Österreich wandelt sich vom Weisswein- zum Rotweinland. Die Winzerin Dorli Muhr aus dem Anbaugebiet Carnuntum sah dies bereits vor zwanzig Jahren voraus und gründete am Spitzerberg ihr Weingut. Die roten Crus aus Blaufränkisch gehören heute zu den besten des Landes.
Österreich ist ein Weissweinland. Doch der Klimawandel verändert das Antlitz des österreichischen Weines. Früher hat es selten wirklich tolle Rotweine gegeben, nun aber erreichen die Rotweintrauben jedes Jahr die perfekte Reife. Zehn Jahre in Serie sind seit 2015 geniale Rotweine gewachsen – das gab es in der Geschichte des Landes noch nie. Das wärmere und trockene Klima macht Österreich also zunehmend auch zu einem Rotweinland. «Wir sollten Österreich ähnlich wie das Burgund sehen», meint die Winzerin Dorli Muhr. «Weissweine und Rotweine auf Augenhöhe – das entspricht heute der klimatischen Realität.»
Die 59-jährige Österreicherin, die mit Wine & Partners eine Agentur für Marketing und Public Relations im Wein- und Food-Bereich führt, erkannte diesen Trend schon frühzeitig und gründete 2002 im Anbaugebiet Carnuntum ein Weingut mit vorwiegend roten Sorten. Dazu gehören Rebberge am Spitzerberg im Ort Prellenkirchen, einer Lage, die damals wenig Renommee besass. Doch das kümmerte die Qualitätsfanatikerin Muhr wenig: «Ich war und bin heute erst von der Einzigartigkeit dieses Terroirs überzeugt.» Hauptsächlich wächst Blaufränkisch, der am Spitzerberg mit seinem kontinentalen Klima und seinen einzigartigen Böden, vorwiegend aus Kalkstein, eine ideale Umgebung vorfindet.
Dorli Muhr verfolgte bei ihrer Winzerinnen-Tätigkeit von Anfang an eine ganz bestimmte Stilistik. Sie will aromatische, leichtfüssige, elegante Rotweine keltern, die von Frische geprägt sind. Genau das Gegenteil dessen, was in Österreich und anderswo gefragt war und immer noch ist, nämlich körperreiche, kräftige Crus. Doch sie liess sich nicht beirren, denn die Visionärin glaubte stets an die Eigenständigkeit des Spitzerbergs und wollte die Grösse dieses Weinhügels in edle Tropfen umsetzen – trotz vielen schlaflosen Nächten und viel Verzicht.
Die Sorte drückt die Herkunft aus
Ihre Geduld und ihre Hartnäckigkeit haben sich ausbezahlt. Weinkritiker aus aller Welt loben seit einigen Jahren ihre Weine. Und auf den neuen Jahrgang 2021 prasselte gar ein Punkteregen mit Höchstbewertungen nieder. Seit dem Jahrgang 2019 füllt Muhr nicht mehr «nur» einen Spitzerberg-Blaufränkisch ab, sondern auch verschiedene Einzellagen, ähnlich wie sie das Burgund praktiziert. Das berühmte Anbaugebiet sei zwar nicht das Vorbild gewesen, erklärt Dorli Muhr, die seit Jahren auf die herausragende Arbeit ihres Kellermeisters Lukas Brandstätter zählen kann. Sie arbeite aber mit der gleichen Leidenschaft wie die französischen Winzer. «Ich habe gemerkt, dass einzelne Parzellen einen speziellen Ausdruck besitzen. Dann will man eine Lage nicht einfach mit einer anderen zusammenschneiden», ergänzt sie.
Muhr spricht in diesem Zusammenhang von der Magie des Weins: «Es handelt sich um Unikate, die erzählen, wo sie gewachsen sind.» Dabei sei die Sorte lediglich ein Werkzeug, diese Herkunft auszudrücken.
Angesichts der Klimaerwärmung wird es auch für Dorli Muhr nicht einfacher, die kühle, elegante Weinstilistik beizubehalten. Doch die Winzerin und PR-Fachfrau ist überzeugt, dass dies auch in Zukunft gelingen werde. So wird in den Rebbergen sehr akribisch gearbeitet und darauf geachtet, dass die Böden geschlossen bleiben. So gehen keine Feuchtigkeit und kein Humus verloren. Zudem schaut man darauf, dass die Trauben nicht zu sehr der massiven Sommerstrahlung ausgesetzt sind.
Auf dem Weingut Muhr wird früh geerntet, sobald die Tannine reif sind. Die Winzerin arbeitet zudem im Keller sehr aufwendig: Extrahieren mit Fussstampfen, kühle, spontane Gärung mit Naturhefen und Arbeiten mit Stielen, um die Frische zu erhalten.
Vom Jahrgang 2021, der hierzulande in den kommenden Wochen auf den Markt kommt, haben wir drei herausragende Einzellagen-Weine ausgewählt. Sie sind als erste Lage der Österreichischen Traditionsweingüter (ÖTW) klassifiziert, zu denen auch der Betrieb von Muhr gehört. Das Trio präsentiert das Rotweinland Österreich auf perfekte Art und Weise:
Blaufränkisch Ried Spitzerberg Kranzen 1ÖTW
Die Riede ist von kalkhaltigem Sand und verfestigten Sandsteinen geprägt. Der Wein zeigt in der Nase Noten von dunklen Beeren sowie würzig-florale Anklänge. Im Gaumen kraftvoll, aber gestützt von einer reifen Säure, finessenreich, sehr gute Länge, Ausbau in grossen, alten Holzfässern, wie bei allen Weinen üblich.
Blaufränkisch Ried Spitzerberg Obere Roterd 1ÖTW
Der Boden ist ein sandiger, sehr trockener, kalkhaltiger Kulturrohboden mit teilweise grossen Kalksteinstücken. Das Bouquet enthüllt eine auffällige, würzige Note, aber auch Kräuter und fruchtige Anklänge sind auszumachen. Ein überaus finessenreicher, feingliedriger Wein mit schöner Struktur und einem langen Nachhall. Der Weinkritiker James Suckling bewertet ihn mit 98 von 100 Punkten.
Blaufränkisch Ried Spitzerberg Obere Spitzer 1ÖTW
Es handelt sich um die kargste Lage am Spitzerberg. An vielen Stellen sind Felsen beziehungsweise Kalksteinbrocken im Boden zu finden, der aus grobem Kalksand besteht. Hier wachsen die ältesten Reben, die zwischen 1960 und 2003 gepflanzt wurden. Ein herausragender, vielschichtiger, tiefgründiger Wein mit komplexen Aromen, Mineralität, viel Eleganz und einem sehr langen Finale. Gross. 18 von 20 Punkten bei Jancis Robinson.