Private Ausleihungen erleben derzeit einen Boom, zu attraktiv erscheinen die Vorteile für alle Beteiligten. Allerdings mehren sich die Anzeichen einer Blasenbildung. Wie gross der Schaden im Falle ihres Platzens wären, ist schwierig zu sagen, da der Markt völlig intransparent ist.
Früher war es so: Die Bank gewährte ihren Firmenkunden Kredite, basierend auf einer Bonitätsanalyse, hielt diese Ausleihung – unverbrieft – während der ganzen Laufzeit auf ihrem Buch und rollierte den Kredit – oder auch nicht. Das war für den Schuldner mühsam, für die Finanzarchitektur aber berechenbar und zielführend.
Das änderte sich spätestens dann, als in den USA der Staat und die Notenbank den grössten Exzess seit Menschengedenken entfachte: Die Abschaffung des Glass-Steagall-Acts und damit des Trennbankensystems im Jahr 1999 veränderte die Anreizstruktur der Bankenchefs für immer, da nun auch Geschäftsbanken die Bilanz hebeln durften. Die Tiefzinspolitik und die Instrumentalisierung der Agenturen Fannie Mae und Freddie Mac, Waschmaschine und Tumbler für die Weitergabe («Disintermediation») von Bankkrediten zwecks «Förderung des Eigenheims auch für Arme», sorgten für eine unheilvolle Lawine von kommerziell unsinnigen Ausleihungen.
Diese wurden nicht mehr kritisch beäugt für die eigene, teure Bilanz getätigt, sondern für die Endabnehmer, eine Meute von renditehungrigen institutionellen Anlegern wie Versicherungen, Pensionskassen etc., die sich weniger für den Inhalt als für die Verpackung dieser neuen Finanzkonstrukte interessierten. Mitbeteiligt an dieser Affäre waren die Rating-Agenturen, die ihr Plazet aufgrund von fehlerhaften Modellen – Stichwort «Monte Carlo» – vorschnell vergaben und damit reich wurden. Wir wissen, wie das alles geendet hat – nachzulesen in Michael Lewis’ Buch «The Big Short».
Das Problem ist der Moral Hazard
Für uns wichtig ist: Sobald eine Finanzfirma Kredite nicht für das eigene Buch tätigt, besteht das Risiko von Moral Hazard. Wir kommen weiter unten darauf zurück.
Jetzt ist alles anders: Anstatt eigene Versäumnisse aufzuarbeiten, schritt die Aufsicht gleich nach der Grossen Finanzkrise zur Regulierung der Banken und verteuerte die Eigenkapitalanforderungen für Firmenausleihungen, was fast augenblicklich für die massive Aufblähung eines Schattenbankensystems sorgte, welches dieses lukrative Geschäft gerne von den Banken übernahm, und zwar mit «Leveraged Loans» (öffentlich gehandelte, oft syndizierte Ausleihungen) und Private Debt (bilaterale Vereinbarungen zwischen Schuldner und Gläubiger, nicht öffentlich gehandelt und damit illiquid).
Die Aufsicht hoffte, dass die breite Verteilung der Kreditrisiken auf reiche, professionelle Investoren, die Private Debt kaufen, das Klumpenrisiko von gierigen Banken ersetzte und so die Finanzarchitektur stabiler und widerstandsfähiger machen sollte. (Randnotiz: Gleichzeitig durften die Banken neu nun ohne Eigenkapitalunterlegung wacklige Staatsanleihen ihrer Regierungen halten).
Fragt sich, ob die Aufsicht damit das Gegenteil dessen erreicht hat, was sie beabsichtigt hatte: Hat sie einen riskanten Moloch geschaffen, der alles übertrifft, was bisher an Sprengkraft vorstellbar war? Ein Geschwür, das im Verborgenen wächst und erst entdeckt wird, wenn es zu spät ist?
Um es deutlich zu sagen: Wir können nur mutmassen, aber immerhin das.
Private Debt: zu gut, um wahr zu sein?
Die «Proposition» für Private Debt ist in der Tat bestechend: Eine für alle Beteiligten massgeschneiderte Finanzierungsform, die vom Kreditgeber mit griffigen Verträgen («Covenants») ausgestattet werden, vorrangig und oft belehnt, zwar illiquid, dafür attraktiv verzinst und mit einer gehörigen Illiquiditätsprämie ausgestattet sind – eine Art «win-win» für Schuldner, Intermediär und Investor, mit dem zusätzlichen Bonus fehlender Preisschwankungen für den risikoaversen Käufer, da …privat!
Und tatsächlich: Private Debt hat bisher alle Unwetter tadellos überstanden und wurde zum grossen Gewinner spätestens in der Ära der steigenden Zinsen, da sie variabel verzinst sind und deshalb auch keine Kapitalverluste aufwiesen sowie schöne und steigende Coupons bieten, während konventionelle Bond-Investoren in die Röhre schauen mussten.
Kein Wunder, dass Private Debt als Geldmagnet auch bei Pensionskassen wirkt. Die Jubelmeldungen sind uferlos: Marktgrössen wie Ares, Apollo, Blackstone, Goldman etc. vermelden das Eintreiben von Hunderten von Milliarden Private-Debt-Kapital pro Quartal.
Aber: Der Markt erfüllt jetzt die notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Vorbedingung eines jeden Exzesses, einer jeden Finanzblase: Wir haben es mit einem Verkäufermarkt zu tun. Der Nachfragestau – auch als «Dry Powder» bezeichnet – sorgt für eine verbesserte Verhandlungsposition des Schuldners gegenüber dem Gläubiger einerseits und des Intermediärs gegenüber dem Endinvestor andererseits.
Anzeichen einer Finanzblase sind vorhanden
Zeit, auf den Moral Hazard von oben zurückzukommen. Hier haben wir erläutert, welche Fragen sich ein potenzieller Investor in Private Debt stellen sollte, bevor er ein Engagement eingeht. Jeder Interessent sollte für sich zusätzlich die Frage beantworten, ob es sich bei Private Debt um eine Finanzblase handelt. Der private Charakter macht alle potenziellen Anleger, Sie wie mich, zu Outsidern, weil wir im Gegensatz zu einem normalen Obligationenfonds die kommerzielle Logik der Schuldvereinbarungen in den Private-Debt-Portfolios nicht nachprüfen können.
Wir müssen also in der einschlägigen Presse auf Spurensuche gehen und stossen dabei auf bedenkliche, meist anekdotische, aber bezeichnende, oft strukturelle Änderungen im Marktgebaren, die uns an ähnliche Vorkommnisse in der Vergangenheit erinnern.
Dazu einige Stilblüten im Markt für Private Debt:
- «Dry Powder»: Massives Kapitalvolumen, das ungeduldig auf lohnende Private-Debt-Vergaben wartet, was selten eine gewissenhafte Bonitätsüberprüfung zur Folge hat.
- «Covenant Light»: Der Umstand, dass die den Investor schützenden Bonitätstests einer breiten Verluderung unterliegen, wird in der Presse oft besprochen und hier deshalb nur kurz erwähnt.
- «Demokratisierung» von Private Debt: Auch Privatanleger und damit nicht nur qualifizierte Investoren sollen Zugriff auf diese lukrative Anlageform erhalten. In der Vergangenheit war das ein zuverlässiges Buzz-Word für eine Blase.
- Ausblendung von Zinsrisiken: Höhere Zinsen sind für den Investor zweischneidig – sie vergrössern die Kreditrisiken, da sie Bilanz und Geschäft der Kreditnehmer beeinträchtigen. Anekdotisch hört man, dass in verschiedenen Portfolios gleiche Schuldverschreibungen völlig unterschiedlich bewertet sind. Gemäss Pimco verfügen 40% der Schuldner über eine Zinsdeckungsrate von unter 100%.
- «Payment in kind», kurz PIK: Die Möglichkeit von Schuldnern, statt Coupons und Rückzahlung neue Schuldtitel in Zahlung zu geben. Die wachsende Verbreitung von PIK ist ein zuverlässiges Zeichen, dass sich die Risiken für den Investor erhöhen.
- «NAV Loans»: Private Debt wird benutzt, um (nicht verdiente) Cashflows an Private-Equity-Eigentümer auszubezahlen; gibt es ein klareres Indiz für fehlende Sorgfalt?
- «One Stop Shops», fehlende Subordinierung: Private-Debt-Anbieter übernehmen gerne die Finanzierung des gesamten Fremdkapitals der Schuldner, um dieses tranchiert an verschiedene Investoren zu veräussern. Damit wird ein Kernpunkt der Solvabilität von Private Debt in vergangenen Krisen aufgegeben: Der Schutz durch (fremde) tiefer rangierende Schulden, auch Subordinierung genannt.
- Fehlendes Skin in the Game: Anekdotisch kommen immer mehr reine Vermittler ohne eigenes Exposure in den Markt.
- Insurance und synthetischer Risk-Transfer: Gewisse Banken behalten Loan-Portfolios auf der Bilanz, verkaufen aber das Kreditrisiko an…Private-Debt-Vehikel. Allein in Europa sind es gemäss Bloomberg derzeit mehr als 600 Mrd. €. Welche Anreizstrukturen schafft dieser Risikotransfer?
- «Round Trips»: Unglaublich, aber wahr – Banken transferieren das Kreditrisiko von Loans synthetisch an Private Debt und finanzieren die gleichen Private-Debt-Vehikel mit Krediten. Offensichtlich ist das gängige Praxis in der heutigen Bankenwelt.
- Interessenkonflikte: Bei PD-Ausleihungen an Private Equity gibt es eine klare Überlappung von Eigenkapital- und Fremdkapitalgebern. Wer bekommt was im Falle des Konkurses?
- ETF auf Private Debt: Sie sind derzeit in der Konstruktionsphase und harren des Plazets der Aufsicht. Wetten, dass sie dieses bekommen? Keine Blase ohne Beteiligung von unqualifizierten Investoren. Was passiert mit dem Markt, wenn die ETF-Inhaber aussteigen wollen?
- Aufweichung der Grenzen: ETF auf Private Debt sollen dem Vernehmen nach mit CLOs abgefüllt werden? CLO? Kennen wir das nicht von 2008? Solche CLOs schreien nach Standardisierung, das ist wohl v.a. mit Leveraged Loans möglich. Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Grenzen zwischen den Zinsmärkten weiter auflösen, mit der entsprechenden babylonischen Sprachverwirrung.
- «Creditor on Creditor Violence»: Offensichtlich nehmen Schuldner gelegentlich zusätzliches Kapital von zusätzlichen, neuen Private-Debt-Geldgebern, mit dem Schönheitsfehler, dass diese dann höher rangieren und/oder durch belehnte Vermögensteile besser gestellt werden. In die Röhre guckt der bisherige Geldgeber, denn speziell bei notleidendem Schuldner verliert der bisherige Gläubiger sämtliches Recovery-Potenzial im Abwicklungsfall.
- Zombies: Ohne definierten Abwicklungsprozess (keine Ratings!) könnte der Anreiz bestehen, auch notleidende Schulden zu rollieren. Das wird in der Szene derzeit heiss diskutiert.
- Steigender Leverage: Es wird gemunkelt, dass die Portfolios nicht mehr die hohen historischen Pick-ups hergeben, weshalb klassischerweise der Leverage in den Vehikeln und somit das Investorenrisiko erhöht wird – finanziert von den …Banken!
Und nicht zuletzt muss festgehalten werden, dass ein grosser Teil der Kreditvergabe von einem stark regulierten Bereich in einen fast komplett unregulierten abgewandert ist. War dies die Absicht der Aufsicht?
Keine Blase ohne Banken:
Ist es die ultimative Ironie? Private Debt wurde von den Behörden propagiert, damit der Bankensektor aus der Risikogleichung genommen wird. Erstaunt es, dass der Bankensektor vielmehr auf mannigfaltige Weise ein hoch aktiver Player auf dem möglichen neuen Ground Zero der Finanzarchitektur geblieben ist?
Genannt seien nur die offensichtlichsten Verbindungen zwischen Banken und Private Debt (PD): Bankeigene PD-Fonds, synthetischer Risikotransfer mit PD-Shops, umfangreiche Finanzierung von PD-Vehikeln. Dazu Kreditlinien mit PD-Fonds, Joint Ventures mit PD-Anbietern, Zinsheding von PD-Vehikeln und und und.
Was nun: Blase oder nicht?
Der Bonitätswächter I-CV meint: «Bankenaufsicht wie Investoren haben nur einen unvollkommenen Einblick in Volumina, Strukturen und Risiken von Private-Debt-Anlagen und in die Interdependenzen von Banken und nur schwach regulierten anderen Kreditgebern.»
Es erstaunt vielleicht, aber niemand weiss, wie gross der Markt ist. Auch ausgewiesene Fachleute nicht. Ich masse mir nicht an, die Frage «Blase oder nicht» kompetent beantworten zu können, ich bin zu sehr ein Outsider. Oder werden wir es überhaupt je erfahren? Kommt es nicht zu einer scharfen Rezession, könnten auch unprofitable Verleihungen unendlich weiter gerollt werden. Schliesslich sind die Schulden privat, nicht wahr?
Und falls ja: ist das schlimm?
Dass das Bankensystem ein systemisches Risiko darstellt, wissen wir. Aber das PD-Schattenbanksystem? Es ist riesig, aber mutmasslich (noch) nicht massiv gehebelt. Der Kleinsparer wurde (noch) nicht angefixt. Es gibt (noch) keine PD-CDOs. Kommt hinzu, dass PD eine unglaublich heterogene Vermögensklasse ist. Und trotzdem bleibt eine dunkle Ahnung, dass potenzielle Spillover-Risiken vorhanden sind.
P.S. Und die Pensionskassen?
Irre ich mich, oder werden die Anteile an der Asset Allocation, die antizyklisch sind (Schweizer Anleihen und Immobilien) immer kleiner und die prozyklischen (Aktien, Fremdwährungsbonds, Emerging Markets, Immobilien im Ausland, Private Equity und Private Debt) immer grösser?
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Vor geraumer Zeit hat er – gemäss eigenen Worten – nach einem dreijährigen Martyrium den CFA-Charterholder erworben. Der Bündner ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.