Ein Handelskrieg zwischen Amerika und der EU würde bloss den Autokraten des Ostens nutzen. Der Westen muss daher wirtschaftlich zusammen halten. Denkbar wäre gar eine weitreichende Vision.
Donald Trump hat angekündigt, nach seinem Amtsantritt die Zölle auf alle Einfuhren um 10 bis 20 Prozent zu erhöhen, wenn die Wirtschaftsbeziehungen nicht ausgeglichener werden. Müsste dann die EU im Gegenzug ebenfalls Strafzölle verhängen? Und gäbe es bessere Alternativen?
Vielschichtige Abhängigkeiten
Sicher ist, dass mit dem Aussenhandel zwischen der EU und den USA eine der weltweit wichtigsten Aussenhandelsbeziehungen, die sich in den vergangenen Jahren erst noch mit am dynamischsten entwickelt hat, auf dem Spiel steht. Güter würden für die Konsumenten auf beiden Seiten des Atlantiks substanziell teurer, und manche Waren und Dienstleistungen wären womöglich im jeweils anderen Markt gar nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Angebotsvielfalt, der Wettbewerb und auch die Innovationsfähigkeit würden sinken.
Sowohl die EU als auch die USA haben grosse Binnenmärkte und handeln deswegen viel mit sich selbst. Trotzdem profitieren beide Seiten erheblich von der Arbeitsteilung, die der Handel zwischen ihnen ermöglicht. Europa ist zudem stärker verflochten mit dem Ausland als Amerika. Gemessen an den Exporten von Gütern und Dienstleistungen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung betrug die Exportabhängigkeit der EU im Jahr 2022 56 Prozent, die der Schweiz 77, die der USA hingegen bloss 12 Prozent.
Die EU exportierte 2022 fast ein Drittel all ihrer Warenausfuhren nach Asien und nur ein Fünftel in die USA. Doch der Anteil Amerikas hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen.
Bei den Dienstleistungen sind die USA zwar nicht das einzige, aber doch das bedeutendste einzelne Land von Exporten der EU. Ein Fünftel aller ausgeführten Dienstleistungen wird in die USA verkauft.
Von den Importen in die EU stammen beim Warenhandel nur 12 Prozent aus den USA. Dafür sind es bei den Dienstleistungen über ein Drittel, während nur ein Fünftel aus Asien kommt.
Es dreht sich nicht nur um Autos und Maschinen
Und so hat Trump im Warenhandel mit seinen ständigen Handelsbilanzüberschüssen der EU zwar recht, wenn er über ein unausgeglichenes Verhältnis klagt. Bei den Dienstleistungen ist es aber umgekehrt. Insgesamt ist deshalb der Handel zwischen den beiden grossen Wirtschaftsblöcken nahezu ausgeglichen.
Der Blick auf die Daten zeigt ausserdem, dass der Streit um die Landwirtschaft überbewertet wird: Im Warenhandel machen die Agrargüter nur einen geringen Teil aus. Die EU dominiert bei den Exporten von Maschinen und Medikamenten und exportiert auch deutlich mehr Autos in die USA, als sie amerikanische importiert. Die USA hingegen sind in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Lieferanten von Energie geworden – vor allem mit verflüssigtem Erdgas. Und sie sind ein dominanter Exporteur von Tech- und Finanzdienstleistungen.
Gegenmassnahmen verschlimmern das Ganze
Das effektive Ausmass des Wohlstandsverlusts, den die von Trump angedrohten Strafzölle auslösen würden, wird von zwei Dingen abhängen. Erstens, ob und inwiefern Europa als Antwort darauf ebenfalls Zollschranken erhöht, und zweitens, wie der Wechselkurs darauf reagiert.
Ergreift Europa Gegenmassnahmen (was Politiker in Brüssel anscheinend leider für verhandlungstechnisch angebracht halten), so werden nebst der Exportwirtschaft auch Europas Konsumenten leiden und wird die einheimische Wirtschaft über verteuerte Vorleistungen zusätzlich geschwächt.
Die höheren Zölle werden die importierte Inflation anheizen, was sich auf das Zinsniveau und den Wechselkurs auswirken würde.
Am vernünftigsten wäre es, auf Gegenmassnahmen zu verzichten. Dann würden die amerikanischen Zölle primär die Inflation in den USA anfeuern, dort höhere Zinsen erzwingen und damit den Dollar stärken, was der europäischen Wirtschaft zumindest einen Teil der verlorenen Wettbewerbsfähigkeit zurückgeben könnte. Suchen jedoch beide Seiten im Protektionismus Zuflucht, landen sie in der schlechtesten aller Welten. Wegen ihrer grösseren Aussenhandelsabhängigkeit würde es die EU gar schmerzhafter treffen als die USA.
Das wäre das denkbar schlechteste Zukunftsszenario. Während im sich verschärfenden Systemwettbewerb und Konflikt zwischen westlichen Demokratien und östlichen autoritären Regimen sowieso schon Sicherheitsbedenken die Oberhand über ökonomische Effizienzüberlegungen gewinnen und eine zumindest partielle Deglobalisierung den Wohlstand schmälert, würde sich der Westen mit einem transatlantischen Handelsdisput auch noch selbst schwächen.
Die Vorarbeiten für ein Abkommen sind geleistet
Was es jetzt braucht, ist deshalb das Gegenteil: eine transatlantische Vorwärtsstrategie. Wenn sich schon West und Ost den politischen Primat einer teuren wirtschaftlichen Entkoppelung leisten, dann müssen sie wenigstens untereinander die Vorteile der internationalen Spezialisierung und des möglichst ungehinderten Handels nutzen, um den globalen Systemwettbewerb gewinnen zu können. Sie sollten in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen nicht nur Zölle abbauen, sondern auch Marktzulassungen gegenseitig anerkennen und Firmen aus dem jeweils anderen Handelsblock und deren Produkte möglichst wie einheimische behandeln.
Nimmt man die zukünftige amerikanische Administration beim Wort, so ist das zumindest nicht völlig utopisch. Die Entourage des neuen alten Präsidenten hat immer wieder betont, dass die angedrohten Zollerhöhungen nicht das Ziel seien, sondern ein Instrument, um die Handelspartner zu Massnahmen zu bewegen, die eine ausgeglichenere Wirtschaftsbeziehung ermöglichten. Donald Trump sei sehr wohl für den Abbau von Schranken und für Handelsverträge zu haben, wenn diese auf Gegenseitigkeit beruhten.
Europa und die USA waren schon einmal fast so weit. 2013 hatten sie formelle Verhandlungen für eine sogenannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) aufgenommen. Diese schritten weit voran und zeigten das grosse Potenzial einer vertieften Handelsintegration auf.
Doch in Europa wusste eine eigentümliche Allianz aus Lobbyisten und hartgesottenen Globalisierungsgegnern die Bevölkerung mit der angeblichen Aussicht auf ungesunde amerikanische Chlorhühner und eine Einschränkung politischer Souveränität in Angst und Schrecken zu versetzen. Es kam zu heftigen Demonstrationen, vor allem in Deutschland und Frankreich.
2016 wurden die Verhandlungen abgebrochen und 2019 offiziell beendet. Ganz ähnlich, wie dies die Schweiz aus Angst vor ihren Bauern schon 2006 vorexerziert hatte, als sie die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA zu deren Befremden einseitig abgebrochen hatte.
Inzwischen sollte klar sein: Ein Handelsabkommen, das die transatlantische Wirtschaftsbeziehung stärkt, ist keine Bedrohung, sondern eine Versicherung gegen Wohlstandsverlust. Ein Europa, das nach wirtschaftlicher Stärke strebt, braucht Trumps Drohungen nicht mit Gegenmassnahmen zu begegnen, sondern sollte offensiv und schnell ein transatlantisches Handelsabkommen verhandeln und abschliessen. Die notwendigen Vorarbeiten dazu liegen längst in der Schublade.
Und Bern? Nimmt die EU Verhandlungen mit den USA auf, sind davon die beiden wichtigsten Wirtschaftspartner der Schweiz betroffen. Die Handelsdiplomatie müsste alles daransetzen, nicht ins Hintertreffen zu geraten und sich andocken zu können. Oder noch besser würde diese auf eine Vorwärtsstrategie setzen und versuchen, durch schnelle und mutige Avancen den Weg hin zu einer transatlantischen Wirtschaftszone gar noch zu beschleunigen. Auch wenn dabei die bereits auf null gesetzten Industriezölle nicht mehr im Mittelpunkt stehen können.
Ein Binnenmarkt der demokratischen Kräfte
Es ist denn auch je länger, desto mehr nicht mehr der reine Gütertausch, der das wirtschaftliche Wachstum treibt. Ein deutlich grösseres Potenzial hätte deshalb der Ausbau einer Freihandelszone hin zu einem gemeinsamen (Binnen-)Markt, in dem sich nicht nur Güter, sondern auch Dienstleistungen, Kapital und letztlich auch Arbeitskräfte ungehindert bewegen können. Dieser müsste auch nicht zwingend auf Europa und die USA beschränkt bleiben.
Die kräftigste Antwort auf den zunehmenden Systemwettbewerb und Konflikt zwischen West und Ost wäre ein gemeinsamer Binnenmarkt aller entwickelten, transatlantisch orientierten demokratischen Staaten – vielleicht je nach Entwicklungsstand in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Integrationstiefe, aber offen auch für Partner von Japan über Südkorea und Australien bis hin zur Ukraine und zu Argentinien und Chile.
Angesichts der vielen Rufe nach «my country first» mag das visionär klingen. Doch eine nationale Abschottung kostet sehr viel Wohlstand und wird vor allem eines zeigen: Die überlegte wirtschaftliche Integration ähnlich Gesinnter ist und bleibt das bessere Rezept, um die eigene Wettbewerbsposition und den nationalen Wohlstand zu stärken – und damit auch die demokratische Welt.