Brunner lancierte die Initiative zur Abschaffung des Gendersterns, die weit über die Stadtgrenze hinaus Beachtung gefunden hat. Wer ist sie?
Susanne Brunner ist es als Bürgerliche in der Stadt Zürich gewohnt, stets mit dem Schlimmsten zu rechnen. Als SVPlerin erst recht. Kaum eine Abstimmung geht in ihrem Sinne aus. Seit über 30 Jahren regiert Rot-Grün in Zürich, Stadtrat und die linke Mehrheit fällen am Laufmeter Entscheide, die Brunner zum Verzweifeln bringen.
Nun hat das Stadtzürcher Stimmvolk die Genderstern-Initiative der 52-jährigen Kantonsrätin und Stadtparteipräsidentin am Sonntag abgelehnt. Das Resultat entspricht einer Stadt, in der nicht nur die linken Parteien Diversity und Inklusion über alles stellen, sondern auch das urbane Zürich. Kulturinstitutionen und Klubs haben Awareness-Konzepte ausgearbeitet und bieten «Safe Spaces» an für «Gäst:innen», die sich unwohl fühlen, Theater versehen ihre Stücke mit Triggerwarnungen.
In diesem Umfeld ist es wenig verwunderlich, dass die Stadt vor zwei Jahren ihr Sprachreglement für das Verwaltungspersonal überarbeitete und fortan nur noch geschlechtsneutrale Formulierungen mitsamt Genderstern erlaubte.
Für Susanne Brunner hingegen war schnell klar: Sie musste etwas unternehmen. «Der Stadtrat hat der Bevölkerung den Genderstern übergestülpt, und das geht einfach nicht. Er darf die Sprache nicht als politisches Instrument missbrauchen.»
Sie selbst sei schon von der «Gender-Polizei» verfolgt worden, wie es Brunner formuliert. Im Stadtparlament, dem sie bis 2023 angehörte, hatte sich das Ratsbüro zweimal geweigert, einen Vorstoss von Brunner entgegenzunehmen. Der Grund: Sie hatte nicht durchwegs die weibliche und männliche Form verwendet. Brunner rekurrierte beim Bezirksrat – und bekam recht.
Ein Kampf gegen «erzieherische» Politik
Dennoch: Woher kommt dieser Eifer, sich mit einer Volksinitiative gegen ein Sprachreglement zur Wehr zu setzen? Brunner sagt es selbst: In der SVP müsse man sich gut überlegen, wie man seine Kräfte einsetze. «Es läuft so vieles schief, dass wir alle zwei Wochen das Referendum ergreifen müssten.»
Der Kampf gegen den behördlich verordneten Genderstern aber, der habe sich trotz dem Nein des Stimmvolks gelohnt, sagt Brunner. Denn das Sprachreglement steht aus ihrer Sicht für etwas Grösseres: für die «erzieherische» Politik von Rot-Grün.
Die gleiche Tendenz sieht sie beim Parkplatzabbau und der Ausweitung von Tempo-30-Zonen, mit der man den Zürcherinnen und Zürchern das Autofahren vermiesen wolle. Oder in der Konzeptförderung für Tanz und Theater, in der nur noch Institutionen subventioniert würden, die ein Programm nach rot-grünem Gusto zeigten. «Die Linken sagen, Zürich sei eine weltoffene und diverse Stadt. Aber sie akzeptieren nur einen Lebensstil. Das ist das Gegenteil von weltoffen.»
Brunner ist sich sicher: «Die Leute haben diese Art der Bevormundung satt.» Fakt ist aber auch: Die SVP kommt in der Stadt Zürich auf keinen grünen Zweig. Bei den Wahlen im Frühling 2022 fuhr die Partei das schlechteste Resultat seit dreissig Jahren ein.
Resignieren kommt für Brunner trotzdem nicht infrage. Wenn sie auf Widerstand stösst, fühlt sie sich angespornt. «In der Stadt Zürich SVP-Politik zu machen, ist das härteste Trainingslager, das man sich vorstellen kann», sagt Brunner. «Ich kann nur hier wohnen, weil ich Politik mache. Das ist mein Ventil, sonst würde ich es nicht aushalten.»
Brunner ist in Wil im Kanton St. Gallen mit vier Geschwistern in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Der Vater war Bankdirektor, die Mutter Hausfrau. Beide politisierten in der CVP. Als die Kinder älter wurden, übernahm die Mutter Mandate in der Partei und der Schulpflege. «Wenn sie über Mittag nicht zu Hause war, kochte ich. Das war ganz selbstverständlich», sagt Brunner. So habe sie gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Genauso selbstverständlich war ihr Interesse an der Politik. An der HSG studierte sie Staatswissenschaften.
Nach ihrem Studium zog sie nach Zürich, der Arbeit wegen. Sie trat eine Stelle bei der Credit Suisse an. Heute arbeitet sie als Kommunikationsberaterin im Seefeld und ist geschäftsführende Partnerin eines Unternehmens, das professionelle Unterschriftensammlungen anbietet. «Das Dogma des Stadtrats – am gleichen Ort wohnen und arbeiten – habe ich schon früh erfüllt», sagt sie und lacht. «Und dort, wo ich lebe, will ich mich engagieren.»
Auch in der Politik. Für die CVP rutschte sie 2008 in den Kantonsrat nach. Doch die Zürcher CVP sei eine andere gewesen als in der Ostschweiz, «viel weniger bürgerlich», sagt Brunner. Sie habe sich gewundert über die Rufe nach einem ausgebauten Sozialstaat. Bald war für sie klar, dass sie am falschen Ort ist. Zwei Jahre später wechselte sie zur SVP, verpasste aber die Wiederwahl.
Dann wurde es still um Brunner. Sie erklärt dies damit, dass sie sich aus beruflichen Gründen nicht in ein politisches Mandat habe wählen lassen dürfen. 2018 änderte dies – und Brunner kandidierte überraschend für den Stadtrat. Zwar erfolglos, dafür gelangte sie wenig später auf anderem Weg zu nationaler Bekanntheit. Zusammen mit der Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr ergriff sie das Referendum gegen den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. Brunner bezeichnete diesen als «sozialpolitischen Sündenfall». Es dürfe nicht sein, dass die Allgemeinheit Vätern die Abwesenheit im Beruf finanziere.
Wegen ihrer politischen Haltungen werde Brunner manchmal als Hardlinerin dargestellt, sagt Ueli Bamert, der mit ihr zusammen die städtische SVP präsidiert und ebenfalls im Kantonsrat sitzt. Doch dieser Eindruck täusche. In seinen Augen ist Brunner eher dem gemässigten, wirtschaftsfreundlichen Flügel der Partei zuzurechnen.
Bamert beschreibt sie als gewissenhaft, verlässlich und herzlich. Und er zollt ihr Respekt dafür, dass sie praktisch im Alleingang eine Initiative lanciert hat, die erst noch weit über die Stadtgrenze hinaus Aufmerksamkeit erhalten hat. Es war wohl die weltweit erste Abstimmung über Gendersprache.
Tatsächlich hat die Initiative Brunner wieder ins Rampenlicht gerückt, nachdem sie zuletzt eher im Stillen politisiert hatte. Seit 2023 ist sie Kantonsrätin. Dort ist sie Mitglied der unauffälligen Kommission Staat und Gemeinden, die von Michèle Dünki-Bättig präsidiert wird.
Die SP-Frau beschreibt Brunner als angenehm und konstruktiv im Umgang, als Kantonsrätin, die sich rasch in ihr Dossier eingearbeitet habe. «Ihre ideologische Prägung ist klar, und manchmal treffen an den Sitzungen Welten aufeinander», sagt Dünki-Bättig. «Aber wir hören einander immer zu.» Mit Brunner könne man auch ein kolleginnenhaftes Gespräch führen.
Plädoyer für das generische Maskulinum
Mit der Genderstern-Initiative ist Brunner bei den Linken aus politischer Sicht aber endgültig zur Persona non grata geworden. Die Initiative sei diskriminierend, sie wolle Frauen und nonbinäre Personen «sprachlich ausgrenzen und unsichtbar machen», lautete der Tenor.
Dafür hat Brunner gar kein Verständnis. Sie habe überhaupt nichts gegen Personen, die sich als nonbinär bezeichneten, sagt sie. Aber der Genderstern könne das, was der Stadtrat ihm zuschreibe, nicht einlösen. «Sprache kann nicht gleichstellen und nicht inklusiv wirken. Sonst hätten wir ja für die Gleichstellung von Frau und Mann nur anders sprechen und schreiben müssen. Aber Gleichstellung erreichten wir nur, indem wir Verfassung und Gesetze geändert haben.»
Selbst verwende sie am liebsten eine klare und einfache Sprache, sagt Brunner, und greife gelegentlich auch zum generischen Maskulinum. «Es ist an Eleganz und Klarheit nicht zu überbieten.»
Fast zwei Jahre lang hat die Initiative sie beschäftigt. Brunner bekam selbst zu spüren, wie sehr ihr Anliegen polarisierte. «Ich habe noch nie so viel Dank erfahren bei einer Unterschriftensammlung. Ich wurde aber auch noch nie so hart verbal attackiert.» Im eher bürgerlichen Quartier Witikon sei sie als «Nazi» beschimpft worden.
Das Abstimmungsresultat vom Sonntag akzeptiere sie natürlich. Sie sagt aber auch: «Eine Mehrheit der Stimmbevölkerung legitimiert den Eingriff des Staats in die Sprache. Das gibt mir zu denken.»
Das Engagement für die Initiative war anstrengend. Aber viel Zeit, um sich auszuruhen, hat Brunner nicht. Erst kürzlich hat die SVP angekündigt, das Referendum gegen die städtische Parkplatzverordnung zu ergreifen. Auch hier glaubt Brunner: Der Kampf lohnt sich.