Jakarta versucht zwischen den Grossmächten zu balancieren. Schlechte Erfahrungen mit dem Westen spielen eine wesentliche Rolle.
Gleich drei mittelgrosse Kriegsschiffe, Korvetten der «Stereguschtschi»-Klasse, schickte die russische Pazifikflotte Anfang Monat nach Indonesien. Ein Tanker begleitete sie auf der mehr als 7000 Kilometer langen Reise von ihrem Heimathafen Wladiwostok. Der Grund ihrer Reise: ein gemeinsames Manöver mit der indonesischen Marine in der Javasee.
Man habe dabei unter anderem geübt, ein von Terroristen erbeutetes Schiff zu befreien und unbemannte Wasserfahrzeuge zu bekämpfen, teilte die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti unter Berufung auf das Kommando der Pazifikflotte nach Abschluss des Manövers mit. Auch die U-Boot-Abwehr und Flugmanöver mit Helikoptern gehörten zum Programm.
Indonesien balanciert zwischen den Grossmächten
Bei ausländischen Beobachtern sorgte das russisch-indonesische Manöver – die erste bilaterale Übung zwischen den beiden Ländern – für Stirnrunzeln. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben viele Länder den militärischen Kontakt mit Moskau eingeschränkt oder ganz gestoppt. Indonesien scheint den entgegengesetzten Weg zu gehen.
Heisst das, dass sich Indonesien unter dem neuen Präsidenten Prabowo Subianto, der sein Amt vor einem Monat angetreten hat, Moskau zuwendet? «Nein», sagt Yohanes Sulaiman, Professor an der Universitas Jenderal Achmad Yani in Bandung: «Es ist ein Ausdruck der seit langem bestehenden Politik, sich nicht einem Lager anschliessen zu wollen.»
Man mache sich in Indonesien auch keine grossen Gedanken darüber, dass das Manöver mit den Russen im Westen schlecht ankomme, sagt Sulaiman: «Prabowo ist sich sicher, dass die Amerikaner trotzdem weiterhin mit Indonesien zusammenarbeiten werden.»
Sulaiman spielt auf die geostrategische Lage des Landes an. Wichtige Seewege führen durch das Archipel mit seinen über 17 000 Inseln. Alle Grossmächte wollen diese Seewege kontrollieren oder zumindest verhindern, dass sie von ihren Kontrahenten kontrolliert werden.
Prabowo spielt die Grossmächte gegeneinander aus
Prabowo spielt den geostrategischen Trumpf geschickt aus: So führte seine erste Auslandreise als Präsident zuerst nach Peking – und von dort direkt nach Washington. Russland ist eine dritte Stütze in diesem Balanceakt. «Dadurch, dass es sich mit Russland und China gut stellt, hat Indonesien mehr Verhandlungsspielraum gegenüber dem Westen», sagt Collin Koh, Experte für maritime Sicherheit an der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur.
Im Vergleich zu Manövern, die Indonesien mit anderen Partnern durchführe, sei die Übung mit den Russen bescheiden, erklärt Sulaiman. Er verweist auf Garuda Shield, wo Indonesien mit den USA zusammenarbeitet. Diese Übung findet seit 17 Jahren statt und ist mittlerweile auf weitere Teilnehmerländer ausgeweitet worden: Im August und September dieses Jahres nahmen insgesamt 14 Streitkräfte daran teil.
Der militärische Nutzen des viel bescheideneren russisch-indonesischen Manövers dürfte für beide Seiten eher beschränkt gewesen sei. Dieser könnte wachsen, falls die gemeinsame Übung regelmässig stattfindet. Bis jetzt ist dazu nichts bekannt, der Name Orruda 2024 könnte darauf hinweisen, dass Wiederholungen angedacht sind.
Für Russland ist das Manöver allein schon deshalb ein Erfolg, weil es zeigen kann, dass es weniger isoliert ist, als es sich die USA und ihre Verbündeten erhoffen. Daneben könnten industriepolitische Überlegungen mitspielen. Die «Stereguschtschi»-Korvetten sind auch für den Export bestimmt. Indonesien habe nach dem Manöver Interesse an russischen Waffen und Militärgütern gezeigt, meldet RIA Novosti. Russland werde Angebote für sieben Verträge unterbreiten – Details sind keine bekannt.
Indonesiens Militär fürchtet Waffenembargo
Indonesiens Militärführung wolle sich bei der Beschaffung von Waffen alle Optionen offenhalten, sagt Sulaiman: «Der Schock des westlichen Waffenembargos sitzt noch tief. Man will auf keinen Fall, dass dies wieder passiert.» 1999, nachdem indonesische Truppen mit Brutalität die Unabhängigkeit Osttimors zu verhindern versucht hatten, stoppten die USA und verschiedene europäische Länder Waffenexporte nach Indonesien.
So erklärt es sich, dass die indonesische Luftwaffe neben amerikanischen F-16-Kampfjets russische Suchoi-Maschinen fliegt, französische Rafale sind bestellt. Dazu kommen leichte Kampfflugzeuge aus südkoreanischer, britischer und brasilianischer Produktion.
Russland gilt als verlässlicher Partner in der Not
«Aus logistischer Sicht ist das ein Albtraum», sagt Koh. Jeder Flugzeugtyp brauche andere Ersatzteile, Mechaniker wie Piloten müssten für jeden Typ separat geschult werden. Da von jedem Modell nur kleine Stückzahlen bestellt würden, seien die Preise entsprechend hoch. «Aber das ist der Preis, den die indonesische Militärführung zu bezahlen bereit ist», so Koh.
Der westliche Boykott vor 25 Jahren hatte eine Kehrseite: Moskau hatte damals keine Hemmungen, Jakarta mit Waffen zu beliefern. Und davor, in den 1960er Jahren, habe Moskau grosse Waffenlieferungen für Indonesien versprochen für den Kampf gegen die Niederländer in Westpapua. «Das hat bei vielen das Bild geprägt, dass die Russen die Einzigen sind, die uns helfen, wenn wir in Problemen stecken», sagt der indonesische Professor.