Teile der Linken wollen die grösste Gesundheitsreform mit dem Referendum stoppen. Doch nun machen ausgerechnet jene nicht mit, die von den Gewerkschaften zu Opfern stilisiert werden: die Pflegefachleute.
Gleich vier Leute aus der Pflege plus eine Hebamme hatte die Gewerkschaft VPOD vor gut einer Woche aufgeboten. Ihre Aufgabe: Darüber zu klagen, welch schlimme Folgen die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (Efas) für die Beschäftigten im Gesundheitswesen hätte – insbesondere in den Pflegeheimen. Damit wollte der VPOD das Referendum legitimieren, das er gegen die Grossreform ergriffen hatte.
Ein Knackpunkt ist die Alterspflege. Die Kantone haben erfolgreich dafür lobbyiert, dass diese langfristig Teil von Efas wird. Sie wollten die Kostensteigerungen in den Pflegeheimen nicht mehr länger allein tragen, wie das mit dem alten System der Fall war. Ein grösserer Teil soll über die Grundversicherung finanziert werden – deshalb warnen auch manche Krankenkassen vor höheren Prämien. Die Gewerkschaften fürchten, dass dieser Kostendruck sich negativ auf die Heime auswirke: «Personalschlüssel und Gehälter werden die Hebel für Einsparungen sein», schreibt der VPOD. Es würden also tiefere Löhne und personell schlechter ausgestattete Teams drohen.
Die Befürworter von Efas hingegen hoffen, dass durch die neue Finanzierung viel mehr Behandlungen ambulant stattfinden werden und nicht mehr in Spitälern oder Pflegeheimen. Das sollte das Kostenwachstum dämpfen, weil ambulante Leistungen in den meisten Fällen deutlich günstiger sind. Eine vom VPOD eingeladene Pflegefachfrau hält das für ein Märchen: «In Wirklichkeit geht es nicht um irgendwelche Einsparungen, sondern nur um eine andere Verteilung der Kosten zugunsten der Privatwirtschaft.»
Die Macht der Pflegenden
Zwar verweist der VPOD auch etwas nebulös darauf, dass die den Linken generell suspekten Krankenkassen durch Efas mehr Macht erhalten würden, weil sie künftig einen noch grösseren Anteil der Gelder im Gesundheitswesen verwalten könnten. Doch die Referendumskampagne stützt sich hauptsächlich auf die Rolle der Pflegenden ab. Das ist eigentlich eine geschickte Strategie. Die Pflegenden geniessen in der Bevölkerung viel Sympathie. Und sie sind zu einer politischen Macht geworden, wie sich bei der Pflegeinitiative gezeigt hat: 61 Prozent der Stimmenden nahmen das Volksbegehren im November 2021 an.
Nur gibt es da nun ein Problem: Die Pflegenden wollen sich nicht von den Gewerkschaften instrumentalisieren lassen. Kürzlich hat der Zentralvorstand des Verbandes der Pflegefachkräfte (SBK) einstimmig entschieden, sich nicht zum Referendum gegen Efas zu positionieren. Zudem hat der Zentralvorstand Stimmfreigabe beschlossen, falls die nötigen 50 000 Unterschriften für eine Volksabstimmung zustande kommen.
Einerseits will der SBK seine Kräfte zur Umsetzung der Pflegeinitiative einsetzen. Andererseits hält der Verband Efas aber offenbar für weit weniger riskant für die eigenen Leute, als dies die Gewerkschaften tun. Viele Punkte, die sie kritisiert hätten, seien in das Gesetz aufgenommen worden, betonen die Pflegefachleute. So sei in den Übergangsbestimmungen geregelt, dass die neuen Tarife in der Langzeitpflege kostendeckend sein müssten.
Damit entkräftet der SBK die Befürchtung, dass der Effizienzdruck die Situation der Pflegenden in einigen Jahren weiter verschlechtern könnte. Ohnehin sind die düsteren Prophezeiungen der Gewerkschaften fragwürdig. Bereits heute herrscht akuter Personalmangel in der Langzeitpflege, und dieser dürfte sich zuspitzen: Bald kommen geburtenstarke Jahrgänge in ein Alter, in dem sie Pflege benötigen werden. Die Gesundheitsinstitutionen werden es sich nicht erlauben können, noch mehr Fachkräfte mit schlechten Arbeitsbedingungen aus dem Beruf zu vertreiben.
Selbst die SP ist gespalten
Für die Gewerkschaften ist die ausbleibende Unterstützung der Pflegenden ein empfindlicher Rückschlag in ihrem Kampf gegen Efas. Eine Abstimmung wäre für sie aber auch sonst nicht einfach zu gewinnen. Denn für einmal stehen alle wichtigen Akteure der Gesundheitsbranche mehr oder weniger dezidiert hinter dieser Reform, von den Ärzten über die Spitäler bis zu den Krankenkassen.
Und auch die SP, natürliche Alliierte der Gewerkschaften, ist gespalten. In der Schlussabstimmung im Nationalrat stimmte eine relativ knappe Mehrheit der Fraktion für Efas. Selbst im Co-Präsidium war man sich nicht einig: Cédric Wermuth sagte Nein, Mattea Meyer Ja. Farah Rumy, die einzige Pflegefachfrau in den Reihen der Sozialdemokraten und Co-Präsidentin des SBK Aargau-Solothurn, enthielt sich der Stimme – und nahm damit die neutrale Haltung ihres Verbandes vorweg.