Bei der Swiss arbeitet beinahe jeder zweite Pilot in einem reduzierten Pensum. Weil Arbeit und Privatleben kaum noch zu vereinen seien, sagt das Cockpit-Personal. Stimmt nicht, findet die Airline.
Ein Drink in einem Londoner Pub, ein Sonnenbad am Strand von Miami oder ein Spaziergang durch den Central Park in New York. In die Ferne fliegen ist Freiheit. Und genau das verkauft die Airline Swiss den Schweizerinnen und Schweizern.
Nur: Diejenigen, welche diese Freiheit ermöglichen, spüren davon wenig. Piloten und Flugbegleiter. Sie müssen allzeit verfügbar sein. Die Freizeit und die Familie haben das Nachsehen.
Gerade mussten Swiss-Piloten ihre Ferienwünsche für den Zeitraum April 2025 bis März 2026 der Firma melden – ohne Garantie, dass sie berücksichtigt werden. Ein ganzes freies Wochenende muss elf Monate im Voraus eingegeben werden.
«Angenommen, wir sind Trauzeugen bei einem guten Freund, der in zehn Monaten heiratet. Dann können wir als Pilotinnen und Piloten nicht garantieren, dass wir an der Hochzeit dabei sein können», sagt Thomas Steffen, selber Pilot sowie Sprecher Berufsverbands Aeropers, welcher das Cockpit-Personal der Swiss vertritt.
Das Fass zum Überlaufen bringt die nun schon dritte Panne mit dem Dienstplan in diesem Jahr: einmal im Juni und jetzt erneut im Oktober und im November. Entweder wurden Wünsche der Piloten nicht berücksichtigt, oder der Plan kam mit Verspätung. Das bringen Recherchen der «NZZ am Sonntag» zutage. Sie werden von Aeropers bestätigt.
Der Zeitpunkt, wann der Dienstplan den Swiss-Piloten verfügbar gemacht wird, ist ein Politikum. Früher erhielten sie ihn erst am 25. eines Monats – nur wenige Tage, bevor es losging. Nach langem Ringen konnten die Piloten durchsetzen, dass der Dienstplan am 18. aufgeschaltet wird. Also eine Woche früher. So ist es im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) festgehalten, der seit Anfang 2023 in Kraft ist.
Lufthansa-Piloten haben’s besser
Dass es nun aber vereinzelt wieder nicht wie abgemacht klappt, sorgt für einen Riesenfrust. «Das mit dem Dienstplan wäre zu verkraften, wenn die Situation nicht sonst schon angespannt wäre. Es ist für die Piloten generell enorm schwierig, ihr Privatleben zu organisieren», sagt Thomas Steffen.
Denn die Dienstplan-Pannen haben Folgen: Geplante Treffen mit Freunden müssen abgesagt und Grosseltern notfallmässig für die Kinderbetreuung aufgeboten werden.
Sicher: Wer Wert auf geregelte Arbeitszeiten legt, sollte nicht unbedingt den Pilotenberuf wählen. Aber gerade weil man bei jeder Tages- und Nachtzeit unterwegs ist, ist eine zuverlässige, vorausschauende Planung entscheidend.
Dass es auch anders geht, zeigt sich ausgerechnet bei der Lufthansa und der Austrian Airlines. Wie die Swiss gehören die beiden Airlines zum Lufthansa-Konzern. Die Piloten können dort pro Monat mehrere wichtige Freitage verbindlich planen. Bei der Swiss geht das nicht.
Die Schweizer Piloten sind der Situation aber ein Stück weit ausgeliefert. Sie können wegen des Senioritätsprinzips im Cockpit nicht einfach den Arbeitgeber wechseln.
In der Luftfahrt will man einen Konkurrenzkampf um die besten Posten verhindern, aus der Befürchtung heraus, dass dies die Sicherheit beeinträchtigen könnte. Befördert wird – sofern man die Leistung erbringt – strikt nach Dienstalter. Will ein Swiss-Pilot aber beispielsweise zur Lufthansa wechseln, müsste er wieder von vorne anfangen: als Co-Pilot auf der Kurzstrecke.
Also machen die Piloten die Faust im Sack. Die Stimmung ist im Keller, das bestätigen mehrere Quellen. «Um wenigstens ein bisschen planbare Freizeit zu haben, flüchten sich die Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit und die Situation verschärft sich weiter», sagt der Swiss-Pilot und Aeropers-Vertreter Thomas Steffen.
Tatsächlich teilt die Swiss auf Anfrage mit, dass 45 Prozent der Piloten in einem Teilzeitpensum angestellt seien – also fast jeder Zweite. Das ist deutlich mehr als 2019, als erst rund ein Drittel Teilzeit arbeitete. Die Gründe für einen Wechsel in so ein Modell würden nicht erhoben, schreibt die Swiss.
Sie bietet den Piloten eine ganze Reihe an unterschiedlichen Teilzeitmodellen an. Speziell dabei ist: Sie verrechnet einen sogenannten «Vollzugskostenbeitrag» von 1 Lohnprozent pro 10 Prozent reduzierter Arbeitszeit. Das bedeutet: Bei einem 90-Prozent-Pensum erhält man 89 Prozent Lohn, bei einem 80-Prozent-Pensum 78 Prozent. Die zusätzliche Freizeit ist also teuer erkauft.
Die Airline versichert, dass ihr die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ein zentrales Anliegen sei. Doch die Erstellung von Dienstplänen sei in einem stark regulierten Umfeld eine erhebliche Herausforderung.
Die Swiss betont: «Die Methoden, dass Freitage oder Ferien insgesamt beantragt und gewährt werden, sind im GAV geregelt. Dieser basiert auf gemeinsam mit Aeropers ausgehandelten Vereinbarungen.»
Auch die Flugbegleiter sind unzufrieden
Verärgert sind aber nicht nur die Piloten, sondern auch die Flugbegleiter. So hat sich die Swiss lange dagegen gewehrt, dass die Flight Attendants sogenannte «Betontage» – also unantastbare, arbeitsfreie Zeit – zugestanden bekommen. Zwar konnten diese im neuen GAV verankert werden. Doch die Umsetzung verzögert sich von Januar bis März.
Die Swiss bestätigt das und macht die «Komplexität der systemseitigen» Programmierung dafür verantwortlich. Sonst seien aber die Verbesserungen zur Planbarkeit des Soziallebens «nahezu alle pünktlich» umgesetzt worden.
Besänftigen kann das die Flight Attendants aber offenbar nicht. «In der Kabine haben wir die gleichen Herausforderungen wie im Cockpit. Ein geregeltes Privatleben ist kaum möglich, da wir nicht planen können. Die Stimmung leidet darunter stark», sagt Sandrine Nikolic, Präsidentin von Kapers, dem Verband der Swiss-Flugbegleiter.
Während die ganze Wirtschaft nach Wegen suche, um Beruf und Privatleben besser miteinander zu vereinbaren, passiere bei der Swiss das Gegenteil, sagt Nikolic. «Es wird immer schwieriger.»
Im Gegensatz zu den Piloten können Flugbegleiter aber besser den Job wechseln. Zahlreiche verlassen ihn offenbar auch wieder. Nikolic beklagt eine hohe Fluktuation, insbesondere in den ersten beiden Dienstjahren. Dies führe dazu, dass jedes Jahr viele neue Flight Attendants eingearbeitet werden müssten, was die Arbeit zusätzlich anspruchsvoll mache.
Die Swiss will nicht verraten, wie hoch die Fluktuation beim Kabinenpersonal ist. Seit der Einführung des Gesamtarbeitsvertrags sinke sie aber.
Eigentlich gäbe es eine einfache Lösung, welche sowohl den Piloten, wie den Flugbegleitern Luft verschaffen könnte. Doch diese kostet: mehr Personal anstellen. Einfach umzusetzen ist dies aber nicht. Seit der Corona-Pandemie hat die Branche einen Fachkräftemangel. Die Swiss betont, dass sie bereits heute die maximal mögliche Zahl an neuen Piloten ausbilde.
Ob in naher Zukunft noch Verbesserungen in Sachen Vereinbarkeit drinliegen, ist ohnehin fraglich. Die Lufthansa hat im Oktober ein grosses Sparprogramm verkündet. Die Swiss, das Ertragsjuwel der Airline-Familie, ist zwar vorderhand nicht davon betroffen. Aber der Druck aus der Konzernzentrale Frankfurt auf die Swiss dürfte ebenfalls steigen, befürchten Insider. Das Personal wird das als Erstes zu spüren bekommen.