Nachhaltige Gesellschaft, Spanischsprachige Welt, Prozesse in der Umwelt oder ganz etwas anderes als Schwerpunkt vor der Matura? Das Mittelschulamt präsentiert einen weiteren Zwischenschritt eines Mammutprojekts.
Der Bund will die Gymnasien weiterentwickeln. Der Kanton Zürich will das auch und hat dafür eigens ein Projekt ins Leben gerufen, das die Anliegen der Zürcher Mittelschulen, ihrer Lehrer- und Schülerschaft analysieren und im gleichen Reformprozess so gut wie möglich berücksichtigen soll. Das Ziel: Spätestens ab dem Schuljahr 2029/2030 sollen die «neuen» Gymnasien ihren Betrieb aufnehmen und somit die Anforderungen von Bund und Kanton umsetzen.
Es ist eine ehrgeizige Wegmarke. Denn natürlich wünschen sich die Direktbeteiligten im Gymnasium der Zukunft viele Dinge, die sich zum Teil widersprechen. Nach Angaben des Mittelschul- und Berufsbildungsamts (MBA) wollen Zürcher Gymnasiasten einerseits ein umfassendes Fächerspektrum, da sie in der Mittelschule eine breite Allgemeinbildung erlangen wollen. Andererseits wünschen sie sich mehr Wahlmöglichkeiten im Gymi, um ihre Interessen zu vertiefen und ihr persönliches Potenzial noch vor der Matur ganz ausschöpfen zu können.
Sie wollen projektorientiert arbeiten und auch interdisziplinär, um «vernetztes Denken zu üben und Themen fachübergreifend einzuordnen», wie es in einem Zwischenbericht des MBA heisst, über dessen Ergebnisse das Amt im vergangenen Frühling informiert hat.
Englisch für alle – Latein wird degradiert
Kurz: Gymnasien sollen weiterhin Breite, aber bitte schön auch genügend Tiefe, mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten und mehr Projekte bieten, die die starren Fächerstrukturen sprengen und auch das Korsett der 45-Minuten-Lektionen (und der vielen Prüfungen) hinter sich lassen sollen. Eine schöne Vorstellung, die Schule weiterhin als idealen Ort der Bildung versteht und gleichzeitig vorwegnimmt, wozu Studentinnen und Studenten an Universitäten und Fachhochschulen ausgebildet werden sollen: Je projektorientierter und vernetzter Gymnasiasten denken, desto besser.
Nun lässt sich erstmals erahnen, was all diese Wünsche dereinst für die einzelnen Fächer und Wahlmöglichkeiten an Zürcher Gymnasien bedeuten könnten. Das MBA hat am Dienstag über einen weiteren Zwischenschritt in diesem Mammutprojekt informiert.
So sollen die zwölf Grundlagenfächer – Deutsch, eine zweite Landessprache, eine dritte Sprache, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geografie, Geschichte, Informatik, Wirtschaft und Recht sowie Bildnerisches Gestalten oder Musik – künftig an allen Zürcher Mittelschulen zu gleichen Teilen unterrichtet werden. Damit erfüllt der Kanton eine Vorgabe des Bundes, die die Leistungsausweise von Maturanden national vergleichbar machen soll.
Laut dem Vorschlag des MBA soll als dritte Sprache Englisch für alle Zürcher Gymnasiasten verpflichtend werden. Latein oder Altgriechisch wird man nicht mehr als Grundlagenfach belegen können, sondern nur noch als Ergänzungsfach. Dafür sollen Zürcher Mittelschulen ihre Ergänzungsfächer künftig frei entwickeln dürfen, also ohne Direktiven des Kantons.
Raus aus den Silos
Die wesentliche Änderung im Vergleich zu heute betrifft den Wahlpflichtbereich, für den sich Zürcher Gymnasiasten in den letzten Jahren vor der Matur entscheiden müssen. Hier sind zwölf neue Schwerpunktfächer aus vier Bereichen vorgesehen.
- Kommunikation und Medien, Kultur der Mehrsprachigkeit der Schweiz, Spanischsprachige Welt, Antike und ihre Bedeutung für die Gegenwart.
- Technologie, Prozesse in der Umwelt, Lebenswissenschaften und Gesundheit.
- Nachhaltige Gesellschaft, Politik, Recht und Wirtschaft, Individuum und Gesellschaft.
- Musik und Theater, Kunst und Design.
Eine dieser Vertiefungsrichtungen sollen Maturanden künftig wählen müssen. Laut Konzept des MBA müssen alle Regionen im Kanton sämtliche Schwerpunktfächer anbieten. Zu diskutieren bleibt, inwiefern die einzelnen Gymnasien hier dennoch weiterhin eigene Akzente setzen können sollen. Der Vorschlag des Mittelschulamts steht am Anfang einer ersten Feedbackrunde. Die Vernehmlassung soll im Herbst 2025 starten.
Sicher ist: Dieser Entwurf würde von den Lehrerinnen und Lehrern Ähnliches verlangen, was Maturanden im Prinzip bereits heute erfüllen müssen: Sie müssen flexibel sein und über den Tellerrand des einen Fachs hinausdenken. Sie müssen mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten. Man darf gespannt sein, wie dieser Ansatz unter Mittelschullehrern ankommt.