigten Energiepreisen. Ob diese auch bei russischer Produktion bestehen blieben, ist ungewiss.
Doch Socar beweist im Umgang mit russischen Rohstoffen weniger Berührungsängste als die westliche Konkurrenz. Beispielhaft zeigt sich das an einer Raffinerie in der Westtürkei, die der aserbaidschanischen Regierung und Socar gehört und deren Ölprodukte auch in Europa landen. Laut Zahlen des Datenanbieters Kpler kommt dort mehr Rohöl aus Russland, als es noch vor dem Kriegsausbruch der Fall war. Im ersten Quartal des Jahres 2024 betrug der russische Anteil am gesamten weiterverarbeiteten Rohöl 90 Prozent.
Der Grund: Der Import von russischem Rohöl in die EU ist mit wenigen Ausnahmen verboten. Länder wie Aserbaidschan oder die Türkei, die die Sanktionen nicht übernommen haben, kaufen das russische Rohöl zu günstigeren Konditionen. Laut Politico untersucht das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) gegenwärtig den Verdacht, dass über den Umweg EU-Sanktionen umgangen werden und russische Ölprodukte doch in Europa landen.
Parteinahme im Krieg
Die Verbindungen zwischen Socar und der Regierung Aserbaidschans sind eng. Der Regierungspräsident besetzt den Konzernvorstand, er kann auch einzelne Mitglieder entlassen. Ilham Alijew selbst hat eine Vergangenheit im Staatskonzern: Vor dem Tod seines Vaters war er Vizepräsident. Muchtar Babajew, Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen sowie Präsident und Chefverhandler des diesjährigen Klimagipfels, arbeitete zuvor 26 Jahre lang bei Socar.
In den sozialen Netzwerken äusserte sich Socar in der Vergangenheit regierungsnah. 2020, als zwischen Armenien und Aserbaidschan heftige Kämpfe um die Region Nagorni Karabach ausbrachen, bezog die Firma Position für die heimischen Truppen. In den sozialen Netzwerken postete die Firma beispielsweise ein Bild von Ilham Alijew mit gereckter Faust. Der Aufruf: Zum Sieg! Unsere Stärke liegt in unserer Einheit!
Zəfərə doğru! Gücümüz birliyimizdədir! pic.twitter.com/QChLboIRLX
— SOCAR (@SOCARofficial) September 27, 2020
2023, als der Konflikt um Nagorni Karabach erneut aufflammte, hielt sich Socar mit solchen Wortmeldungen zurück.
Die Finanzflüsse zwischen Socar und der aserbaidschanischen Staatskasse sind undurchsichtig. Gubad Ibadoghlu, ein aserbaidschanischer Ökonom und ehemals Research Fellow an der London School of Economics, kritisierte in einem Forschungspapier die unklare Trennung zwischen Unternehmen und Staat. Das begünstige Korruption und Vetternwirtschaft, über die Firma könne der Staat Aserbaidschan etwa Sponsorings von Sport- und Kulturanlässen verschleiern.
Regierungskritiker setzen sich mit ihrer Kritik häufig Repressalien aus. Im Juli 2023 wurde Ibadoghlu verhaftet, die Behörden warfen ihm den Besitz von Falschgeld und extremistischem Material vor. Weil sich sein Gesundheitszustand in Haft verschlechterte, wurde Ibadoghlu im April 2024 in den Hausarrest überstellt.