Es kommen so viele Touristen wie noch nie in die Schweiz. Aber bei vielen Hotels sinkt die Auslastung – was steckt hinter dieser paradoxen Entwicklung?
Der Schweizer Tourismus ist im Hoch. Vergangenes Jahr konnte er mit fast 42 Millionen Logiernächten einen neuen Rekord vermelden. Dieses Jahr könnte diese Marke noch einmal überschritten werden. Es besuchen so viele Menschen die Schweiz wie noch nie zuvor.
Gute Zeiten für die Reiseindustrie – könnte man meinen. Aber ausgerechnet bei den Hotels ist nicht überall Euphorie zu spüren. Viele Betriebe kämpfen sogar mit einer sinkenden Auslastung. Wie passt das zusammen?
Eine Zahlenanalyse zeigt: Die Schweiz erlebt nicht nur einen Touristenboom, sondern auch einen Bettenboom. Vergleicht man die Übernachtungen von 2023 mit 2019 – dem letzten Jahr vor Corona –, dann sind diese um 5,5 Prozent gestiegen.
Gleichzeitig hat sich aber auch das Angebot massiv ausgeweitet. Gab es 2019 in der Schweiz noch 275 249 Hotelbetten, ist die Zahl auf mittlerweile 288 457 angewachsen – ein Plus von 5,4 Prozent. Mit anderen Worten: Innert fünf Jahren haben Investoren in der Schweiz zusätzliche Hotelbetten für eine ganze Kleinstadt geschaffen.
Zum Beispiel die SV Group. Den meisten Schweizerinnen und Schweizern ist das Zürcher Unternehmen bekannt als Kantinenbetreiber. Doch die Firma ist auch Franchisenehmerin für Marken des amerikanischen Hotelgiganten Marriott International in der Schweiz und Deutschland. Dazu gehören: Renaissance, Moxy oder Stay Kooook. Seit 2019 hat die SV Group in der Schweiz sechs neue Hotels eröffnet – ausschliesslich in Städten: zwei in Lausanne, zwei in Bern und zwei in Genf.
Internationale Ketten dominieren in Basel
«Der Hauptzuwachs an Hotelbetten in der Schweiz wurde in den letzten Jahren durch internationale Hotelmarken getrieben, vor allem in urbanen Gebieten», stellt die SV Group denn auch selber fest. Dies sei eine sinnvolle Ergänzung zu den vielen Privatbetrieben in der Schweiz, da die neuen Hotels zusätzliche Gäste ins Land brächten.
Es bedeutet aber auch: mehr Konkurrenz für die alteingesessenen Hoteliers. In den Städten macht sich das besonders bemerkbar. Zum Beispiel in Zürich. Obwohl die Zahl der Hotels konstant blieb, wuchs das Bettenangebot zwischen 2019 und 2023 um 1262 auf mittlerweile 17 833 Einheiten. Und obwohl Zürich heute deutlich mehr Übernachtungen verzeichnet als vor fünf Jahren, ist die Bettenauslastung von 60 auf 58,9 Prozent gesunken.
Ähnlich sieht es in Basel aus. Der Stadtkanton hatte über das gesamte Jahr 2023 gar eine Hotelbettenauslastung von nur 43,9 Prozent. Im Vergleich zu 2019 ist sie leicht gesunken. «Wir haben schon in den letzten Jahren gemerkt, dass in Basel die Zahl der Hotelbetten zu schnell gewachsen ist», sagt Jonas Gass, Direktor des Hotels Krafft, das in der Stadt Basel eine Institution ist.
Der Markt in Basel werde von den grossen Hotelketten dominiert, sagt Gass. Das führe zu einem Preiskampf, denn diese Unternehmen hätten ganz andere Möglichkeiten: «Das Preismanagement wird nicht in Basel, sondern in der Zentrale in Deutschland oder Frankreich gemacht.» Das «Krafft» wolle da nicht mitspielen. «Wir müssen einen gewissen Zimmerpreis verlangen, sonst ruinieren wir uns.»
Der Touristenboom sorgt also keineswegs für sprudelnde Gewinne. Berücksichtigt man, dass nicht alle Schweizer Hotelzimmer das ganze Jahr über gebucht werden können, weil es sich um Saisonbetriebe handelt, dann ist zwischen 2019 und 2023 die Zimmerauslastung in der Schweizer Hotellerie leicht um 0,3 Prozentpunkte gesunken.
Erste Daten aus dem laufenden Jahr deuten darauf hin, dass die paradoxe Entwicklung anhält. So wurde im Sommer 2024 erneut eine Rekordzahl von Touristen registriert. Doch weniger als die Hälfte aller vom Bundesamt für Statistik erfassten Schweizer Gemeinden konnte ihre Hotelauslastung steigern.
Grindelwald ist die Nummer eins der Schweiz
Es ist jedoch nicht so, dass alle Betriebe leiden. Je nach Region und Tourismusdestination gibt es enorme Unterschiede. In international angesagten Hotspots, die weniger stark von gutem Wetter abhängig sind, brummt das Geschäft.
Zum Beispiel Zermatt im Wallis oder Grindelwald im Berner Oberland. Zwar ist auch dort die Zahl der Betten stark gewachsen. Aber die Auslastung konnte gleichzeitig massiv gesteigert werden. 2023 waren 71,5 Prozent der Betten belegt. Das entspricht einem Plus von über 6 Prozentpunkten gegenüber 2019. Grindelwald kann damit die höchste Hotelbettenauslastung in der ganzen Schweiz vorweisen.
Für die Hoteliers im Dorf eröffnet der Touristenboom neue Möglichkeiten. «Er erlaubt uns, das ganze Jahr geöffnet zu haben und gute Mitarbeitende einzustellen, dank Jahresverträgen», sagt Carole Hauser, die zusammen mit ihrem Bruder das Hotel Belvedere führt.
In Grindelwald sind derzeit verschiedene Hotelprojekte in der Entstehung, es dürften in den nächsten Jahren zahlreiche Betten neu auf den Markt kommen. Doch für Carole Hauser ist das nicht per se ein Problem.
Sie hat auch keine Angst vor der internationalen Konkurrenz. Als Familienbetrieb könne man sich dem Markt flexibler anpassen als grosse Hotelketten. «In Grindelwald gibt es sieben Hotelbetriebe in Familienbesitz, die in den letzten Jahren von der neuen Generation übernommen wurden. Wir arbeiten eng zusammen.»
Die Schweiz war traditionell ein Land der Einzelbetriebe. Doch in den letzten Jahren haben globale Hotelunternehmen Marktanteile erobert. Diese bauen in der Regel standardisierte Grossbetriebe, was den Charakter der ganzen Branche verändert. So ist die französische Accor, zu der unter anderem Marken wie Ibis, Novotel oder Sofitel gehören, mit
10 000 Betten der grösste Akteur hierzulande.
Laut einer Studie der Unternehmensberatung Horwath gehören zwar immer noch nur 10 Prozent aller Hotels in der Schweiz Hotelketten an – doch diese machen 32 Prozent des Bettenangebots aus.
Der Branchenverband Hotelleriesuisse begrüsst grundsätzlich, dass internationale Ketten in der Schweiz investieren. «Durch Investitionen können die hohen Standards, welche die Gäste in der Schweiz erwarten, gehalten werden.» Hotelleriesuisse erwartet denn auch, dass der Trend zu grossen Beherbergungsbetrieben anhalten wird.
Viele Hotelbetten bedeutet aber auch, dass der Markt an das touristische Potenzial der Schweiz glaubt. Und es schafft neue Möglichkeiten. Beispielsweise in Basel, wo mit der Frauenfussball-EM und vor allem dem Eurovision Song Contest (ESC) im kommenden Jahr gleich zwei Grossevents für volle Hotels sorgen werden.
«Den ESC hätte Basel nicht bekommen, wenn es nicht so viele Hotelbetten gäbe», sagt Jonas Gass vom Hotel Krafft, «so hat alles seine positive Seite.»