Bis 2035 stehen die Industrienationen in der Verantwortung, ihre Klimagelder für Entwicklungsländer von 100 auf 300 Milliarden Dollar jährlich hochzufahren. Vor dem Gipfel waren Summen in Billionenhöhe gefordert worden.
Tief in der Nacht auf Sonntag, knapp 39 Stunden nach dem vorgesehenen Termin, fanden sie doch noch einen Kompromiss.
An der Uno-Klimakonferenz in Baku einigten sich die Mitgliedstaaten, dass die Industrie- den Entwicklungsländern höhere Unterstützungsgelder zahlen sollen. Diese sollen helfen, dass die Entwicklungsländer den Umbau der Energiewesen zu den Erneuerbaren und die Kosten allfälliger Umweltkatastrophen stemmen können.
Neu stehen die Industriestaaten in der Verantwortung, die Klimagelder für die Entwicklungsländer bis 2035 auf 300 Milliarden Dollar jährlich hochzufahren. Staaten wie China oder die Golfstaaten, die nach Uno-Formulierung den Entwicklungsländern zugerechnet werden, werden dazu ermuntern, ebenfalls beizutragen.
Die Staaten erkennen aber an, dass damit der Bedarf nicht gedeckt ist. Sie fordern in einer breiteren Definition von «allen Akteuren», also auch der Privatwirtschaft, die Finanzierung bis 2035 auf mindestens 1,3 Billionen Dollar an öffentlichen und privaten Mitteln aufzustocken. Verantwortlichkeiten werden dafür keine festgelegt.
Zudem hielt das Abschlussdokument fest, dass das Finanzziel von «sinnvollen und ehrgeizigen» Emissionssenkungen und Anpassungsmassnahmen begleitet werden soll. Eine Abkehr von fossilen Energiequellen, wie sie letztes Jahr im Abschlussdokument von Dubai festgehalten wurde, steht dieses Jahr nicht drin.
Das Finanzziel war das Kernanliegen des diesjährigen Klimagipfels. Es löst eine alte Formulierung aus dem Jahr 2009 ab, die die Unterstützungszahlung der Industrie- an die Entwicklungsländer bei 100 Milliarden Dollar jährlich angesetzt hatte.
Wopke Hoekstra, der Chefverhandler der EU, zeigte sich mit dem neuen Mass zufrieden: «Diese Klimakonferenz lieferte ein ambitioniertes und realistisches Ziel.» Simon Stiell, Exekutivsekretär der Uno-Klimarahmenkonvention, sagte: «Kein Land hat alles bekommen, wir verlassen Baku mit einem Berg an Arbeit vor uns.»
Viele Teilnehmer waren aber nicht zufrieden mit dem Endergebnis. Die indische Verhandlerin etwa warf den aserbaidschanischen Verhandlern im Plenum vor, den Deal aufgegleist zu haben, ohne die Haltung der Entwicklungsländer ernst zu nehmen. Sie erntete viel Applaus.
Sabine Minninger, Klimaforscherin bei der Nichtregierungsorganisation (NGO) Brot für die Welt, sagte, die Entwicklungsländer hätten zugestimmt, weil sie einen Trümmerhaufen der globalen Klimadiplomatie dringlichst vermeiden wollten: «Sie haben ein Ergebnis mitgetragen, das ihren Bedürfnissen überhaupt nicht gerecht wird.»
Drama in der Verlängerung
Am Freitag, als erstmals eine feste Zahl im Verhandlungsentwurf stand, war das Finanzziel noch bei 250 Milliarden Dollar ab dem Jahr 2035 festgelegt worden. Lachhaft tief, sagten die Entwicklungsländer und drohten, die Konferenz ohne Unterzeichnung zu verlassen. «Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal», riefen Aktivisten in den Gängen des Konferenzgebäudes.
Am Samstag standen die Verhandlungen auf der Kippe: Zwei Verhandlungsgruppen, jene der kleinen Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder, verliessen am späten Nachmittag den Saal, weil ihnen die Zugeständnisse der Industrieländer nicht weit genug gingen.
Wie sich später herausstellte, war das noch kein Aufbruch zum Flughafen, sondern ein Protestmanöver. Jiwoh Emmanuel Abdulahi, der Energieminister von Sierra Leone, sagte kurz später, die Entwicklungsländer seien nach wie vor für einen «fairen Deal» zu haben. Die Verhandlungen gingen weiter – und am Schluss stand ein Resultat.
Entwicklungs- und Industrieländer im Clinch
Klimakonferenzen erfordern jedes Jahr viel Ausdauer von allen Beteiligten. Beschlussfähig ist die Versammlung nur, wenn zwei Drittel aller Mitglieder anwesend sind. Damit eine Abschlusserklärung zustande kommt, müssen alle anwesenden Mitgliedstaaten mit der Unterzeichnung einverstanden sein – sie starten mit Maximalforderungen in die Verhandlungen, und finden sich im Idealfall im Kompromiss.
Doch dieses Jahr verliefen die Verhandlungen besonders holprig. Grob zusammengefasst standen sich die Entwicklungs- und Industrieländer mit scheinbar unvereinbaren Interessen gegenüber.
Die Entwicklungsländer pochten auf ein möglichst hohes Finanzziel, sie forderten mindestens eine Verzehnfachung des bisherigen Beitrags auf über eine Billion Dollar jährlich. Sie argumentierten, die Industrieländer hätten eine Schuld zu begleichen, seien es doch sie gewesen, die mit fossilen Energiequellen ihren Wohlstand aufgebaut haben.
Die Industrieländer, unter ihnen die Schweiz und Deutschland, erkannten an, dass der Unterstützungsbedarf der Entwicklungsländer gross sei. Der Betrag von einer Billion Dollar jährlich sei allerdings zu hoch, als dass die Industriestaaten ihn realistischerweise aus ihrem Staatshaushalt decken könnten. Sie forderten daher eine Erweiterung der Geberstaaten, die unter dem alten Finanzziel starr definiert worden waren. Allen voran China und die Golfstaaten, die in den letzten Jahren wirtschaftlich aufgestiegen sind und heute zu den grössten CO2-Emittenten der Welt zählen, sollen gemäss den Industrieländern ebenfalls in der Pflicht stehen.
Die chinesische Delegation wiederum schien einen Mittelweg zu suchen. Sie signalisierte Kooperationswillen, indem sie erstmals ihre freiwillige Klimafinanzierung in Entwicklungsländern bezifferte. Gleichzeitig bemühte sich China, den Status als Entwicklungsland nicht zu verlieren – ein Label, das dem Land bei den Staaten aus dem globalen Süden weiterhin viel Sympathie einbringt.
Frustrationen über Saudiarabien und Aserbaidschan
Auf dem Weg zum Schlussergebnis mussten die Diplomaten einige Widerstände überwinden.
So habe Saudiarabien laut den Aussagen einiger Verhandler Anträge blockiert, die über Jahre ausgearbeitet worden waren. An manchen Treffen habe die Delegation aus Saudiarabien gar nicht erst teilgenommen. «Ich habe den Widerstand Saudiarabiens gegen jeden Vorschlag zur Abkehr von fossilen Brennstoffen satt» kommentierte Catherine McKenna, die Leiterin einer Uno-Expertengruppe zum Klima. Die deutsche Aussenminister Annalena Baerbock warf den Golfstaaten vor, ein geopolitisches Machtspiel auf Kosten der ärmsten Staaten der Welt auszutragen.
Frustriert waren manche Diplomaten auch wegen Aserbaidschan. Der Gastgeberstaat nimmt bei Klimakonferenzen jeweils eine entscheidende Rolle ein: Er verarbeitet die Botschaften der Mitgliedstaaten zu einem Erklärungsentwurf und lenkt die Verhandlungen so in die Bahnen.
Zahlreiche Verhandler beklagten, dass Aserbaidschan die nötige Erfahrung fehle, um trotz kniffligen Meinungsunterschieden eine klare Stossrichtung vorzugeben. Wopke Hoekstra etwa, Chef der EU-Delegation, rief Aserbaidschan mehrfach auf, eine stärkere Führungsrolle wahrzunehmen.
Laute Nebengeräusche
Als wären die Verhandlungen nicht bereits kompliziert genug, wurde die Konferenz von politischen Nebengeräuschen begleitet.
Schon im Vorfeld der Konferenz äusserten NGO Kritik am Austragungsort. Aserbaidschan verdiente seinen Reichtum mit fossilen Energiequellen, noch immer machen Öl- und Gasprodukte 90 Prozent der Exporte des Landes aus.
Wenig hilfreich war Präsident Ilham Alijews Antrittsrede zum Beginn des Klimagipfels, in welcher er die Öl- und Gasreserven seines Landes als «Geschenk Gottes» bezeichnete. Zudem nutzte Alijew das Rampenlicht für einen Rundumschlag gegen Frankreich: Er sprach von «Verbrechen des Regimes von Präsident Macron», Frankreich habe im Frühling Proteste im Überseegebiet Neukaledonien gewaltsam unterdrückt. Der Hintergrund: Paris pflegt diplomatische Verbindungen zu Armenien, Aserbaidschans grossem Rivalen im Konflikt um Nagorni Karabach. Die französische Regierung reagierte empört auf Alijews Rede und verkleinerte als Antwort ihre Delegation in Baku.
Doch damit nicht genug mit politischem Klamauk: Argentiniens Präsident Javier Milei beorderte seine Verhandler bereits in der ersten Woche zurück nach Buenos Aires. Die Gründe für diesen Entscheid gab Milei nicht bekannt. Beobachter befürchten jedoch, es könnte sich dabei um ein erstes Signal handeln, dass Milei sein Land aus der globalen Klimadiplomatie zurückziehen möchte. Er wäre nicht der einzige Regierungschef, der an einen solchen Schritt denkt.
Denn Amerikas designierter Präsident Donald Trump hat angekündigt, bereits an seinem ersten Amtstag aus dem Pariser Klimaabkommen austreten zu wollen. Gleiches hatte er bereits in seiner ersten Präsidentschaft getan, Joe Biden hatte den Entscheid wieder umgekehrt. Die amerikanische Delegation nahm in Baku zwar teil, hielt sich in den Verhandlungen aber zurück. «Die Bemühungen zur Verhinderung des Klimawandels sind in den USA nach wie vor eine Verpflichtung», versicherte jedoch der amerikanische Chefverhandler John Podesta.
Der nächste Gipfel findet in Belém statt
Nach dem Geld rücken bei der Uno die CO2-Emissionen wieder in den Vordergrund. Bis im Februar müssen die Mitgliedstaaten ihre Einsparpläne für den Zeitraum bis 2035 einreichen. An der 30. Uno-Klimakonferenz in Belém sollen die Verhandler kommenden November diese dann zu einem globalen Fahrplan formen. So soll erreicht werden, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur möglichst klein ausfällt.
Belém liegt nahe den gerodeten Wäldern im Amazonasgebiet. Viele NGO hoffen, dass der Handlungsbedarf den Diplomaten damit eindringlich vor Augen geführt wird. Zudem könnte das Gastgeberland wieder eine stärkere Rolle einnehmen. Brasiliens Präsident Lula da Silva hatte vor einer Woche am G-20-Treffen alle Staaten dazu aufgerufen, ihre CO2-Emissionen schneller als bisher angekündigt zu senken.
Doch die globale Klimadiplomatie wird auch künftig nur funktionieren, wenn die Staaten sie ernst nehmen. Ob Baku oder Bélem – Donald Trump dürfte es kaum kümmern, wo der Gipfel stattfindet, von dem er nicht viel zu halten scheint.